Elke Mahler: Handlungsorientierter Geschichtsunterricht. Theorie - Praxis - Empirie (= Schriften zur Geschichtsdidaktik; Bd. 19), Idstein: Schulz-Kirchner Verlag 2006, 408 S., ISBN 978-3-8248-0357-6, EUR 44,95
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Bärbel Völkel: Handlungsorientierung im Geschichtsunterricht (= Methoden Historischen Lernens), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2005, 176 S., ISBN 978-3-89974-127-8, EUR 13,40
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Hans Joachim Gach: Geschichte auf Reisen. Historisches Lernen mit Museumskoffern, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2005
Gabriele Lingelbach (Hg.): Vorlesung, Seminar, Repetitorium. Universitäre geschichtswissenschaftliche Lehre im historischen Vergleich, München: Martin Meidenbauer 2006
Susanne Gesser / Heike Kraft: Anschauen-Vergleichen- Ausprobieren. Historisches Lernen in Kinder und Jugendmuseen, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2006
Während in anderen (Schul-)Fächern der Begriff der Handlungsorientierung seinen Siegeszug durch die Didaktiken schon hinter sich hat, erscheint es so, als sei die Geschichtsdidaktik mitten in einer Diskussion um diesen Begriff. An ihm scheiden sich aber die Geister: Schon über die Frage, ob Handlungsorientierung eine "Methode", ein "Prinzip" oder "Konzept" sei, herrscht keine Einigkeit.
Elke Mahler legt mit ihrer Dissertation einen 400 Seiten starken Versuch vor, Handlungsorientierung als Konzept darzulegen und zu begründen.(1) Sie wählt "zur theoretischen Grundlegung" (13) den Zugang über die "deutsche Bildungstradition" (19) und "aktuelle Begründungen von Handlungsorientierung" (67 ff.) Diesem Zugriff stellt Mahler eine Begriffsklärung der Termini "Handeln", "Handlung" und "Handlungsorientierung" voran (13 f.). Während bei den Begriffsdefinitionen enzyklopädisches Wissen dargelegt wird, schlägt Mahler in den "Traditionslinien" einen großen Bogen: von den Pädagogik-Klassikern (Comenius, Rousseau, Pestalozzi), über die Reformpädagogen (Kerschensteiner, Gaudig, Dewey) und der sowjetischen kulturhistorischen Schule (Leontjew, Galperin) bis zu Piagets Entwicklungspsychologie sowie Aeblis "Zwölf Grundformen des Lernens". Die aktuellen Begründungen umreißen ein ebenso weites Feld mit u. a. Anlehnungen an Habermas, das Feststellen einer "Sinnkrise" (79) der Schule insgesamt und defizitärem "Normalunterricht" (Hervorhebung im Original, 84).
Auf der Basis dieser Ausführungen wird der handlungsorientierte Geschichtsunterricht als "Konzept zur Vermittlung von Geschichte" (101) relativ kurz dargelegt. Die Merkmale für Handlungsorientierung werden (im Wesentlichen fußend auf Dewey, Aebli und Gudjons) aus allgemein pädagogischen Überlegungen heraus gewonnen und mit Forschungsergebnissen belegt, die Mahler aus dem von ihr durchgeführten Projekt "SiGeNa - Schülerinitiative Geschichte Nürnbergs aktiv" gewonnen hat. Die in vielen einschlägigen Publikationen mangelnde definitorische Trennschärfe der Begriffe "Projekt" (Projektmethode, Projektunterricht, Projektorientierung) und "Handlungsorientierung" wird von der Autorin leider nicht behoben. Die geschichtsdidaktische Einordnung erfolgt einzig in Abgrenzung zum problemorientierten Geschichtsunterricht: Es handle sich um zwei geschichtsdidaktische Konzepte, die zwar Berührungspunkte aufwiesen, aber als unabhängig zu betrachten seien (112). Gut getan hätte dem Definitionsversuch eine Begründung, warum und v.a. wie mit handlungsorientiertem Unterricht speziell historisches Lernen begünstigt wird.
Interessant ist, dass Elke Mahler mit ihrer Untersuchung den Boden der rein theoretischen Überlegungen verlassen hat und sich einer groß angelegten Projektarbeit anlässlich des Nürnberger Stadtjubiläums stellte, die über 350 Schülerinnen und Schüler aus 20 Klassen und vier Schulformen (Grund-, Haupt-, Realschule und Gymnasium) umfasste: "Ziel (...) war es, eine Ausstellung von Schülern speziell für Schüler (...) zu gestalten" (114). Die Gymnasiallehrerin, die auch Geschichtsdidaktik an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrt, hat in diesem Projekt nicht nur durch die empirische Begleituntersuchung entscheidend mitgewirkt, sondern auch in der Phase der Planung und Durchführung. So lag zum Beispiel die pädagogische Betreuung der Schulklassen sowie Organisationsaufgaben in ihren Händen. Ziel der Untersuchung war es, den "Stimmen aus der Praxis" (261) Gehör zu verschaffen und etwas über die Akzeptanz des Konzeptes des handlungsorientierten Geschichtsunterrichts bei den Schülerinnen und Schülern zu erfahren. Mittels einer "Mischform aus quantitativen und qualitativen Verfahrensweisen"(262) wurde eine "klassische Variante der empirischen Sozialforschung" (261) angewendet.
