Bénédicte Savoy (Hg.): Tempel der Kunst. Die Entstehung des öffentlichen Museums in Deutschland 1701-1815, Mainz: Philipp von Zabern 2006, 567 S., 284 Abb., ISBN 978-3-8053-3637-6, EUR 59,90
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Bis in die 90er-Jahre galt die Öffnung des Louvre während der Französischen Revolution als Wasserscheide in der Museumsgeschichte - hier Fürstenpalast, dort Volksmuseum. 1991 markierte Deborah Meijers mit ihrer bahnbrechenden Untersuchung zu Christoph von Mechels Hängung der Habsburger Gemäldesammlung nach Schulen als "sichtbare Geschichte der Kunst" im Oberen Belvedere, Wien, einen epistemischen Bruch in den 1780er-Jahren. Neuere Forschungen zum Louvre verdeutlichten, dass die ersten Planungen für die Einrichtungen eines Museums dort eine repräsentative fürstliche Galerie vorsahen und der 1793 geöffnete Louvre den zeitgenössischen Standards wissenschaftlicher Hängung widersprach. Im Jahr 2000 konfrontierte Edouard Pommier beide Galerien unter der Leitfrage, welches das revolutionärere der beiden Museen sei und entschied sich für Wien. [1]
Für die Bewertung, ob Öffentlichkeit oder kunsthistorische Ordnung der entscheidende Schritt auf dem Weg zum modernen Kunstmuseum ist, kommt nun mit dem von Bénédicte Savoy herausgegebenen Sammelband "Tempel der Kunst" reiches Argumentationsmaterial hinzu. Trotz bedeutender internationaler Tagungen und einzelner Untersuchungen fehlte der Museumsforschung bisher der Überblick über die reichhaltige Kultur der Musealisierung an deutschen Fürstenhöfen im 18. Jahrhundert. Kunstwerke wurden hier nicht nur gesammelt, sondern auch geordnet und die Verpflichtung solches Wissen zugänglich zu machen, gab schon früh im 18. Jahrhundert den Kunstsammlungen einen öffentlichen Charakter.
"Tempel der Kunst" ist in drei Teile gegliedert. Fünf thematischen Essays folgen der Hauptteil mit einer Auswahl öffentlich zugänglicher Kunstsammlungen im deutschsprachigen Raum sowie ein umfangreicher Quellenteil. Der einleitende Essay von Savoy zum Öffentlichkeitscharakter deutscher Museen im 18. Jahrhundert (9-27) stellt sich der Kernfrage: Ist eine Kunstsammlung, die eingeschränkt für ein Publikum zugänglich ist, schon ein Museum? Drei Kriterien - Gemeinnützigkeit, Wissenschaftlichkeit und Zugänglichkeit - sieht Savoy erfüllt durch die Art der Hängung, die eine Verschiebung vom Künstlermuseum (zum Studium, zum Kopieren) hin zum Kunstmuseum signalisiert, durch geregelte Öffnungszeiten und sammlungsbezogene Publikationen. Letztere bezeugten auch die parallele Geschichte von früher Kunstgeschichte und Museumsgeschichte. Ein Meilenstein im Kampf gegen die "sedimentierten Vorurteile" ist Savoys Einschätzung, dass mit der Wiener Galerie im Oberen Belvedere eine Präsentationsform nicht neu erfunden wird, sondern sich eine seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts bestehende Tendenz verfestigt - Wien ist kein Anfangspunkt, sondern ebenso wie der Louvre eher ein Endpunkt. Bereits die Einleitung verdeutlicht, "dass die deutsche Museumsöffentlichkeit schon lange vor 1800 nicht nur mit übersichtlichen Bilderhängungen und Rundgängen rechnete, sondern auch mit einem wissenschaftlich korrekten Begleitapparat." (20)
Dass der Sammlungskatalog als "Seismograph der zeitgenössischen kunsthistorischen Entwicklungen" (19) von Savoy nicht in Zusammenhang mit dem Kunstmarkt und -handel gestellt wird, der im 18. Jahrhundert auch in Deutschland gewichtige Beiträge zur Verwissenschaftlichung des Umgangs mit Kunst liefert, fällt spätestens im Essay von Astrid Bähr ("Der langsame Abschied vom Galeriewerk im 18. Jahrhundert", 47-54) auf. Die Autorin gibt ausgehend von David Teniers Stichwerk "Theatrum Pictorium" von 1660 einen konzentrierten Überblick über Ausstattung und Zielrichtung von Galeriewerken - die Funktion wandelt sich vom Repräsentationsbedürfnis des Fürsten zur Wissenschaftlichkeit für ein breiteres Publikum. Ob das Galeriewerk im 18. Jahrhundert tatsächlich einen Niedergang erlebt, lässt sich angesichts der nahezu nahtlos anschließenden Reproduktionswerke des 19. Jahrhunderts allerdings bezweifeln.
