Alexandra Przyrembel / Jörg Schönert (Hgg.): "Jud Süß". Hofjude, literarische Figur, antisemitisches Zerrbild, Frankfurt/M.: Campus 2006, 380 S., ISBN 978-3-593-37987-6, EUR 34,90
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Stellungnahme von Gudrun Emberger, Thomas Henne mit einer Replik von Sybille Oßwald-Bargende
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Nach einem abgekarteten Prozess und angesichts des Galgens hatte Joseph Süß Oppenheimer (1698-1737), der einst einflussreiche jüdische Finanzberater des verstorbenen Herzogs Carl Alexander von Württemberg, fast schon hellsichtig sein unseliges Nachleben als "Jud Süß" vorausgeahnt: "Es wird so voller Scharteken von meiner Person in der Welt herumfliegen, dass man zuletzt nicht wissen wird, wer ich gewesen." [1]
Tatsächlich boten 'Aufstieg' und 'Fall' von "Jud Süß" - so Oppenheimers Spottname - 'Stoff' für vielerlei "Scharteken" - also "alte Bücher" und "nutzlose Schmöker": Süß Oppenheimer wurde zum (Anti-)Helden unzähliger Flugschriften und Moritaten, von Erzählungen, Romanen und Dramen ebenso wie zum Objekt (pseudo- und populär-)wissenschaftlicher Arbeiten sowie schließlich des Films.
Doch gehen Publizität und wissenschaftlicher Erkenntnisreichtum bekanntermaßen nicht unbedingt Hand in Hand. Aber darf deshalb mit Alexandra Przyrembel vollmundig behaupten werden, dass "die historische Jud-Süß-Forschung nach wie vor am Anfang [steht]" (12)? Wohl kaum. [2] Auch wenn sich Helmut G. Haasis' zuletzt erschienene Biographie von 1998 fast wie eine posthume flammende Verteidigungsschrift liest, so beruht sie doch auf umfangreichen Quellenrecherchen. Und immerhin veröffentlichte Selma Stern 1929 eine richtungsweisende Studie, in der sie, objektiven Kriterien folgend, Oppenheimers Schicksal im Spannungsfeld zwischen absolutistischer und jüdischer Kultur deutete.
Die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes betreten also kein wissenschaftliches Neuland. Selbst dann nicht, wenn man ihnen zu gute hält, dass sie sich stärker für die literarische Figur und das antisemitische Zerrbild "Jud Süß" als für das Schicksal des historischen Joseph Süß Oppenheimer interessieren. Schließlich legte Barbara Gerber bereits 1990 eine akribische und ausgezeichnete Rezeptionsgeschichte vor. Allerdings kommt Przyrembel und Schönert das Verdienst zu, 2004 die erste umfassende und von der DFG mitgetragene Tagung zum Thema organisiert zu haben. Dazu liegt nun der Tagungsband vor.
Wie Gerber gilt auch Przyrembels und Schönerts Interesse der Wirkungsmacht, welche die Figur "Jud Süß" zwischen dem frühen 18. und dem ausgehenden 20. Jahrhundert entfaltet hat. Genauer gesagt geht es ihnen um "die Bedeutung der Figur 'Jud Süß' als Spiegel für die kontinuierlichen und diskontinuierlichen Momente antisemitischen Denkens und Fühlens" (13).
Während Gerber ihre These, der 'Fall' des württembergischen Finanzienrats Oppenheimer markiere den Beginn des modernen antikapitalistisch gefärbten Antisemitismus, aus rund 100 zeitgenössischen Flugschriften extrahierte, engt der vorliegende Sammelband die Untersuchungsbasis stark ein. Teils namhafte, teils am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn stehende Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen eröffnen zwar vielschichtige Sichtweisen auf die Wirkungsgeschichte mit ihren Kontinuitäten und Brüchen, auf die charakteristischen Topoi und Stereotypen wie jene des geldgierigen und lüsternen Juden, und sie fragen nach der Wirkung auf die Rezipienten. Sie schenken aber vor allem den bekanntesten Vorlagen für die "Jud Süß"-Figur ihr Augenmerk: Wilhelm Hauffs Novelle und Selma Sterns bereits erwähnter Biographie, mehr noch Lion Feuchtwangers Roman sowie insbesondere Veit Harlans nationalsozialistischem Propagandafilm.