Die Schilderung des Gesamtprojektes "SiGeNa - Schülerinitiative Geschichte Nürnbergs aktiv" und die Exemplifizierung aller Einzelprojekte nimmt breiten Raum ein. Elke Mahler befragte in ihrer ausführlich dokumentierten Begleituntersuchung die Lehrerinnen und Lehrer vor dem Start des Projektes und nach Abschluss nach ihren Erfahrungen: Vor dem Beginn des Projektes (standen) "fast alle befragten Lehrkräfte dem Konzept des handlungsorientierten Unterrichts positiv gegenüber" [...] und gaben auch an, schon Erfahrungen mit handlungsorientiertem Unterricht gemacht zu haben (277). Nach Beendigung des Projektes wurde festgestellt, dass fast alle Lehrkräfte die Arbeit als "gut oder anregend empfanden". Die Schülerinnen und Schüler hätten "wichtige Kompetenzen" und "Schlüsselqualifikationen" erworben, Lernfortschritte seien hauptsächlich im affektiven und methodischen Bereich, aber auch auf der kognitiven Ebene erzielt worden (299). Die zweite Gruppe der Befragten waren die Schülerinnen und Schüler. Fazit dieser Befragung: "Wissensbestände verankern sich im Gedächtnis der Jugendlichen offenbar besser, wenn sie von den Schülern selbst erarbeitet wurden, speziell wenn sie handelnd mit ihnen umgegangen waren." (370) Beide Einsichten bestätigen die Erfahrungen, die mit Projektunterricht oder projektorientiertem Unterricht - nicht nur im Geschichtsunterricht - seit seiner Einführung gemacht werden.
Die Arbeit von Elke Mahler ist ein Dokument gelungener Zusammenarbeit von Schule, Museum und Hochschule und insofern beispielhaft, als man sich solche Projekte an vielen Orten wünscht. Eine Klärung des Begriffs der Handlungsorientierung und seiner Spezifik im Geschichtsunterricht bleibt die Autorin allerdings schuldig.
Der Frage nach dem "Mehrwert" von handlungsorientiertem Unterricht geht Bärbel Völkel in ihrer schon 2005 erschienenen Abhandlung "Handlungsorientierung im Geschichtsunterricht" nach, die in der Reihe "Methoden historischen Lernens" im Wochenschau Verlag erschienen ist. Der klassischen Aufteilung dieser Reihe folgend unterteilt Völkel, die seit 2007 als Professorin Geschichte und ihre Didaktik an der PH Ludwigsburg lehrt, ihre Studie in einen Theorieteil (der ein knappes Drittel des Buches ausmacht) und einen Praxisteil. Sie legt eine lehrreiche theoretische Fundierung des Terminus vor und eine ansehnliche Anzahl an unterrichtspraktischen Beispielen. Beachtenswert ist, dass die Autorin auch die schwierige Frage nach der Leistungsbemessung und -beurteilung nicht außen vor lässt.
Es gelingt Völkel auf der Basis verschiedener Ansätze zur Begründung von Handlungsorientierung, Merkmale des handlungsorientierten Arbeitens herauszuarbeiten: Sie argumentiert mittels allgemeinpädagogischer wie kognitions- und lernpsychologischer Nachweise für ein Verständnis von "Handlungsorientierung im engeren Sinne" (14 f.), das sie definitorisch mit "projektorientiertem Unterricht" (14) gleichsetzt. Dieser Definition setzt die Autorin eine weitere hinzu: "Handlungsorientierung im weiteren Sinne" (17 f.). Hierunter wird alles gefasst, was in eine Einzelstunde eingebunden werden kann und "schüleraktive Elemente, die auf einer handelnden Ebene den Erkenntnisprozess unterstützen" (17), enthält. "Das Besondere", so führt Völkel aus, "besteht [...] darin, dass die Handlung als didaktische Entscheidung durch die Lehrperson in den Unterricht eingebracht wird (17)." Und sie postuliert: "Im Mittelpunkt eines handlungsorientierten Geschichtsunterrichts haben nicht Aktionen, sondern Denkprozesse über Geschichte zu stehen."(20)
Handlungsorientierung ist bei Völkel zuvorderst geschichtsdidaktisches Prinzip (21 f.). Sie knüpft an Schulz-Hageleit an und plädiert für eine "Ganzheitlichkeit" im Lernprozess. Das "Handeln" ist dabei zentraler Moment, denn erst durch die eigene Handlung wird Denken - und damit Deuten - möglich: Die Aktivität der Schülerinnen und Schüler wird zum Auslöser von Denkprozessen. Bärbel Völkel geht mit dieser Argumentation von einem Lernbegriff aus, den man mit "weniger Instruktion - mehr Konstruktion" fassen könnte. Ein solches Verständnis von Geschichtelernen, bei dem Geschichte nicht als "Stoff" sondern als "Vorstellung" erarbeitet wird, setzt die (individuelle) Schüleraktivität voraus. Sie weist diesem Gedanken folgend der Handlung diverse didaktische Funktionen zu - je nach dem, welches Ziel verfolgt wird - und macht so wieder deutlich, dass die bewusste und bedachte Entscheidung der Lehrkraft wesentlich für das Gelingen eines Lernprozesses verantwortlich ist.
