Sviatoslav Dmitriev: City Government in Hellenistic and Roman Asia Minor, Oxford: Oxford University Press 2005, xiii + 428 S., ISBN 978-0-19-517042-9, GBP 45,00
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Griechische poleis in Kleinasien stellen zweifellos einen überaus gewinnbringenden Gegenstand altertumswissenschaftlicher Forschungen dar. Dieser Umstand findet seinen Ausdruck in der gegenwärtig nahezu unüberschaubaren Anzahl von Projekten zu einzelnen kleinasiatischen poleis und führt zu einem immensen Zugewinn an Erkenntnissen, die ihren Ausgangspunkt in ganz unterschiedlichen Fragestellungen haben. [1] Vor diesem Hintergrund sind (monographische) Arbeiten mit einer polis-übergreifenden Perspektive und einem synthetischen Charakter grundsätzlich sehr zu begrüßen.
Der russische Althistoriker Sviatoslav Dmitiriev, der seit den frühen neunziger Jahren eine Reihe von Artikeln zu verschiedenen Aspekten der Geschichte Kleinasiens in hellenistischer und römischer Zeit publiziert hat [2], hat sich in der hier zu besprechenden Monographie die Aufgabe gestellt, eine "analysis of the development of Greek city government" (6) in Asia Minor während der hellenistischen und römischen Zeit vorzulegen. Es handelt sich bei dieser Monographie um eine überarbeitete Fassung seiner an der Harvard University angefertigten Dissertation. Nach einer knappen 'Introduction' (3-9) folgen die drei Hauptkapitel der Arbeit: 'Greek Cities and Hellenistic Kings' (13-106), 'Cities of the Province of Asia' (109-286) und ein 'General Overview' (289-328); einem kurzen 'Epilogue' (329-336) ist ein Appendix 'Observations on the Coinage of Hellenistic Priene' (337-341) angefügt. Eine recht umfangreiche 'Select Bibliography' (343-359), in der man allerdings einige Titel vermisst [3], und verschiedene Indices beschließen das Buch.
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit Dmitrievs Arbeit kann hier nicht erfolgen; nach einer kurzen Besprechung einiger die Gesamtkonzeption betreffenden Aspekte, wird in aller Kürze auf die Hauptkapitel eingegangen werden. [4]
Beginnt man mit der Lektüre des Buches, so wird dem Leser alsbald deutlich, dass Dmitriev in seiner Arbeit einen Weg einschlägt, den der Leser auf Grund des Buchtitels 'City Government in Hellenistic and Roman Asia Minor' so nicht erwartet hat - und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits beschränkt Dmitriev seinen Untersuchungsraum geographisch allein auf den Teil von Kleinasien, der unter römischer Herrschaft die Provinz Asia ausmachte; andererseits geht es dem Verfasser nicht um die Frage, wie in den Städten Kleinasiens - bzw. den Städten im Gebiet der Provinz Asia - regiert wurde, sondern es geht ihm vorrangig um Terminologie und Funktionen der Institutionen. Verbleibt die Kritik beim ersten Aspekt vornehmlich auf der Evozierung falscher Erwartungen durch den Titel beschränkt, so wiegt sie bezüglich der Beschränkung auf eine vorrangig funktional-verfassungsmäßig ausgerichtete Betrachtung der städtischen Institutionen schwerer: Denn deren soziale Einbettung sowie deren Funktionieren blendet Dmitriev durch diese Vorgehensweise zu stark aus. Zudem wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Autor die zeitliche Eingrenzung seiner Arbeit eingehender begründet hätte, als er es tut: Denn auch wenn die vom Verfasser gewählte Begrenzung eine nicht völlig abzustreitende Plausibilität besitzt, so ist sie doch zumindest nicht selbstverständlich.
