David Armitage (ed.): British Political Thought in History, Literature and Theory, 1500-1800, Cambridge: Cambridge University Press 2006, xi + 326 S., ISBN 978-0-521-87041-2, GBP 50,00
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Hervorgegangen ist der vorliegende Band aus einer Tagung anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens des Center for the History of British Political Thought an der Folger Shakespeare Library in Washington im April 2005. Gemäß dem Renommee des Centers und seiner Gründer J. G. A. Pocock und Gordon Schochet zählen zu den beitragenden Autoren die Granden der britisch-amerikanischen Frühneuzeitforschung aus den Bereichen der Geschichts-, der Literatur- und der Politikwissenschaft, was dem Band entsprechende Aufmerksamkeit in der Forschungslandschaft garantieren dürfte.
Unter dem Handbuch-Charme verbreitenden Titel "British Political Thought in History, Literature and Theory, 1500-1800" gruppieren sich die recht vielfältigen Beiträge, die es - dem Jubiläumsanlass angemessen - unternehmen, dem mit dem Namen des Centers verbundenen Kontextualismus innerhalb der politischen Geschichtswissenschaft ihre Reverenz zu erweisen, der sich - unter dem Begriff der "Cambridge School" - in den letzten Jahrzehnten fest in der Forschungslandschaft etabliert hat. Mit der Präsentation neuer methodischer Ansätze und der Kritik an alten möchte der Sammelband Zukunftsfähigkeit und Innovationspotential dieser Forschungsrichtung unter Beweis stellen.
Hervorstechendes Merkmal des Bandes ist seine geradezu paritätische Multidisziplinarität, die Historiker, Philologen und Politologen zu Wort kommen lässt: Die Gliederung weist drei Blöcke auf, unter denen sich jeweils vier Beiträge aus den oben genannten Disziplinen sammeln. Während die Mehrzahl der Autoren versucht, den eigenen Ansatz exemplarisch an einem konkreten Untersuchungsgegenstand festzumachen, neigen einige wenige stärker zu einer grundsätzlichen methodischen Diskussion ihres Sujets (Morrill, Harris, Zwicker, Flathman).
Im Mittelpunkt der ersten, geschichtswissenschaftlichen Sektion steht der - nicht mehr ganz frische - "Britannic turn", die Betonung einer britischen Perspektive auf die Geschichte des politischen Denkens. John Morrill reflektiert Entwicklung und Charakteristika einer "New British History". Diese weise verschiedene Formen der Annäherung an den jeweiligen Untersuchungsgegenstand auf, die Morrill entsprechend frühneuzeitlicher Kategorien britischer Staatlichkeit in "incorporative" - die Erklärung nationaler Probleme im britischen Kontext -, "confederal" - parallele Erzählungen der Entwicklung in den einzelnen britischen Ländern - und "perfect" - zumeist Biographien grenzüberschreitend agierender historischer Persönlichkeiten - unterteilt (24). Colin Kidd dagegen sieht in der "Matter of Britain", der Streitfrage um die Verortung von Souveränität in Großbritannien, konkret zwischen Schottland und England, die eigentlichen Konturen des Untersuchungsgegenstandes einer "British history of political thought".
Das breite Spektrum oft unvereinbarer politischer Ideen im frühneuzeitlichen Irland zeigt Nicholas Canny auf. Dabei kommt er zu dem überraschenden Ergebnis, dass politisches Denken in Irland im 16. Jahrhundert eine starke britische Prägung aufwies, die sich mit dem Ausbau der englischen Herrschaft in Irland im 17. Jahrhundert in hohem Maße abschwächte. Eine andere Herangehensweise wählt Tim Harris in seinem Beitrag, der anhand der politischen Debatten während der "Exclusion Crisis" und der "Glorious Revolution" bemüht ist, eine gesamtbritische Perspektive innerhalb des politischen Denkens herauszuarbeiten, um einer Zersplitterung der Forschungsperspektiven zu entgehen. Aus seinen Betrachtungen folgert er, dass eine starke Konzentration auf nationale Geschichte bislang die Einsicht in den eigentlich britischen Charakter vieler Werke verstellt hat.
Die Beiträge zeigen ein heterogenes Bild von den Möglichkeiten, die eine Überwindung national ausgerichteter Geschichtswissenschaft haben kann. Abhängig ist die Sinnhaftigkeit einer "British History of political thought" jedoch, wie Harris richtig bemerkt, von den jeweiligen Fragestellungen der Historiker. Neben der britischen sollte - so wird zu Recht hervorgehoben - in jedem Fall gerade auch die europäische Perspektive Berücksichtigung finden.
Die literaturwissenschaftliche Sektion hebt erwartungsgemäß besonders die Bedeutung der Literatur für die Erforschung der politischen Kultur und der politischen Wahrnehmungsmuster der Zeitgenossen hervor. Literatur sei aber keineswegs nur Artikulationsorgan politischer Aussagen gewesen, sondern habe auch selbst neue politische Ideen generiert. Wichtig ist den Autoren die Betonung, dass literarische Werke anderen Gesetzmäßigkeiten folgen als etwa politische Traktate.
Andrew Hadfield untersucht das Phänomen des frühneuzeitlichen Republikanismus nicht wie bisher als "politische Sprache" oder Programm, sondern als "literary phenomenon" (112), das zum einen republikanische Erzählstränge, zum anderen republikanisches Gedankengut aufgriff und verarbeitete. Die Bedeutung des Dramas innerhalb der frühneuzeitlichen politischen Kultur hebt einmal mehr Jean E. Howard hervor. Allerdings macht sie am Beispiel Shakespeares deutlich, dass gerade dramatische Werke politisch oft vielstimmig sind. Es sei schwierig, von ihnen auf die politische Meinung des Autors rückzuschließen.
