Stephan Conermann: Islamische Welten. Einführung, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 [15.07.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/07/forum/islamische-welten-40/
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Von Stephan Conermann
Das Forum "Islamische Welten" hat sich mittlerweile sehr gut in sehepunkte etabliert. Auch in der islamwissenschaftlichen Gemeinde nimmt die Akzeptanz dieser Form von Rezensionsorgan stetig zu. In dieser Ausgabe findet sich eine Reihe von Besprechungen interessanter Werke aus vielen Bereichen unseres Faches. Die Bücher wurden in dem Zeitraum von 2005 bis 2007 veröffentlicht - nur in einem Fall haben wir ein früher publiziertes Werk (Pusch, 2001) besprechen lassen, da uns dieser Sammelband als sehr wichtig und bisher nicht hinreichend gewürdigt erschien.
Die schon in einer Einleitung zu einem der vorangegangenen Foren [6 (2006), Nr. 12] gemachte Bemerkung über die Schwierigkeit von Sammelbänden, bestätigt sich wieder einmal (Elger zu Bernards/Nawas). Patronage und Patronat im frühen und im klassischen Islam sind natürlich sehr wichtige Themen, doch geben die Herausgeber häufig genug keine Leitlinie vor. So wird überhaupt nicht klar, ob es in dem hier zu besprechenden Band um Patronage im Allgemeinen, um das Verhältnis von Nichtarabern und Arabern in der frühislamischen Gesellschaft oder um die Bedeutung des arabischen Begriffes mawlā gehen soll.
Einen ähnlichen Mangel an inhaltlicher Kohärenz kann man für gewöhnlich auch bei Bänden konstatieren, die aus Tagungen hervorgehen, welche sich auf die Erforschung eines Raumes in einer bestimmten Epoche konzentrieren. So gibt es seit 1992 eine jährlich stattfindende Konferenzreihe zur Geschichte Ägyptens und Syriens in fatimidischer, ayyubidischer und mamlukischer Zeit. Die Veröffentlichung der Beiträge, die auf Kolloquien im Mai 2000 und 2001 an der Katholischen Universität Löwen präsentiert wurden, liegt nun vor. Die 21 Artikel, die eben nur lose zusammenhängen, haben ein sehr unterschiedliches Niveau und bieten insgesamt einen bunten Strauß an Einzelaspekten, was natürlich bei dem Leser einen ambivalenten Eindruck hinterlässt (Fuess zu Vermeulen/Steenbergen).
Ein bemerkenswerter Trend in unserem Fach ist, dass in letzter Zeit immer mehr Bücher über das Osmanische Reich erscheinen, obgleich die Zahl der Osmanisten weltweit nicht gerade sehr groß ist. Besprochen werden in diesem Forum drei wirklich sehr gelungene Studien zur Naqbandiyya im Osmanischen Reich in der Zeit von 1450-1700 (Marsawa zu Le Gall), zur osmanischen Tanzimatzeit (1839-1876) am Beispiel der albanischen Stadt Shodër mit Umland und am Beispiel des Libanongebirges (Agai zu Reinkowski) sowie zur osmanische Administration im Irak 1890-1908 (Eich zu Cetinsaya).
Die Alteritätsforschung gibt der Islamwissenschaft sehr wichtige Impulse, geht es doch in vielen Bereichen um die Erfahrung des Fremden und den Umgang mit anderen, so genannten 'orientalischen' Gesellschaften und ihren Strukturen. Ein willkommenes Quellenmaterial stellen zum einen historische (und zeitgenössische) Reiseberichte dar, zum anderen aber auch die mithilfe von Interviews abgefragten und dokumentierten Erlebnisberichte von Touristen und Expatriates (Schönig zu Willhardt).
Dass auch Journalisten bisweilen sehr gute Sachbücher mit wissenschaftlichem Anspruch schreiben können, haben nicht nur die beiden New-York-Times Korrespondenten Robert Fisk und Thomas L. Friedman in ihren bekannten Studien zum Libanon ("Pity the Nation: Lebanon at War", 3. Aufl. London 2001 bzw. "From Beirut to Jerusalem", 2., um ein Kapitel ergänzte Aufl., New York 1995) gezeigt. Dies beweist nämlich nun auch ihre Kollegin Marvin Howe mit ihrem - trotz kleinerer Fehler und Orientalismen - überaus lesenswerten Werk über Marokko an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert (Sajid zu Howe).
Grundsätzlich stellt sich bei Rezensionen innerhalb der sehepunkte die Frage, ob man auch literarische Werke besprechen sollte. Wir haben uns im Einzelfall dafür entschieden, denn bisweilen ist die Belletristik sehr viel besser geeignet, die emotionalen Haushalte von Individuen und die Rezeption von Ereignissen oder politischen Veränderungen in verschiedenen Gesellschaftsschichten verdichtet zu erfassen als wissenschaftliche Abhandlungen (Wagner zu Pamuk). Darüber hinaus sind in vielen Ländern die Schriftsteller selbst Teil des politischen Diskurses und anhand ihrer Situation lassen sich viele Rückschlüsse auf die Stimmungslage vor Ort ziehen.
Die Geschlechterforschung erlebt seit einigen Jahren in der Islamwissenschaft einen regen Aufschwung. Inzwischen sind viele substantielle Werke zu diesem Bereich verfasst worden. In einem sehr guten Sammelband zur Situation der "neuen" muslimischen Frau in der Türkei (und anderswo) kommen nicht nur Wissenschaftlerinnen und Reporterinnen zu Wort, sondern auch Feministinnen aus anderen Berufszweigen (Kleefisch zu Pusch). Eine große Rolle spielt dabei die Möglichkeit, sich in einem öffentlichen Raum zu artikulieren. Nur wenn ein solcher existiert, können die Rolle der Religion, die Stellung der Frau und die Wahrnehmung des Körpers diskutiert werden (Ceyhan zu Göle/Ammann sowie Khosravie zu Heinze). Im Westen melden sich bisweilen auch muslimische Geisteswissenschaftlerinnen mit einem dezidiert feministischen Anspruch zu Wort. So fordert etwa die amerikanische Erziehungswissenschaftlerin syrischer Herkunft Nimet Hafez Barazangi nachdrücklich eine weibliche Neuinterpretation des Korans (Vardar zu Barazangi).
Brandaktuell und von großer Bedeutung ist die Frage: Wie werden junge Männer, die in Europa sozialisiert sind, zu Terroristen? Leider liegen uns nur spärliche Informationen über den Werdegang jugendlicher Attentäter vor, geschweige denn fundierte soziologische Analysen. Manch eine journalistische Arbeit zu diesem Komplex ist von erschreckender Unkenntnis und zeugt von einer geradezu fahrlässiger Recherchearbeit (Agai zu Mekhennet/Sautter/Hanfeld).
Aber auch die Aufarbeitung der "Deutschen Zustände" bedarf offensichtlich noch intensiver Forschung. Die auf zehn Jahre angelegte gleichnamige Vorzeigestudie, die von Soziologen, Psychologen und Sozialwissenschaftlern durchgeführt und mittels eines Stiftungskonsortiums unter Leitung der VW-Stiftung finanziert wird, leistet nur mittelmäßige Arbeit. Der vierte Jahresbericht über "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" bringt leider nur wenig neue Erkenntnisse (Müllauer zu Heitmeyer).
Ich wünsche allen viel Spaß beim Lesen der Besprechungen und möchte mich an dieser Stelle wieder einmal ganz herzlich bei den Herren Kulke, Becker und Kaiser für die konstruktive und reibungslose Zusammenarbeit bedanken!