Verena Winiwarter / Martin Knoll: Umweltgeschichte. Eine Einführung, Stuttgart: UTB 2007, 368 S., ISBN 978-3-8252-2521-6, EUR 17,90
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Umweltgeschichte hat Konjunktur. Seit der Begriff in den 1970er Jahren geprägt wurde, erscheint eine wachsende Zahl an Veröffentlichungen, die sich mit Umweltbedingungen in der Vergangenheit und mit deren Wahrnehmung und Interpretation befassen. Umwelthistorische Themen finden zunehmend auch in allgemeinhistorischen Überblickswerken Berücksichtigung und umweltgeschichtliche Arbeiten öffnen sich neuerdings kulturhistorischen Fragestellungen. Grundlegende Einführungen oder gar Lehrwerke zur Umweltgeschichte sind dennoch ausgesprochen selten. Dies liegt vor allem daran, dass Umfang und Zielsetzungen der Umweltgeschichte nicht fest umrissen sind, und auch zur Frage der Stellung der Umweltgeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft - als neue historische Subdisziplin oder als interdisziplinäres Forschungsfeld - gibt es unterschiedliche Positionen. Da umweltgeschichtliche Themen auch Gegenstand beispielsweise der Historischen Geografie, der Geologie, der Biologie, der Agrarwissenschaften, der Landschaftsarchitektur und der Medizingeschichte sind, fällt es besonders schwer, einen Überblick über die Forschung in diesem Bereich zu gewinnen. Hinzu kommt, dass die umweltgeschichtliche Fachliteratur oft schwer zugänglich ist, da sie nicht selten in niedrigen Auflagen und in nicht etablierten Periodika und Reihen erscheint.
Um so verdienstvoller ist das vorliegende Werk, das versucht, einen interdisziplinären Überblick über den Forschungsstand der Umweltgeschichte und eine Einführung in Themen und Methoden zu geben und sich vor allem an Studierende unterschiedlicher Studienfächer richtet. Trotz des stets betonten interdisziplinären Charakters der Umweltgeschichte betrachten Winiwarter und Knoll diese als ein historisches Fachgebiet. Die Verfasser wählen einen theoriegeleiteten Zugang und orientieren sich stark an den amerikanischen Forschungen im Bereich der "Environmental History", die für die Umweltgeschichte im deutschsprachigen Raum vorbildhaft sind.
Zu Beginn stehen eine Einleitung und ein "Einstieg in die Umweltgeschichte", in denen der Gegenstand der Umweltgeschichte, ihre Methodik als historisches Fachgebiet und ihre Entwicklung dargestellt werden. Winiwarter und Knoll führen dabei auch wichtige umwelthistorische Zeitschriften, Foren und ältere Überblicksarbeiten im internationalen Rahmen auf. Es folgt ein Kapitel, in dem zentrale Themen der Umweltgeschichte vorgestellt werden, beginnend mit der Ideengeschichte der Natur, sodann die Umweltgeschichte in vormodernen Gesellschaften, die Bereiche Landschaft und Klima, das Thema der Siedlergesellschaft, danach Verschmutzung und Belastung sowie schließlich neue Trends der Umweltgeschichte seit Mitte der 1990er Jahre. Winiwarter und Knoll benennen dabei jeweils die unterschiedlichen europäischen und amerikanischen Forschungsschwerpunkte. Die Methoden der Umweltgeschichte sind Gegenstand eines weiteren Kapitels, das in die Vorgehensweise bei der Auseinandersetzung mit umwelthistorischen Fragestellungen einführt und sowohl die historischen als auch die naturwissenschaftlichen Methoden vorstellt. Am Beispiel des Aufbaus eines geografischen Informationssystems (GIS) werden dabei Möglichkeiten der Integration von Daten aus verschiedenen Disziplinen erörtert. Unter dem Titel "Konzepte, Theorien und Erzählweisen der Umweltgeschichte" stellen Winiwarter und Knoll dann auf hoher theoretischer Ebene Modelle und Theorieansätze vor, die Auswirkungen auf umwelthistorische Arbeiten haben können.