Im Kapitel "Leistungsbemessung und Leistungsbeurteilung" werden zwei Wege aufgezeigt, wie jenseits der gängigen punktuellen Testate Leistung gemessen und beurteilt - und letztlich auch bewertet werden kann: Die prozessorientierte Leistungsbewertung stellt den Weg und nicht das Ziel ins Zentrum der Betrachtung. Hierbei versucht Völkel ein gängiges Raster der Bewertung (Sachkompetenz, Methodenkompetenz, Deutungskompetenz) auf den handlungsorientierten Unterricht anzuwenden. Sie stellt die Verfahren "Lerntagebuch" und "Portfolio" vor (44 ff.), die ihrer Meinung nach einer ausführlichen Begutachtung bedürfen und voraussetzen, dass für die Schülerinnen und Schüler ein hohes Maß an Transparenz über den Erwartungshorizont und die Bewertungskriterien vorherrscht. Die produktorientierte Leistungsbewertung nimmt das Produkt der Schüleraktivitäten in den Fokus der Betrachtung und fragt nach Qualität der Handlungsprodukte. Das mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam vorzunehmende Urteil wird auf der Basis zuvor festgelegter Kriterien diskursiv angebahnt.
Den Löwenanteil des Buches nehmen die Praxisbeispiele ein. Es zahlt sich hier aus, dass Bärbel Völkel über langjährige Erfahrung als Lehrerin und Fachleiterin in der Referendarausbildung verfügt: Sie präsentiert einen großen Fundus an zum überwiegenden Teil sehr interessanten Beispielen, die vielfach auch übertragbar auf andere Unterrichtsthemen sind. Man merkt dem Buch seine Herkunft an: Völkel ist Lehrerin und Hochschuldidaktikerin und verbindet diese beide Perspektiven auf Geschichtsschulunterricht trefflich in dem vorlegten Band. Es ist ein in der Aus- und Fortbildung von (zukünftigen) LehrerInnen schon jetzt nicht mehr wegzudenkendes Lehrbuch, dass die Augen öffnet für das Potenzial von Geschichtslehre jenseits des "Normalunterrichts".
Zu diskutieren bleibt allerdings weiterhin, ob die von Elke Mahler vorgenommene Unterteilung in "Problemorientierung" und "Handlungsorientierung" trägt. Michele Barricelli [1] und Marko Demantowsky [2] greifen diese Unterscheidung auf und sprechen von "unterrichtsmethodischen Strukturierungskonzepten"; der Bochumer Juniorprofessor für Geschichtsdidaktik Demantowsky folgt mit seiner Begrifflichkeit Hilke Günter-Arndt (2003) und geht in der Zuweisung der Handlungsorientierung so weit, dass er sie zu "Typen-Beschreibungen lehr- lernmethodischer Planung" erklärt. Die bei Bärbel Völkel anklingende Frage, ob die Handlungsorientierung nicht vielmehr das Pendant zur Wissenschaftsorientierung des Geschichtsunterrichts sei - und damit aus meiner Sicht keinesfalls auf eine unterrichtsmethodische Entscheidung zu reduzieren - scheint mir noch nicht abschließend geklärt.
Anmerkungen:
[1] Siehe Michele Barricelli: Tagungsbericht zur Sektion "Handlungsorientierung und Geschichtsbild" auf dem 46. Historikertag in Konstanz unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=826&type=diskussionen (22.9.2007).
[2] Marko Demantowsky: Unterrichtsmethodische Strukturierungskonzepte, in: Geschichtsmethodik. Handbuch für Sekundarstufe I und II, hg. von: Hilke Günter-Arndt, Berlin: Cornelsen Skriptor 2007, 63-76.
Myrle Dziak-Mahler