Der Historiker Etienne François fügt der Museumsgeschichte mit einem Überblick zum "Zeitalter der 'Haupt- und Residenzstädte' " (27-34) die sozialhistorische Perspektive hinzu und verweist Jürgen Habermas' "Strukturwandel der Öffentlichkeit" (1962) in seine historischen Schranken. Dessen bürgerlich-aufklärerischer Debattier- und Kaffeehauskultur, setzt er Standortfaktoren wie enormes wirtschaftliches Wachstum, Bevölkerungszunahme, starke architektonische Eingriffe in das Stadtbild und die Konzentration von 'Intellektuellen' in den Residenzstädten entgegen.
Am schwierigsten scheint eine bereits früh im 18. Jahrhundert verankerte Museumsidee in der Architektur nachzuweisen zu sein. Adrian von Buttlars "Europäische Wurzeln und deutsche Inkunabeln der Museumsgeschichte" (35-46) gehen nur wenig über Bekanntes hinaus und tendieren zu großen Teilen ins 19. Jahrhundert. Auf englische Vorbilder hinsichtlich der Ablösung der Galerie vom Hauptbau, Eingangsbereich, Beleuchtung und Erschließung des Gebäudes weist Buttlar zwar hin, eine konkrete Ausarbeitung der Vorformen und neuen Funktionen im frühen 18. Jahrhundert bleibt jedoch aus.
Der fünfte Essay ist die bereits erwähnte, nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegende vergleichende Studie von Pommier, die durch ihren differenzierten und kenntnisreichen Umgang mit den Quellen besticht: Mechels von Künstlern heftig kritisierte 'Pioniertat' der historiographischen Ordnung in Wien wird nun als Reaktion auf die früheren museographischen Entwicklungen in Düsseldorf und Braunschweig verständlich. Im Louvre dagegen stellt man das Amüsement der Neugierigen in den Vordergrund. Die Einrichtungskommission wollte ein Museum wie "ein Blumenbeet, das mit den schönsten Farben gespickt ist" (60), das den Künstlern nützt und zugleich sein Publikum unterhält und verzaubert, weil es ein "Spiegel des Universums" ist (63).
Im zweiten und längsten Teil ("Museen", 67-360) werden dreizehn wichtige Sammlungen und Galerien des 18. Jahrhunderts in detailreichen Studien vorgestellt. [2] Die Autoren fassen den reichhaltigen Forschungstand zusammen hinsichtlich baulicher Lage, höfischem Hintergrund, Ausstattung, Sammlungsgeschichte, Präsentation, erschienener Kataloge und Zugänglichkeit der Sammlung. Aufgenommen wurden die Gemäldegalerien in Salzdahlum (1701), Düsseldorf (ab 1714), Dresden (1744), Kassel (1753), Potsdam/Sanssouci (1764), Wien (1779/81), München (Hofgartengalerie, 1783) und Mainz (1801), ebenso wie die Antikengalerien in Dresden (1727), der Mannheimer Antikensaal in der Zeichnungsakademie (1767) und das Museum Fridericianum (1779). Aber auch das Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig (1754), das königlich academische Museum in Göttingen (1773) sind dargestellt. Die verschiedenen Museumstypen werden in chronologischer Reihenfolge (programmatisch) gemeinsam dargestellt gegen die gängige Auffassung, dass erst das 19. Jahrhundert die getrennte Präsentation von Antiken und Gemälden hervorgebracht habe. Auch die Aufnahme von Naturalienkabinetten in diese Reihe signalisiert deren festen Platz in den musealen Präsentationsformen im 18. Jahrhundert.
