Ulrike Goeken-Haidl: Der Weg zurück. Die Repatriierung sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Essen: Klartext 2006, 573 S., ISBN 978-3-89861-615-7, EUR 39,90
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Der Umgang der UdSSR mit jenen Bürgern, die ab 1944/45 aus deutscher Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft nach Hause zurückkehren wollten, ist eines der bedrückenden Kapitel des Stalinismus. Die sowjetische Historiografie hat sich erst ab 1987 dieser unrühmlichen staatlichen Vergangenheit gestellt, und auch die westliche Forschung ist sich der Dimensionen und Abläufe erst langsam bewusst geworden. Am erheblichen Erkenntnisgewinn der letzten Jahre hat natürlich die partielle Öffnung der russischen Archive einen großen Anteil. Dabei scheinen die sowjetischen Quellen, das vorweggeschickt, bei der Diskussion über Gefangenen- und Opferzahlen im Detail - nicht in der Gesamtschau - eher noch zu verwirren.
Statistische Berechnungen stehen indes nicht im Zentrum der anregenden Studie von Ulrike Goeken-Haidl, welche die überarbeitete Fassung einer bereits 2003 in Freiburg vorgelegten Dissertation ist. Die Autorin macht sich vielmehr daran, auf der Basis ihrer umfassenden Recherchen in post-sowjetischen und amerikanischen Archiven die Repatriierung sowjetischer Bürger als das zu beschreiben, was sie tatsächlich war: als Teilbereich der immensen Kriegsfolgeschäden und -probleme, zugleich als Aspekt der zunehmenden Entfremdung von West und Ost sowie als integraler Bestandteil stalinistischer Innenpolitik im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass erst diese Perspektivenvielfalt das Gesamtphänomen angemessen erfasst, wird bereits im ersten Kapitel deutlich. Für westalliierte Militärs stand einerseits die schnelle Bewältigung des Massenproblems heimatloser Ausländer im Besatzungsgebiet auf der Tagesordnung: Offizielle Zählungen von Juli 1945 nennen immerhin über 6,2 Millionen Displaced Persons, von denen gemäß sowjetischen Statistiken allein der UdSSR bis Dezember 1945 rund 2,1 Millionen Menschen übergeben wurden. Für die Entscheidungen amerikanischer und britischer Stellen war indes letztlich v. a. die qualitative Seite des Gesamtproblems entscheidend. Die umstandslose Repatriierung sowjetischer Bürger sollte die zügige, sichere und vollständige Rückführung westalliierter Kriegsgefangener und Bürger, die von der Roten Armee befreit worden waren, garantieren; insgesamt stand hier das Schicksal von 26.000 amerikanischen und 25.000 britischen Soldaten sowie von 295.000 französischen Bürgern zur Debatte. Für das britische Kabinett bildeten derartige Erwägungen von Anfang an die Hauptsache, doch auch in den USA traten völkerrechtliche Bedenken 1944/1945 endgültig hinter den nationalen Primat zurück. Jenseits dieser grundsätzlichen Rangfolge machte es in westlichen Augen aber auch keinen Sinn, sich allzu viel Gedanken über ehemalige Gegner zu machen - als solche waren die kollaborierenden sowjetischen Soldaten im deutschen "Feldgrau" im Kriege ja gefangen genommen worden. Diese Grundstimmung beeinflusste unweigerlich die spätere westliche Einstellung gegenüber den aus deutschen Lagern befreiten sowjetischen Bürgern.
