Christoph Cornelißen (Hg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, 3. Aufl., Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2004, 320 S., ISBN 978-3-596-14566-9, EUR 13,90
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Die vom Kieler Neuzeithistoriker Christoph Cornelißen herausgegebene Einführung in die Geschichtswissenschaften richtet sich an Studienanfänger und fortgeschrittene Studierende. Das Buch ist viergliedrig aufgebaut. Ein erster Abschnitt behandelt "Geschichtswissenschaften heute". Thematisiert werden das Studium der Geschichtswissenschaften, der Stand der Historiografie am Ende des 20. Jahrhunderts sowie der Beruf des Historikers seit 1945. Darauf folgen fünf Kapitel zu einzelnen historischen Epochen: Der Ausdifferenzierung der Universitätslandschaft und den Interessen vieler Studierender trägt die Aufteilung der Neuzeit in drei Beiträge Rechnung: zur frühneuzeitlichen, Neueren und Zeitgeschichte. Der Abschnitt "Felder der Geschichtswissenschaften" behandelt sowohl thematische (Wirtschaftsgeschichte, neuere Militärgeschichte), methodische (Politische Geschichte, Sozialgeschichte, Kulturgeschichte) als auch geografische Aspekte (Osteuropäische Geschichte, Imperialgeschichte). Ein letzter Teil geht auf die "Erweiterung der Geschichtswissenschaften" ein: Dahinter verbergen sich Kapitel zur Mentalitätengeschichte, Technikgeschichte, Geschichte der Erinnerungskulturen, neuen Religionsgeschichte, Geschlechtergeschichte und Historischen Anthropologie. Die Autorinnen und Autoren sind häufig eher jüngeren Alters und allesamt ausgewählte Spezialisten auf den von ihnen behandelten Gebieten. Die Beiträge haben im Schnitt eine Länge von 15 Seiten. Sie sind meist in einer eingängigen, verständlichen Sprache verfasst und nicht mit Fußnoten überladen; jeder Artikel wird von einer knappen Auswahlbibliografie (ca. zehn Titel) abgeschlossen. Den Band beschließt eine knapp gehaltene Bibliographie mit den wichtigsten Standardwerken des historischen Arbeitens.
Über die Auswahl der Themen lässt sich naturgemäß geteilter Meinung sein. Die Verteilung der Kapitel auf die Abschnitte III und IV hätte vielleicht auch anders ausfallen können; den traditionellen Fächerkanon und die Aufteilung der historischen Wissenschaften in Epochen-, Sach- und Regional- bzw. geographischen Disziplinen sucht man vergeblich; so fehlen Artikel zu den Historischen Hilfswissenschaften, zur Spezifik von Landes- oder Regionalgeschichte oder zu Historischer Geografie. Im Sinne einer modernen geografischen Erweiterung der Geschichtswissenschaften ließe sich umgekehrt fragen, ob nicht neben Osteuropa auch andere Weltregionen einen eigenen Artikel verdient hätten.
Dass die vorhandenen Themen eher allgemein gehalten sind und ohne viele Zugeständnisse gegenüber kurzlebigen Neuerungen der Geschichtswissenschaften auskommen, macht den Wert des Bandes aus. Gerade im Hinblick auf die Straffung des Studiums im Zuge der Bologna-Reformen bieten die meisten Artikel eine ausgezeichnete Einstiegslektüre für einzelne Seminare: Für annähernd jede Seminarthematik dürfte mindestens ein grundlegendes Kapitel dabei sein, das gerade, aber nicht nur Studierenden in unteren Semestern dabei hilft, die jeweiligen Forschungstendenzen und Interessenschwerpunkte bestimmter Richtungen zu identifizieren. Zugleich bedeutet dies aber, dass sich das Gesamtwerk nicht als Seminarbegleitung eignet, da in der Regel eben nur einzelne Beiträge relevant sind. Damit reduziert sich sein Einsatz auf ausgewählte Kapitel je nach Seminarthematik - dies aber durchaus auch für Studienanfänger, wie vom Herausgeber angestrebt. Ob es sich als ganzes schon im Vorfeld des Studiums zur Orientierung für potentielle Studierende der Geschichtswissenschaften eignet, scheint aber aufgrund von Themenauswahl und Sprache eher unwahrscheinlich.
Was der Band nicht leistet (und nicht leisten kann), ist eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten. Das Werk geht nicht auf Quellenfragen ein und allenfalls im Rahmen der Einzelthemen auf Theorie- und Methodenprobleme oder auf die Geschichte der Geschichtswissenschaft - abgesehen vom Artikel Wolfgang J. Mommsens über den Stand der Historiografie. Weitere Hinweise liefert hierfür die Bibliografie am Ende des Bandes. Das Buch trägt für Studierende in Anfangssemestern nicht zur Orientierung in der universitären Praxis bei. Dies tut freilich dem Nutzen des Werkes keinerlei Abbruch, dessen Artikel sich von Fall zu Fall als einführende oder ergänzende Seminarlektüre zur Erweiterung von Hintergrundinformationen ausgezeichnet eignen. Es bietet in souveräner, komprimierter Form eine Bestandsaufnahme der Interessen deutscher Geschichtswissenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts - freilich wird kaum ein Studierender das gesamte Buch lesen, und insofern dürfte es vor allem von Lehrenden und Bibliotheken gekauft werden.
Alexander Schunka