Alle Beiträge sind mit reichem Bildmaterial in exzellenten Schwarz-Weiß-Abbildungen und einer Fülle von Nachweisen versehen. Die aus der jeweiligen Sammlungsgeschichte sich ergebenden Akzente - etwa die detaillierten Untersuchungen zum skulptierten Bildprogramm der Galerie in Sanssouci als Kommentar zur Kunstgeschichte oder die kunsttheoretisch-didaktischen Grundlagen einer erfahrbaren Qualitätssteigerung in der Münchner Hofgartengalerie fächern die vielfältigen Möglichkeiten musealer Präsentation im 18. Jahrhundert auf. Chronologie oder Öffentlichkeit waren offenbar nicht die einzigen Alternativen.
Der dritte Teil versammelt "Zeitgenössische Stimmen" (361-555) - Material, das in Briefkorrespondenzen und anderen Quellen äußerst aufwändig zu recherchieren ist. Auffällig ist, dass die meisten der versammelten, auf Reisen entstandenen Äußerungen, aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts datieren. Eine ausführliche Würdigung der für die Rezeption und Einrichtungen von Sammlungen bedeutenden Reisekultur fehlt dem Band, was jedoch die Verdienste kaum schmälert. Hatte James J. Sheehan in seiner schmalen "Geschichte der deutschen Kunstmuseen" im 18. Jahrhundert lediglich Vorläufer erkennen können und ältere Literatur wie Plagemann 1967 erst viel später angesetzt [3], wurde anhand eines close reading der Quellen die vorliegende Neubewertung möglich. Die Zeitgenossen schildern den Galerie- und Museumsbesuch vom Ticketverkauf, der Bezahlung des Führers bis hin zur Hängung der Kunstwerke.
"Tempel der Kunst" hat für die Museumsforschung in Deutschland das Zeug zum Handbuch und wird für die weitere Forschung und Lehre grundlegend sein. Schlicht beeindruckend ist, dass ein solch gewichtiges Buch aus einer Projektgruppe mit Studierenden der Technischen Universität in Berlin hervorgegangen ist. Unter der Leitung von Savoy und ihrer sachkundigen Herausgeberschaft haben sie Erstaunliches geleistet. Um der nun belegten Bedeutung der Entwicklungen in Deutschland auch in der europäischen Forschung Gehör zu verschaffen, kann man nur hoffen, dass das Buch auch international rezipiert wird. Man wünschte sich vergleichbar sorgfältig ausgestattete und bearbeitete Bände, die die Situation in anderen europäischen Ländern in ähnlich übersichtlicher Form zur Verfügung stellten.
Anmerkungen:
[1] Deborah Meijers: Kunst als Natur. Die Habsburger Gemäldegalerie in Wien um 1780 (= Schriften des Kunsthistorischen Museums, Bd. 2), Wien 1995 (zuerst als: Kunst als natuur, Amsterdam 1991); Edouard Pommier: Vienne 1780 - Paris 1793. Ou, le plus revolutionnaire des musées n'est peut-être pas celui auquel on pense d'abord, in: Revue germanique internationale, 13, 2000 (Numéro spécial: Ecrire l'histoire de l'art), 67-86. Vgl. auch Andrew McClellan: Inventing the Louvre. Art, Politics, and the origins of the modern Museum in Eighteenth Century Paris, Cambridge 1994; E. Pommier: Le Projet d'un Musée royal (1747-1789), in: L'art et les normes sociales, hrsg. v. Thomas W. Gaehtgens, Paris 2001, 185-209 und E. Pommier: L'art de la liberté. Doctrines et débats de la Révolution française, Paris 1991.
[2] Die Autorinnen und Autoren, Studierende und Absolventen der TU Berlin, sind: David Blankenstein, Sabine Koch, Hildegard Gabriele Boller, Katharina Pilz, Patrick Golenia, Tobias Locker, Sebastian Socha, Nadine Plesker, Annette Schryen, Julia Vercamer, Juliane Granzow und Désirée Wöhler.
[3] James J. Sheehan: Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung (2000), München 2002; Volker Plagemann: Das deutsche Kunstmuseum 1790-1870. Lage, Baukörper, Raumorganisation, Bildprogramm, München 1967.
Bärbel Küster