Ulrike Lorenz: Otto Dix. Welt & Sinnlichkeit, Regensburg: Stiftung Kunstforum Ostdeutsche Galerie 2005, 335 S., ISBN 978-3-89188-109-5, EUR 29,00
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Otto Dix ist eine der zentralen künstlerischen Gestalten der deutschen Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der in seiner ästhetischen Radikalität - jenseits der immer wieder als schockierend wahrgenommenen Motive seiner Kunst wie im Bereich der Kriegs- und Lustmorddarstellungen - zum Teil immer noch nicht wirklich erkannt scheint. Das vorliegende Katalogbuch entstand anlässlich der letzten größeren Otto Dix-Ausstellung, die im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg und im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen 2005/06 zu sehen war. Konzipiert wurden sowohl die Schau als auch der Katalog von der bekannten Dix-Spezialistin Ulrike Lorenz, die unter anderem das vielbändige Werkverzeichnis der Zeichnungen zusammengestellt hat. Mit dem etwas Effekt heischenden Titel "Welt und Sinnlichkeit" wird freilich von vorneherein ein sehr allgemeiner Rahmen vorgegeben, und es handelt sich denn auch um eine Art retrospektive Überblicksdarstellung, die den ganzen Dix von den frühen Werken bis zum Spätwerk der 1960er-Jahre und dann in seiner ganzen thematischen Breite (Porträt und Selbstporträt, Landschaft, Krieg, Großstadt, Akt) vorstellt. Man darf vorwegnehmen: der Katalog bietet hinsichtlich der Werkauswahl und Fragestellung im Grunde nichts Neues, sondern breitet das Bekannte 15 Jahre nach der letzten bedeutenden Retrospektive in Stuttgart und Berlin nochmals, jedoch ohne Vertiefungen umfassend aus. [1]
Der Katalog ist in zwei sehr unterschiedliche Teile gegliedert, die durch einen knappen und anscheinend "in letzter Minute" (vgl. 336) zu Stande gekommen Essay getrennt werden. Im ersten Teil, der den Titel "Journal. Otto Dix in Bildern und Dokumenten" trägt, bekommt der Leser die Biografie des Künstlers reich illustriert und mit einer Vielzahl von erhellenden und eindrucksvollen Dokumenten und Fotos lebendig präsentiert. Zentrale Aspekte der künstlerischen Sozialisation (des Studiums an der Dresdner Akademie und die Übersiedlung nach Düsseldorf in den 1920er-Jahren), der unterschiedlichen Lebensstationen (die Berufung nach Dresden, die Jahre der Inneren Emigration in Hemmenhofen am Bodensee und das Pendeln zwischen West und Ost nach 1945) unter den differierenden politischen Systemen in Deutschland und der persönlichen Beziehungen des Malers (etwa zu seinem Händler Karl Nierendorf) werden hier bunt präsentiert und vor allem durch gut ausgewählte Originalzitate aber auch kurze Einführungen kommentiert.
Frank Whitford, bekannt durch seine Studien zum Bauhaus, zu Klimt und Kokoschka sowie zum expressionistischen Porträt, hat einen kurzen Essay beigesteuert, der Otto Dix und die Weimarer Republik adressiert. Leider verbleibt dieser Beitrag bei sehr allgemeinen Ausführungen zu den Zeitumständen der 1920er-Jahre und der Kunst von Dix, wobei einige zentrale Werke - etwa das Bildnis der Sylvia von Harden aus dem Jahre 1926 - herausgehoben, aber leider recht oberflächlich charakterisiert werden. Man merkt dem Essay, der Dix' Kunst als "repräsentativ für die gesamte Zeit der Weimarer Republik" (134) ansieht, die Funktion als bloßes Scharnier oder gar Lückenbüßer ein wenig an. Whitford verbleibt so sehr im Ungefähren, ohne sich mit der jüngeren Dix-Forschung auseinander zu setzen, dass er keinen neuen Aspekt zu Dix' komplexer Kunst beitragen kann.
Der anschließende Bildteil, nach Themen geordnet und jeweils chronologisch gruppiert, ist "Schauraum. Themen und Werke" überschrieben und versammelt die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten. Dabei gibt es einige schöne Zusammenstellungen, die vor allem die Vorstudien zu größeren Werken betreffen. Insbesondere die abbreviaturhaften Skizzen zum Stuttgarter Großstadt-Triptychon von 1928 auf den Seiten 287-290 seien hier exemplarisch genannt. Insgesamt handelt es sich aber um keine überraschenden, vielmehr konventionell daher kommende Zusammenstellungen, eingeleitet von bis zu zweiseitigen Einführungstexten, die im Abbildungsteil allenfalls bei den apokalyptisch anmutenden Landschaften der späten 1930er und frühen 1940er-Jahren für den weniger mit Dix vertrauten Katalogleser eindringliche Beispiele parat halten dürfte.
Es handelt sich insgesamt um ein, bis auf einige Auslassungen und wenige Fehler in den Literaturangaben - mir den Vornamen Otto anzudichten geht wirklich zu weit - solides Katalogbuch. Es ist großzügig illustriert und bietet so einen Einstieg in die komplexe und mitunter äußerst brutale Welt von Dix; der erwähnte Retrospektivkatalog aus den frühen 1990er-Jahren ist als Alternative allerdings in jedem Falle vorzuziehen. Und mit einer sehr deutlichen Kritik kann und soll am Ende nicht gespart werden: sie betrifft die typografische Gestaltung des ersten Teils des Buches, die leider, auf Grund einer rigiden Einteilung in Blöcke und Rahmungen, der Verwendung unterschiedlichster Schrifttypen - wobei die Schrift nicht selten wichtige Abbildungen überschreibt -, als negatives Beispiel hervorgehoben werden muss. Die bedauerlichen Tendenzen der Kataloggestaltung in den letzten Jahren - die sich durch ein hoffnungsloses, dilettantisches Zuviel an "Gestaltung" und Farbigkeit auszeichnen - erfahren hier leider einen weiteren unrühmlichen Höhepunkt.
Anmerkung:
[1] Vgl. den Ausstellungskatalog: Otto Dix. Zum 100. Geburtstag 1891-1991, Galerie der Stadt Stuttgart und Nationalgalerie, Staatliche Museen, Preußischer Kulturbesitz Berlin 1991/92, Stuttgart 1991.
Olaf Peters