Mordechai Feingold (ed.): Jesuit Science and the Republic of Letters, Cambridge, Mass.: MIT Press 2003, xi + 483 S., ISBN 978-0-262-06234-3, GBP 33,95
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Marcus Hellyer: Catholic Physics. Jesuit Natural Philosophy in Early Modern Germany, Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2005, XII + 336 S., 11 fig., ISBN 978-0-268-03071-1, USD 50,00
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Die Jesuiten waren streng dogmatisch und verfolgten Abweichler mit grausamer Härte. In der Naturkunde waren sie unbelehrbare und hoffnungslos rückständige Scholastiker, die mit Aristoteles gegen Kopernikus und Newton zu Felde zogen. Sie strebten nicht nach neuem Wissen und waren in ihrem Unterricht lediglich religiös motiviert.
Diese Stereotypen aus dem 17. und 18. Jahrhundert wirken bis heute nach. Zwar ist die Revision dieses Schwarz-Weiß-Bildes schon vor einigen Jahrzehnten in Gang gekommen, etwa durch die Arbeiten von William Wallace zur "Blüte" der jesuitischen Astronomie um 1600 und zu Galileis "aristotelischen Wurzeln". (William A. Wallace: Galileo, the Jesuits and the Medieval Aristotle. Aldershot, 1991) Dennoch gelten die Jesuiten selbst vielen (Wissenschafts-)Historikern nach wie vor eher als Bremser und Verhinderer, keinesfalls aber als Teilhaber der Wissenschaftlichen Revolution.
Nun liegen zwei wichtige Bände vor, die diese Revision weiter vorantreiben, in dem sie diese zeitlich und geografisch erweitern. Die beiden Untersuchungen ergänzen sich zufällig sehr gut, da die Monografie Catholic Physics von Marcus Hellyer den deutschen Sprachraum behandelt, während der von Mordechai Feingold herausgegebene Sammelband Jesuit Science and the Republic of Letters West- und Südeuropa abdeckt.
Zunächst zu letzterem: Der einleitende Aufsatz von Feingold (1-45) trägt den programmatischen Titel: "Jesuit: Savants" und vertritt die These, dass die jesuitischen Naturforscher zur europäischen Gelehrtenrepublik gehören wollen: "by and large scholarly activities and aspirations of Jesuits were indistinguishable from those of other contemporary savants" (2).
Dafür nahmen sie auch ein gewisses Risiko auf sich, etwa Kontakte mit "Häretikern". Aber sind "the Jesuit vocation and the pursuit of secular learning" (11) nicht schlicht inkompatibel? Natürlich gibt es von Seiten des Ordens explizite Weisungen gegen Neuerungen. Es gelte daher zu fragen, wie die jesuitischen Naturforscher mit den zum Teil stark eingeschränkten Freiheiten umgehen.
So sind sie von der Publikationsform auf Lehrbücher und Kompendien beschränkt, können keine spezialisierten Abhandlungen verfassen und müssen die (Selbst-)Zensur durchlaufen: Es bedarf also eines wohlwollenden Lesers, der auch zwischen den Zeilen liest. "I don't have the same freedom as you", schreibt der jesuitische Mathematiker Christoph Grienberger 1613 in einem Brief an Galilei (23).
Analog stellt sich die Situation im Schulunterricht mit den verbindlichen (und verstaubten) Lehrplänen dar. Wesentliche Impulse an die Schüler gehen aber von der informellen Unterweisung außerhalb des Klassenzimmers aus. Feingold erinnert daran, dass die Jesuiten jährlich 200.000 (!) Kinder und Heranwachsende unterrichten, darunter Torricelli, Descartes, Mersenne, Fontenelle, Diderot, Helvétius, Condorcet, Turgot, Voltaire, Vico, Laplace, Volta und Muratori.
Athanasius Kircher, der wohl berühmteste jesuitische Naturforscher des 17. Jahrhundert, ist sicherlich ein vollwertiges Mitglied der Respublica litteraria. Paula Findlen (224-284) widmet sich seiner Netzwerkfunktion und der Ausstrahlung seines berühmten Museums in Rom, das Heerscharen von Besuchern aus ganz Europa anzieht. Aber steht Kircher gerade nicht für den modernen Weg der Naturwissenschaften, sondern für den barocken Polymathen, den unsystematischen und spekulationsfreudigen Geheimniskrämer? Ja - und nein. Denn Kircher erfindet auch die Laterna Magica, seine Wissenschaft ist durch die zentrale Bedeutung von Instrumenten auch eine "moderne". Kircher "participated in the scientific culture of demonstration that was emerging throughout Europe" (255), so Findlen.