Steven N. Zwicker betont die Bedeutung literarischer Techniken, insbesondere der Ironie, für eine Kulturgeschichte der politischen Ideen. Ob sein Konzept einer "historiography of the human heart" (167) auch für Historiker annehmbar ist, darüber ließe sich wohl streiten. Dass Literatur auch prägenden Einfluss auf die Ausbildung politischer Ideen haben kann, versucht Karen O'Brien zu zeigen, indem sie die Auffassung vom Empire als "morally purposeful, benevolent and humanitarian" (187) auf die Dichtung des 18. Jahrhunderts zurückführt. Die Darstellung der Genese und der Wirkmächtigkeit des literarischen Empire-Verständnisses bleibt leider etwas selbstreferentiell. Überzeugender wäre die Argumentation ausgefallen, wenn verstärkt auch andere, nichtliterarische Quellen berücksichtigt worden wären.
Die abschließende, politikwissenschaftliche Sektion ist stärker als die vorangegangenen von einer Auseinandersetzung mit Problemen und Fragen der Gegenwart geprägt. So verbindet Duncan Ivison mit seiner Untersuchung über Entwicklung und Formulierung der Menschenrechte und der gleichzeitigen Rechtfertigung des Kolonialismus eine Reflexion über Grenzen und Möglichkeiten des Umgangs und der Gültigkeit von Menschenrechten heute.
Einen stärkeren Austausch zwischen feministischer Politiktheorie, Politikgeschichte sowie Gendergeschichtsschreibung mahnt Joanne H. Wright im Hinblick auf die Erforschung weiblichen politischen Denkens an, was sie selbst anhand einer Untersuchung der Kategorie des Privaten bei der Autorin Margaret Cavendish (1623-1673) vorexerziert. Wünschenswert sind in diesem Bereich weitere Studien, die die hier getroffenen Ergebnisse in einen Kontext zu stellen erlauben. Die Frage nach der Vergleichbarkeit der Folgerungen drängt sich auf, handelte es sich doch bei Cavendish um eine durchaus exzeptionelle Gestalt.
Ausgestattet mit dem theoretischen Konzept des russischen Literaturwissenschaftlers Michail Bakhtin, Texte dialogisch als "utterances" (237) zu begreifen, die ihre Bedeutung - unabhängig vom Kontext ihrer ursprünglichen Entstehung - durch ihre jeweiligen Leser hervorbringen, unternimmt es Kirstie McClure exemplarisch an drei ursprünglich anonymen Schriften aus dem 16., dem 17. und dem 18. Jahrhundert, das - auch gerade materiell zu verstehende - "Leben" von Büchern in Abhängigkeit von Auflage, Leserschaft und gesellschaftlichen Umständen zu beschreiben. Hier kommt sie zu durchaus interessanten Einsichten, doch den Leser mag der Verdacht beschleichen, dass ihm eine recht konventionelle Rezeptionsgeschichte in ansprechendem - wenn auch nicht besonders innovativen - theoretischem Design geboten wird.
Richard E. Flathman gibt zum Abschluss noch einmal einen Überblick über Differenzen und Gemeinsamkeiten von Politikwissenschaftlern und den Historikern einer kontextualisierenden politischen Ideengeschichte, die einmal mehr in diesem Band mit einem Plädoyer für einen stärkeren Austausch der Disziplinen endet.
Lobend hervorzuheben ist das Nachwort von Quentin Skinner, der die Beiträge noch einmal kritisch kommentiert und seine Laudatio auf die Erforschung der speech-acts charmant mit dem Aufruf verbindet, auch weiterhin den beständigen Dialog über verschiedene Ansätze in der Frühneuzeitforschung zu suchen.
Der besondere Wert des Sammelbandes liegt in seiner Multiperspektivität, die nicht allein durch die verschiedenen hier versammelten Disziplinen, sondern auch durch die rege Diskussion innerhalb der Beiträge eines Fachspektrums dokumentiert wird. Das breite Themenspektrum, das die einzelnen Beiträge umreißen, ist begrüßenswert. Dagegen ist die mangelnde Definition des Politischen etwas bedauerlich, es bleibt weithin undeutlich, was die Autoren unter "political thought" verstehen. Hier wären ähnliche Auseinandersetzungen wünschenswert gewesen, wie sie sich um die Kategorie "British" in den Beiträgen von Morrill, Kidd und Harris zeigen.
Durch das Nebeneinander verschiedener, nach Fachrichtungen geordneter "Blöcke" werden die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen der einzelnen Disziplinen deutlich, etwa das Streben nach Handlungsorientierung bei den Politikwissenschaftlern oder nach Kontextualisierung bei Historikern. Zu Recht wird auch auf die Schwierigkeiten und Grenzen von Interdisziplinarität hingewiesen (Kidd, Flathman), denn eine sinnvolle und erkenntnisfördernde disziplinäre Perspektivenerweiterung kann nur durch eine Reflexion der eigenen und der fremden fachlichen Grundlagen erfolgen.
Obwohl einige Ansätze durchaus viel versprechend erscheinen und man ihnen wünscht, dass sie zukünftig weitere Beachtung finden, vermag es keiner der Beiträge, den Kontextualismus einer "Cambridge School" neu zu definieren. Neue Perspektiven mögen geboten werden, neue tragfähige methodische oder theoretische Forschungskonzepte dagegen bleiben aus. Und somit ist der vorliegende Band doch in erster Linie eine Bestätigung der etablierten Methoden und Erkenntnisinteressen der "Cambridge School".
Kerstin Weiand