Die folgenden Kapitel befassen sich mit umwelthistorischen Forschungen zu umfassenden Themenfeldern, wobei die Forschungsliteratur jeweils detailliert besprochen wird. Winiwarter und Knoll beginnen mit dem Themenbereich Landnutzung aus umwelthistorischer Sicht, worunter vor allem auch agrar- und forstgeschichtliche Themen, aber beispielsweise auch die Geschichte des Naturschutzes subsumiert werden. Am Beispiel der Diskussionen um die "Holznot" in der Frühen Neuzeit wird demonstriert, wie notwendig Quellenkritik ist, da die meist obrigkeitlichen Quellen die bäuerliche Nutzung oft negativ bewerteten. Es schließt sich ein Abschnitt über die Umweltgeschichte der Stadt an, der auch die städtischen und stadtnahen Grünbereiche umfasst. Die Umweltgeschichte von Handel, Transport und Verkehr bildet den Gegenstand des nächsten Kapitels. Dabei spielen insbesondere die Veränderungen im Verkehrssektor eine zentrale Rolle, die als "Transportrevolutionen" charakterisiert werden. Ein eher dünnes Kapitel widmet sich dem Thema "Bevölkerung in der Umweltgeschichte", das beispielsweise Wechselwirkungen von Menschen und Mikroorganismen sowie Transfers von Pflanzen und Tieren durch Menschen behandelt. Danach geht es in einem weiteren Abschnitt um die gesellschaftliche Wahrnehmung von Umwelt, die die Verfasser im Kontext unterschiedlicher Aspekte wie Weltbild, Naturästhetik, Risikowahrnehmung und Recht betrachten.
Den Abschluss bildet ein Kapitel über das Konzept der Nachhaltigkeit und seine Anwendbarkeit für die Umweltgeschichte. Dabei wird auch die Frage der Verbindung zwischen Umweltpolitik und umwelthistorischer Forschung diskutiert. Winiwarter und Knoll plädieren für eine gesellschaftlich wirksame umwelthistorische Forschung, die Probleme beleuchtet, die sonst wenig Aufmerksamkeit erhalten. Dabei sei insbesondere eine interdisziplinäre Kooperation der umwelthistorischen Forschung mit den Umweltwissenschaften erforderlich.
Das vorliegende Buch vermittelt viele Ansätze und Modelle für eine solche interdisziplinäre Kooperation. Es bietet eine kenntnisreiche theoretische Fundierung der Umweltgeschichte als interdisziplinäres Forschungsfeld, wobei vor allem auch die englischsprachige Literatur einbezogen wurde. Allerdings zeigt sich, dass ein einheitlicher und umfassender Zugang zu dem heterogenen Feld der Umweltgeschichte nur um den Preis der Abstraktion möglich ist. Zu verschieden sind Forschungsansätze und -methoden. Die konkrete Anwendbarkeit mancher der hier vorgestellten Modelle und Theorien in der historischen Forschung darf bezweifelt werden. Auch Winiwarter und Knoll fragen an einer Stelle, "kann historische Arbeit von einer derart abstrakten Theorie überhaupt profitieren?" (138) Die vorgestellten Themenfelder sind zwar gut begründet, erscheinen aber zu breit und schematisch. Vielleicht wäre es besser gewesen, sich auf einige wenige, dafür aber konkrete Beispiele im Forschungskontext zu konzentrieren, statt die Breite der Forschung darstellen zu wollen. Sehr gewinnbringend ist das Buch für alle, die sich einen Überblick über Forschungsansätze und Modelle im Bereich der Umweltgeschichte verschaffen wollen. Für Historikerinnen und Historiker bietet es außerdem auch einen Einstieg in die Fragestellungen und Methoden anderer Fächer. Die Publikation zeigt Möglichkeiten für die interdisziplinäre Kooperation auf, die es in der Praxis umzusetzen gilt.
Michael Wettengel