In seiner 'Introduction' befasst sich Dmitriev nahezu ausschließlich mit dem Aspekt der Romanisierung - eine Thematik die man, hinsichtlich ihrer Gewichtung, in einem Buch über 'City Government in Hellenistic and Roman Asia Minor' nicht in dieser Weise als einleitende Ausführungen erwarten würde, zumal die Funktion der Ausführungen in Bezug auf die Thematik der Arbeit nicht klar herausgearbeitet wird. Zudem bleibt die hellenistische Zeit in der Einführung letztlich unberücksichtigt. Der Eindruck, der bei der Lektüre der Einleitung entsteht, findet im weiteren Verlauf des Buches Bestätigung: Der Verfasser ist weit mehr an den städtischen Verfassungen in der römischen Zeit und vor allem an Veränderungen vom hellenistischen zum römischen Kleinasien interessiert; deswegen verwendet er die hellenistische Zeit vor allem als Folie, nicht aber als Gegenstand sui generis.
Das erste Hauptkapitel ist, anders als der Titel es vermuten lässt, kaum der Beziehung zwischen poleis und hellenistische Könige gewidmet, sondern behandelt poleis in der Zeit der hellenistischen Könige; allenfalls in Ansätzen geht es Dmitriev - vor dem Hintergrund seiner Ziele ist dies auch durchaus berechtigt - um die Interaktion zwischen poleis und Herrschern im Hellenismus. In drei Unterkapiteln widmet sich der Verfasser den Themenfeldern 'Language and Responsibilities' (13-33), 'Officials and Municipal Functions' (34-63) und 'Individual Cities' - nämlich Milet (64-76), Priene (76-88) und Samos (88-106). Diese Untergliederung, die von Dmitriev nicht begründet wird, vermag nicht zu überzeugen, da die Kapitel nicht genetisch aufeinander aufbauen, sondern eher quer zueinander stehen. Da eine Zusammenfassung des ersten Hauptkapitels fehlt, sind die erzielten Ergebnisse wenig offensichtlich; welche Reichweite die Detailergebnisse im einzelnen besitzen, bleibt ebenfalls unklar.
Den 'Cities of the Province of Asia' ist das zweite Hauptkapitel gewidmet, das in fünf Unterkapitel untergliedert ist: 'The Language of Responsibilities' (109-139), 'The Status of City Officials' (140-188), 'Rome and New Municipal Functions' (189-216), 'The Evolution of Municipal Functions' (217-246) und 'The metropoleis: Smyrna und Ephesus' (247-286). Als nachteilig ist der Umstand anzusehen, dass Dmitriev dieses zweite Hauptkapitel in seiner Binnenstruktur nicht analog zum ersten aufgebaut hat; besonders ins Gewicht fällt dieser Aspekt hinsichtlich der ausgewählten und exemplarisch behandelten poleis: Gerade hier wäre die Behandlung der gleichen Städte in hellenistischer und römischer Zeit erforderlich gewesen.
Mit 'General Overview' ist der dritte Hauptteil des Buches überschrieben, der aus einem einzigen Kapitel besteht: 'Greek Cities under Hellenistic and Roman Rulers' - eine Überschrift, die eher 'Greek Cities under Hellenistic Rulers and Roman Rule' hätte lauten müssen. Das entscheidende Ergebnis, das Dmitriev hier präsentiert, ist eine allmähliche Einengung der Handlungsspielräume griechischer poleis gegenüber römischen Autoritäten.
Im 'Epilogue' (329-336) hebt der Verfasser hervor, daß zwischen der städtischen Verwaltung in hellenistischer und römischer Zeit nur geringfügige Veränderungen auszumachen sind - bzw. daß die Kontinuitäten bei nur geringfügigen Veränderungen sehr stark sind.