Im Gegenzug machte sich Stalin vor allem darüber Gedanken, alle militärischen und zivilen Kriegsopfer als zumindest potenzielle Vaterlandsverräter und Überläufer in seine Hand zu bekommen. Hanebüchene sowjetische Vorwürfe hinsichtlich angeblicher Misshandlungen von Rotarmisten in westlicher Hand kreierten zusammen mit der Verschleppung westlicher Anfragen über befreite Westgefangene in sowjetischen Gebieten bewusst oder unbewusst eine Druck- und Drohkulisse, angesichts derer sich der Westen nur zu gerne auf das Abkommen von Jalta einließ. Der Text des Abkommens ließ Interpretationsspielraum. Der Westen orientierte sich in seiner Definition sowjetischer Bürger an den Grenzen von 1939 und entschied sich zunächst für den Einsatz von Gewalt gegen Repatriierungsunwillige. Goeken-Haidl weist aber zu Recht darauf hin, das diese gewaltsamen Repatriierungen nur einen Bruchteil der Gesamtoperationen ausmachten. Trotz des Abkommens ging die Repatriierung westalliierter Bürger aus dem sowjetischen Machtbereich weiterhin schleppend vonstatten. Betroffene machten Kriegszerstörungen sowie eigene Prioritätensetzungen der kämpfenden Roten Armee als nachvollziehbare Ursachen aus. Auf politischer Ebene versuchte Moskau, das Problem der Heimführung zu instrumentalisieren und mit der westlichen Anerkennung des Lubliner Komitees in Verbindung zu bringen. Darüber hinaus zeigte sich schon jetzt das tiefe Moskauer Misstrauen gegen seine Verbündeten. Auch wenn sich die UdSSR zum Teil als unfähig erwies, die vom Westen überstellten Bürger reibungslos aufzunehmen, kritisierte sie fortwährend angebliche westliche Kooperationsunwilligkeit und Feindseligkeit in der Repatriierungsfrage. Vor Ort wurden Diskrepanzen durch unfähige, verbohrte oder korrupte sowjetische Offiziere oftmals potenziert - es ist beeindruckend zu lesen, wie beschränkt Kooperationswille und -fähigkeit der sowjetischen Repatriierungsoffiziere im Westen waren.
Die westliche Gewaltanwendung gegen repatriierungsunwillige Bürger der UdSSR blieb auf die sowjetische Perzeption der Ereignisse ohne nennenswerten Einfluss. Für das kontinuierliche Entgegenkommen des Westens spielte ab Herbst 1945 die erneute Sorge um westliche Befreite unter sowjetischer Obhut, dieses Mal in der Mandschurei, eine wichtige Rolle. Das kann aber nicht erklären, warum noch bis Mai 1946 Rückkehrunwillige unter Gewaltanwendung überstellt wurden. Im Dezember 1945 gaben die USA angesichts der verheerenden Öffentlichkeitswirkung und des Widerwillens im eigenen Militär zumindest die Zwangsrepatriierungen von Zivilisten auf. Dazu kam, dass amerikanische Stellen sich eingehend mit den Gründen befassten, aus denen heraus sowjetische Bürger gegen eine Repatriierung in die UdSSR optierten. Diese lesen sich nicht nur als implizite Anklage gegen die Zustände in deutschen Kriegsgefangenenlagern, sondern auch als ein Inventar des "Erbes der sowjetischen Machtpolitik" der 1930er- und 1940er-Jahre (306). Einige Befreite fürchteten auch einfach die Verantwortung für im deutschen Dienst begangene Verbrechen, wie westliche Erfahrungen mit den ab 1948 in Drittländer umgesiedelten DPs zeigen. Die Ahndung von Kriegs- und NS-Verbrechen dieser Personengruppe trat in Ost und West deutlich hinter politische Instrumentalisierungen des Kalten Kriegs zurück.
Der zweite Teil der groß angelegten Studie widmet sich dem stalinistischen Umgang mit den zurückgeführten sowjetischen Bürgern. Den Auftakt machte die Repression von Soldaten der Roten Armee, die noch während des Kriegs aus Gefangenschaft oder militärischer Umzingelung zurückgekehrt waren; leider sind diese grundlegenden Anfänge an den Schluss der Studie verbannt worden. Goeken-Haidl führt eindringlich vor Augen, dass sich die ehemaligen Ostarbeiter und Kriegsgefangenen auf allen Ebenen des sowjetischen Staats- und Militärapparats Verdächtigungen, Missachtung und dramatischen Übergriffen ausgesetzt sahen. Der zügigen Heimführung stand schließlich nicht nur die schleppende Überprüfung entgegen. Sowjetische Heimkehrer wurden zudem etwa noch in Ostdeutschland zu allen Arten von Arbeitseinsätzen verpflichtet. Die erst im Oktober 1944 gegründete "Verwaltung des Bevollmächtigten des Rats für Volkskommissare der UdSSR für Repatriierung" war, dies machen diese Selbstherrlichkeiten der Militärs deutlich, eine zwar große, institutionell aber schwache Behörde. Das spezifische Verhältnis des sowjetischen Staats zu seinen Bürgern fand daher vor allem in den bereits angesprochenen "Überprüfungs- und Filtrationskommissionen" der Geheimdienste seinen Ausdruck. Die peniblen Fragebögen und Verhöre sowie der recht umfangreiche Spitzeleinsatz zielten eindeutig auf Be- und nicht auf Entlastung der Befragten. Das gesammelte Aktenmaterial wurde zudem für kontinuierliche Nach- und Zusatzüberprüfungen in der UdSSR selbst weiter genutzt. Die Überprüfungen mündeten je nach vermeintlichem Belastungsgrad und unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands entweder in die endgültige Entlassung, in den Zwangsaufenthalt in zusätzlichen Filtrationslagern, in eine Zuweisung zu Arbeitsbataillonen, in die Verbannung oder in ein Gerichtsverfahren. Aufgrund ihrer Berechnungen kommt Goeken-Haidl zu dem Schluss, dass 57 Prozent der Heimkehrer nach der Überprüfung zusätzliche Isolations- und Strafmaßnahmen in Kauf nehmen mussten. Diese Zahlen liegen höher als Werte anderer Forscher (546 f.) und stellen angesichts unumgänglicher Überschneidungen diverser Kategorien sowie der nicht unproblematischen Einbeziehung der in die Rote Armee remobilisierten Männer eine Obergrenze dar. Im Übrigen registrierte die sowjetische, selbst noch die post-sowjetische Verwaltung bis 1992 frühere Gefangenschaftsjahre. Kriegsgefangene erlangten erst 1995 ihre Rehabilitierung.
