Florian Schaffenrath: Die Briefe des Priors Benedikt Stephani aus Stams (1640 - 1671) (= Tiroler Geschichtsquellen; Nr. 51), Innsbruck: Tiroler Landesarchiv 2006, 614 S., ISBN 978-3-901464-22-5, EUR 20,00
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Die Literaturgeschichte des Lateinischen in Tirol bildet den Zielhorizont eines umfangreichen Forschungsprojekts an der Universität Innsbruck. Die Texte dazu müssen vielfach erst neu zugänglich gemacht werden, wozu die vorliegende Edition einen Beitrag leisten will. Ihr Erscheinen als Tiroler Geschichtsquelle verweist zugleich auf die allgemeinhistorische Bedeutung der erstmals publizierten Geschäftsbriefe, die die Landes- und Kulturgeschichte des süddeutschen Raumes und des Zisterzienserordens in den Dezennien am Ende des Dreißigjährigen Krieges beleuchten.
Ediert werden 589 Briefe von Benedikt Stephani (1613-1672), Prior des in Tirol gelegenen Zisterzienserklosters Stams, die zwischen 1640 und 1671 an verschiedene Empfänger geschrieben wurden: kirchliche Würdenträger, Amtspersonen, Mediziner, meist in Tirol, Oberschwaben und Rom. Prominentester Adressat dürfte Ferdinand Ughelli sein, der hier allerdings nicht als Historiker erscheint, sondern als Generalprokurator des Zisterzienserordens.
Die Einleitung orientiert über Schreiber, Kloster und Landesgeschichte Tirols zur Abfassungszeit und gibt einen Überblick über zentrale Themen der Briefe, verzichtet aber klugerweise auf eine ausführliche Auswertung. Der Herausgeberkommentar kann sich auf einige wenige Identifizierungen und sprachliche Hinweise beschränken, denn die Edition selbst ist pragmatisch angelegt, das heißt, die kopiale Überlieferung, ein Sammelband der Stamser Bibliothek (Codex D 24), wird publiziert, ohne auf die Überlieferung der Originale und der Antwortschreiben einzugehen. Letzteres wäre vielleicht nicht ohne Interesse gewesen, um einen Einblick in die Archivsituation in Stams zu erhalten, handelt es sich hier doch um ein Kloster, das fast ohne Zäsuren bis in die Gegenwart besteht. Damit müsste es - theoretisch - über ein komplett erhaltenes Archiv verfügen, wovon man in vom Reichsdeputationshauptschluss 1803 massiv betroffenen Regionen meist nur träumen kann, da hier die Klosterarchive oft nur noch als Wirtschaftsarchive bestehen. Auf die in manchem Brief angekündigte Beilage könnte mancher Leser trotzdem neugierig sein. Als Auswertungshilfen hat der Herausgeber ein biographisches Lexikon der Hauptpersonen, einen chronologischen Überblick, ein Adressatenverzeichnis und zwei Register (Namen und Sachen) zusammengestellt.
Die Briefe beleuchten vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges, den Tirol praktisch nur in Gestalt von Kriegsflüchtlingen und Steuerdruck kennen lernte, den administrativen Alltag des Klosters in seinen vielfältigen Umweltbeziehungen, die durch Gefälligkeiten und stete Kommunikation zu einer Kloster-Familia strukturiert werden konnten. Die Hauptmasse der Briefe geht daher an den häufig in Landessachen in Innsbruck weilenden Abt, der sich letzte Entscheidungen oft vorbehält. Der Prior agiert in seinen Briefen vor allem als Personalvorstand: Ihn treibt um die Sorge um Rekrutierung, Auswahl, Ernährung und Gesundheit, Ausbildung und Disziplin der Konventualen vor allem in der Öffentlichkeit sowie deren angemessene Verwendung in den geistlichen wie weltlichen Aufgabenbereichen des Klosters. Viele Briefe behandeln daher medizinische Fragen oder Probleme der Studien und Bildung der jungen Mönche. Einen weiteren Diskursstrang bildet die Reform des Zisterzienserordens, wie sie Frankreich im Zuge der allgemeinen monastischen Restauration des 17. Jahrhunderts erlebte. Doch der Eifer französischer Ordensoberer drohte den Orden zu spalten, da die deutschen Klöster insbesondere das intendierte Fleischverbot ablehnten.
Die Bedeutung der vorgelegten Arbeit liegt vor allem in der überlieferungsgeschichtlich geklärten Seltenheit des klösterlichen Geschäftsbriefs selbst. Noch seltener sind Editionen, obwohl in jüngster Zeit mehrfach deutlich wurde, dass nicht nur Protestanten Briefe schrieben. Das Interesse der Forschung richtet sich dabei vor allem auf die Briefe von Gelehrten, wie es der in der Frühen Neuzeit selbst begründeten Tradition entspricht. Hier sind die Brüder Pez, Benediktiner zu Melk, zu nennen, deren umfangreicher, auch brieflicher Nachlass aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in einem Projekt des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Wien aufgearbeitet wird. [1] An älteren, inhaltlich vergleichbaren, meist verstreut und in der Regel unselbständig erschienenen Editionen ist der Briefkorpus Anton Spindlers zu Hofegg zu nennen, der in die Epoche Stephanis fällt. [2]
Bei aller Bescheidenheit des im Hintergrund wirkenden Priors sorgte dieser doch dafür, dass seine umsichtigen, konsensorientierten Weisungen in einem Kopiar als Gesamtüberblick erhalten blieben. Vielleicht sollten sie einer späteren Generation die Fortsetzung von Pater Wolfgang Lebersorgs Chronik des Klosters Stams erlauben. [3] In der Tat beleuchten die Schreiben detailliert, wie ein klösterliches Wirtschaftssystem funktionierte und welche Verbindungen das landständische Kloster mit Untertanen, kirchlicher Hierarchie und Fürstenhof zu pflegen hatte. In ihrem Mittelpunkt steht jedoch die Sorge um Perpetuierung und optimale Funktion des zölibatären Modells, einer sozialen Formation, die neben den staatlichen Formationen wie der Republik und der Dynastie in der frühen Neuzeit nicht ohne beachtliche innere Erfolge bestand. Stephanis Streben und Tätigkeit und seine davon zeugenden Briefe können daher zugleich exemplarisch für das Klosterleben Alteuropas bewertet werden. So weist die vorliegende Edition weit über ihren räumlichen und zeitlichen Rahmen hinaus.
Anmerkungen:
[1] Siehe http://www.univie.ac.at/Geschichtsforschung/ hier weiter unter Aufgaben > Forschung (18.09.2007).
[2] Cölestin Wolfsgruber (Hg.): Die Correspondenz des Schottenabtes Anton Spindler von Hofegg, Wien 1893.
[3] Christoph Haidacher (Hg. und Übers.): Pater Wolfgang Lebersorgs Chronik des Klosters Stams. Stiftsarchiv Stams, Codex D 40. Edition und Übersetzung (Tiroler Geschichtsquellen; Bd. 42), Innsbruck 2000.
Stefan Benz