Was die Arbeit von Dmitriev auszeichnet, ist der ungeheure Materialreichtum, den der Autor präsentiert. Für jeden, der sich mit poleis - vor allem, aber nicht ausschließlich - auf dem Gebiet der römischen Provinz Asia in hellenistischer und römischer Zeit beschäftigen möchte, stellt das hier angezeigte Buch ein äußerst hilfreiches Instrumentarium dar: Dmitriev hat dem Leser ein mit großem Fleiß erstelltes Handbuch der politischen Institutionen der poleis des westlichen Kleinasien in der Zeit zwischen Alexander dem Großen und Diokletian zur Verfügung gestellt. Zu bedauern ist allerdings, dass der Autor nicht mehr aus seinem Buch gemacht hat: das Fehlen eines stärker systematischen und analytischen denn additiven und deskriptiven Zugriffs auf das Quellenmaterial macht sich bedauerlicherweise negativ bemerkbar.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa den Literaturspiegel auf der Homepage des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms "Die hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Strukturen und bürgerliche Identität zwischen Tradition und Wandel" (SPP 1209): http://www.poliskultur.de/127_Literaturspiegel%20-%20Bibliography.html.
[2] On I. Priene 82, 15-21, Epigraphica Anatolica 21 (1993), 43-44 = Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 103 (1994), 115-116; Notes on inscriptions from Asia Minor, Epigraphica Anatolica 26 (1996), 105-110; Probole and antiprobole in electoral procedure in Oinoanda, Latomus 55 (1996), 112-126; Oi eponumoi and ai eponumoi archai in the cities of Hellenistic and Roman Asia Minor, REA 99 (1997), 525-534; Three notes on Attalid history, Klio 81 (1999), 397-411; The strategos ek panton in Rhodian inscriptions, Historia 48 (1999), 245-253; Observations on the historical geography of Roman Lycaonia, Greek, Roman and Byzantie Studies 41 (2000), 349-375; The end of "provincia Asia", Historia 50 (2001), 468-489; Claudius' grant of Cilicia to Polemo., Classical Quarterly 53 (2003), 286-291; Alexander's Exiles Decree, Klio 86 (2004), 348-381; The history and geography of the province of Asia during its first hundred years and the provincialization of Asia Minor, Athenaeum 93 (2005), 71-133; Cappadocioan dynastic rearrangements on the eve of the First Mithridatic War, Historia 55 (2006), 285-297 sowie Memnon on the siege of Heraclea Pontica by Prusias I and the war between the kingdoms of Bithynia and Pergamum, JHS 127 (2007), 133-138.
[3] Neben den von A. Raggi, BMCR 2007.07.63 (http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr/2007/2007-07-63.html) in Anm. 2 genannten Titeln wären etwa anzuführen A. Sartre-Fauriat / M. Sartre: Notables en conflit dans le monde grec sous le Haut-Empire, Cahiers d'histoire 45 (2000), 507-532; E. Meyer-Zwiffelhoffer: Bürger sein in den griechischen Städten des römischen Kaiserreiches, in: K.-J. Hölkeskamp / J. Rüsen / E. Stein-Hölkeskamp / H Grütter (Hgg.): Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 375-402 und H.W. Pleket: Political Culture and Political Practice in the Cities of Asia Minor in the Roman Empire, in: W. Schuller (Hg.): Politische Theorie und Praxis im Altertum, Darmstadt 1998, 204-216. Vielleicht zu spät, um von Dmitriev noch berücksichtigt werden zu können, sind H.-L. Fernoux: Notables et élites des cités de Bithynie aux époques hellénistique et romaine: IIIe siècle av. J.-C. - IIIe siècle ap. J.-C.: essai d'histoire sociale (= Collection de la Maison de l'Orient et de la Méditerranée 31), Lyon 2004 und P. Fröhlich: Les cités grecques et le contrôle des magistrates (IVe-Ier siècle av. J.-C.) (= Hautes Études du Monde Gréco-Romain 33), Genève 2004 erschienen.
[4] Zu Dmitrievs Arbeit s. die Rezensionen von B. Burrell, in: The American Historical Review 110 (2005), 1574-1575; Chr. Habicht, in: New England Classical Journal 32 (2005), 360-362 und Raggi (wie Anm. 2).
Matthias Haake