Goeken-Haidl zielt auf die multilaterale Einbettung des Repatriierungsproblems sowie auf eine mehrdimensionale Binnendarstellung. Ein derartiges Unterfangen ist ein Kraftakt, der der Autorin nicht in allen Bereichen gleich gut gelungen ist. Gerade im zweiten Teil verliert sich die Autorin mitunter im Dschungel der "chaotischen" (512) sowjetischen Direktiven und Missstände. Der stalinistische Umgang mit sowjetischen Heimkehrern hätte schärfer als Aspekt gesellschaftlicher Verhärtungen herausgearbeitet und es hätte dabei an die wichtig Arbeit von Amir Weiner angeknüpft werden können [1]; es sei hier nur vermerkt, dass sich die sowjetische Kriegsgefangenenpolitik eher durch eine Restalinisierung auszeichnete, bei der die Zäsur von 1945 kaum eine Rolle spielte. Darüber hinaus leidet die Monografie unter einer Mischung von technischen Mängeln und störenden Einzelfehlern. Mitunter ist die Darstellung einfach überfrachtet oder durch Doppelungen aufgebläht (z. B. 40-43, 115 f., 151, 176-182, 237-239), die innere Gliederung enthält unnötige chronologische Sprünge (Kapitel II). Die Transkription der kyrillischen Namen und Begriffe stellt eine befremdliche Kombination verschiedener Konventionen respektive Traditionen dar ("Georgij Zukov"; "Archiv Vneschnoj Politiki Rossijskoj Federazii"), die Archive in Moskau haben zum Teil schon vor Jahren ihre Bezeichnung geändert, und der Kleinkrieg der Anmerkungen gegen fehlende Quellenbelege in der trotz alledem benutzten Sekundärliteratur ermüdet. Die Genfer Konvention ist von 1929, nicht 1928 (65), Goeken-Haidls Deutung der ukrainischen Hungersnot 1932/33 ist nicht unproblematisch (302 f.), und es ist schon ein Unterschied, ob die Repatriierungskonflikte einen "Meilenstein" oder einen "Mosaikstein" des Kalten Kriegs darstellten (51, 147); angesichts der zahlreichen Dienststellen hätte man sich im Übrigen zumindest ein Abkürzungsverzeichnis gewünscht. Schließlich haben die Arbeiten von Zemskov und Poljan - dessen Studie mittlerweile in einer von Goeken-Haidl nicht genutzten zweiten Auflage erschienen ist [2] - sicherlich mehr zur Erforschung des Themas beigetragen, als es Goeken-Haidl in ihrem Forschungsüberblick zugestehen will. Das alles sind Punkte, die die Lektüre tatsächlich stören können. In der Bilanz aber trägt die Darstellung mit ihrem breiten Zugriff zu einem wesentlich erweitertem und vertieften Verständnis der Repatriierung von über fünf Millionen sowjetischen Bürgern bei.
Anmerkungen:
[1] Amir Weiner: Making sense of war. The Second World War and the fate of the Bolshevik revolution, Princeton 2001.
[2] Pavel Poljan: Žertvy dvuch diktatur. Žizn', trud, uniženija i smert' sovetskich voennoplennych i ostarbajterov na čužbine i na rodine, 2., überarb. und erg. Aufl. Moskau 2002.
Andreas Hilger