Wilhelm Hauffs Novelle aus dem Jahr 1827 stand zwar - wie Gabriele von Glasenapp ausführt - nicht am Anfang der Fiktionalisierung von "Jud Süß", denn der schwäbische Erzähler konnte bereits aus einem beachtlichen Fundus an antisemitischen Zerrbildern schöpfen. Aber er stieß eine literarische Popularisierungswelle an, die Mitte des 20. Jahrhunderts fast schlagartig verebbte. Fast genau 100 Jahre nach Hauff entdeckte Lion Feuchtwanger an "Jud Süß" ein neues Gesicht: nicht die von Hauff gezeichneten Züge des Anderen und Fremden, sondern die tragischen Züge des vermeintlich assimilierten Juden, der auf einem grausamen Weg zum Judentum zurückfindet. Allerdings mutierte "Jud Süß" bei Feuchtwanger nicht gleichzeitig vom Antihelden zum Helden. Auch Feuchtwangers Charakterzeichnung blieb durchaus ambivalent. Eine Ambivalenz, die sich Veit Harlan für seinen Nazi-Film zunutze gemacht hat - und die überraschenderweise, wie Anke-Marie Lohmaier aufdeckt, in diesem Propagandawerk weiterhin mitschwingt: Nicht von ungefähr erhielt der Süß-Darsteller Ferdinand Marian Waschkörbe voller Liebesbriefe. An der einhelligen Verurteilung des Machwerks im Nachkriegsdeutschland hat das nichts geändert. Ob damit die Wirkungsgeschichte des "Jud Süß" tatsächlich zu Ende ist, wie Friedrich Knilli vermutet, und der letzte Versuch, "Jud Süß" mit dem gleichnamigen Theaterstück von Klaus Pohl wieder auf die Bühne zu bringen, nach Anat Feinberg scheitern musste?
Wie Irene Aues Tagungsbericht (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ tagungsberichte/id=550) zu entnehmen ist, haben diese und andere der vorgetragenen Thesen das Tagungspublikum durchaus zu Widerspruch angeregt. Niedergeschlagen hat sich die Diskussion im vorliegenden Sammelband offensichtlich und bedauerlicherweise nicht.
Bleibt die Einsicht, dass die Figur "Jud Süß" nach Lektüre dieses Tagungsbandes weiter schillert. Alexandra Przyrembel versucht diesem Umstand mit dem von Charles Sanders Peirce (1839-1914) stammenden Begriff der ikonischen Figur (24 f.) zwar zu begegnen. Was aber unter einer ikonischen Figur genau zu verstehen ist, wo der Begründer der modernen Semiotik diesen Begriff ausgeführt hat und wie er auf ein historisches Sujet anzuwenden ist, darüber lässt Przyrembel die Leser im Dunkeln.
Ob "'die ikonische Korrespondenz'" zwischen Zeichen und Referent an sich schwer auszumachen ist und der historische Joseph Süß Oppenheimer bis zur Unkenntlichkeit verschwindet" (24), ist außerdem zu bezweifeln. Schließlich gibt es durchaus neuere Lesarten des historischen "Subtextes". Und zwar mehr, als Gudrun Emberger und Rotraud Ries in ihrem gemeinsamen Bandbeitrag erkennen lassen, der die Karriere Joseph Süß Oppenheimers vom Hoffaktor zum Finanzberater und Favoriten des Herzogs Carl Alexander von Württemberg immerhin im Kontext des Hofjudentums betrachtet. Namentlich genannt seien die Lesarten von Oliver Auge und Peter Wilson. [3] Ebenso sei hier auf die Ausstellung "Beschlagnahmte Briefschaften. Der Kriminalprozess gegen Joseph Süß Oppenheimer (1737/38)" hingewiesen, die vom 8. Februar bis zum 31. März 2007 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zu sehen ist, wo die Justizakten und andere aufschlussreiche Dokumente zu Joseph Süß Oppenheimers Lebens- und Leidensgeschichte lagern.
Anmerkungen:
[1] Zit. nach Ingrit Aicher/Martin Volz/Alexander Reck (u.a.): Joseph Süß Oppenheimer. 1698-1738; ein Gedenkblatt, 2. Aufl., Stuttgart 1999, o.S.
[2] Sofern sich die bibliographischen Angaben der im Folgenden erwähnten Publikationen im Literaturverzeichnis des besprochenen Tagungsbandes finden, wird hier auf ihre Wiedergabe verzichtet.
[3] Oliver Auge: Holzinger, Enzlin, Oppenheimer. Günstlingsfälle am spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hof der Württemberger, in: Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini (H,g.): Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. 8. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Residenzenforschung, Bd. 17), Ostfildern 2004, 365-399; Peter H. Wilson: Der Favorit als Sündenbock. Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738), in: Michael Kaiser / Andreas Pečar (Hg.): Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten im 17. und 18. Jahrhundert (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 32), Berlin 2003; 155-176.
Sybille Oßwald-Bargende