Auch Alfredo Dinis (195-224) versucht sich an einer Revision des Bildes eines jesuitischen Gelehrten. Der Astronom Giovanni Battista Riccioli (1598-1671) wird in der Regel als ängstlicher Gelehrter gezeichnet, der wider besseres Wissen den Kopernikanismus verwirft. Aber, so Dinis: "Riccioli's attitude toward Copernicus was not only tolerant but admiring" (206). Erst am Ende seines Lebens wird er entschiedener in der Ablehnung des Heliozentrismus. Warum ist nicht klar. Möglicherweise wollte Riccioli so seine Rechtgläubigkeit unterstreichen, da er große Schwierigkeiten hatte, für ein Buch über die unbefleckte Empfängnis Mariens die Approbation durch die Inquisition zu erreichen.
Edward Grant (127-155) macht darauf aufmerksam, dass selbst im Bereich der Astronomie nach der Verurteilung Galileis noch Diskussionsspielräume bleiben. Die aristotelische Idee der Unveränderlichkeit der himmlischen Sphäre etwa, die im Gegensatz zum Heliozentrismus kein Glaubensdogma ist, wird von den jesuitischen Astronomen mehr und mehr kritisiert. Diese sind in der Mehrzahl ja Anhänger von Tycho Brahes geoheliozentrischem Weltbild. Mit anderen Worten: wo die theologischen Beschränkungen nicht greifen, kommt es zu einer lebhaften und offenen Auseinandersetzung mit divergierenden Positionen.
G. H. W. Vanpaemel (389-432) beschäftigt sich mit der - von Rom aus gesehen - "abgelegenen" Provinz in den spanischen Niederlanden. Vor allem in der ersten Hälfte des 17. Jh. sind die Jesuiten dort sehr an Naturwissenschaften interessiert und bringen auch einige kluge Köpfe hervor. Kopernikanismus, die Ideen Descartes, ja selbst atomistische Ideen werden vergleichsweise offen diskutiert. Galilei und anderen Protagonisten der neuen Wissenschaft begegnet man mit Hochachtung. In der Peripherie scheint die Zensur weniger strikt zu sein.
Die jesuitischen Gelehrten in den spanischen Niederlanden bringen sich aber nicht in eine übergreifende Diskussion ein. Dafür fehlt nicht zuletzt das intellektuelle Umfeld, etwa wissenschaftliche Akademien, als Resonanzboden oder Reibefläche. Auch entwickeln die Jesuiten hier keine experimentelle Tradition, was für Vanpaemel einer der Gründe für den Niedergang ab 1700 ist.
Der Schwerpunkt der insgesamt elf Aufsätze im Sammelband von Feingold liegt ganz eindeutig auf dem 17. Jahrhundert. Gleich ob gewollt und ungewollt - durch diese Gewichtung entsteht der Eindruck des "Niedergangs" im 18. Jahrhundert, des Versiegens der jesuitischen Naturkunde. Davon kann aber - zumindest was den (süd-)deutschen Sprachraum bzw. die oberdeutsche Provinz der Jesuiten angeht - laut Marcus Hellyer keine Rede sein, der in Catholic Physics das 18. Jahrhundert bis zur Aufhebung des Ordens 1773 in gleicher Ausführlichkeit wie das vorangegangene behandelt.
Die Universitäten Mainz, Würzburg und Ingolstadt liefern Hellyer einen Großteil seines Quellenmaterials, jene in Dillingen, Freiburg i. Br. und anderen Orten dienen der Ergänzung.
Hellyer nennt in seiner Monografie drei - eng verknüpfte - Leitthemen: die Zensur jesuitischer Naturforscher, das Verhältnis von Theologie und Naturkunde sowie die Rezeption der "Neuen Wissenschaften".
Zum ersten: Hellyer zeigt, dass die Zensur keineswegs so straff bzw. "erfolgreich" funktioniert. Gerade in der oberdeutschen Provinz sind abweichende Meinungen möglich. Was erlaubt bzw. angemessen ist, wird ständig neu verhandelt. Freilich: Propositionen wie der Heliozentrismus oder das Vakuum sind zwar nach wie vor als Hypothese zu diskutieren und dann zu verwerfen. Die stets neu aufgelegten Listen mit verbotenen Thesen werden aber auch zur negativen Matrix: Was diese nicht abdecken wird experimentell abgearbeitet.
Unterm Strich heißt dies: Ja, die Zensur ist hinderlich und sie dauert auch im 18. Jahrhundert fort. Aber sie kommt keinem generellen Denkverbot gleich und es gibt durchaus intellektuelle Freiräume, die gesucht und genutzt werden.
Zum zweiten, dem Verhältnis von Theologie und Naturkunde. Jesuitische Naturforscher müssen Abstand von materialistischen und mechanistischen Naturphilosophien halten, die Transsubstantion der Hostie und das Vakuum erweisen sich lange Zeit als Problemherde. Instruktiv ist das Kapitel über die Luftpumpe, in dem der Protestant Otto Guericke und der Kircher-Schüler Kaspar Schott - trotz des Dreißigjährigen Krieges - ohne jegliche konfessionelle Polemik das Vakuum diskutieren. Als Jesuit darf Schott das Nichts zwar nicht zugeben, gesteht aber schließlich ein, dass der Luftdruck verantwortlich für das Steigen einer Wassersäule ist.
Noch in den 1750er Jahren wird Aristoteles "elastisch" gehandhabt und mit der neuen Physik "harmonisiert". Zwischen künstlichen (früher der Mechanik zugerechneten) und natürlichen Bewegungen (Physik) besteht kein wirklicher Gegensatz mehr. Zu diesem Zeitpunkt ist die experimentelle Methode auch bei den Jesuiten fest etabliert.
Damit zu Hellyers dritten Thema: "the transformation of Jesuit natural philosophy from a largely scholastic body of knowledge and discourse into an experimental, mathematized science" (5). Hellyer schreibt, wenn man so will, auch eine Geschichte der Wissenschaftlichen Revolution aus einer ungewohnten Perspektive: Nämlich nicht aus jener der Protagonisten, sondern jener der Jesuiten, die die neuen Ansätze intensiv diskutieren und rezipieren.
Lässt man sich bei Publikationen jesuitischer Naturforscher des 18. Jahrhunderts nicht vom Titel täuschen, stellt man schnell fest, dass darin kaum mehr scholastische Werke, sondern hauptsächlich Naturkundige des 17. und 18. Jahrhunderts, überwiegend sogar Nichtjesuiten zitiert werden. 1757 nimmt Papst Benedikt XIV. auf Bestreben des Jesuiten Roger Boscovich Kopernikus' De revolutionibus vom Index. Paradoxerweise schließen die Jesuiten in Süddeutschland in den letzten Jahren vor der Aufhebung des Ordens 1773 ihre Konversion zum Newtonianismus ab. Die prekäre Frage der Eucharistie wird aus der Physik herausgenommen und der Metaphysik zugeordnet.
Hellyer zeigt auch, dass die Kritik sowohl der protestantischen Aufklärer wie auch der "anderen" Katholiken (Benediktiner etc.) häufig polemischer Natur ist. Die Jesuiten sind ihren Kritikern viel ähnlicher als man denkt. So kämpfen etwa die katholischen (also überwiegenden jesuitischen) Universitäten im 18. Jahrhundert mit denselben Problemen wie die protestantischen: Sie sind notorisch unterfinanziert und müssen einen Rückgang der Studenten verkraften. Auch dass sich unter den jesuitischen Professoren nur wenige befinden, die neues Wissen produzieren, passt ins Bild. Dies ist typisch für den deutschen Hochschullehrer ganz generell, für den bis ins 19. Jahrhundert Forschung nicht zu den Verpflichtungen gehört.
Bei den Jesuiten kommt freilich hinzu, dass ihr "Laufbahnmodell" eine Spezialisierung erschwert. Die jesuitischen Physikprofessoren lehren in der Regel nur einmal das Triennium, um danach andere Aufgaben zu übernehmen. Sie haben folglich wenig Zeit intensiv an naturkundlichen Themen zu arbeiten, wobei sich selbst dies im 18. Jahrhundert bessert.
Mit den Bänden von Hellyer und Feingold liegen zwei wertvolle Beiträge zu einer sehr differenzierten Sichtweise, wie die Jesuiten in der frühen Neuzeit Naturkunde betreiben und lehren, vor. Um es in drei Punkten zu resümieren:
1. Es gilt die wenig hilfreiche Dichotomie fortschrittlich vs. rückwärtsgewandt aufzugeben und stattdessen zu fragen, was unter den jeweils gegebenen Bedingungen möglich ist. Von "den" jesuitischen Gelehrten zu sprechen, verstellt die Sicht auf die regional sehr unterschiedlich geprägten Kontexte. Feingold plädiert mit Recht dafür, auch den Jesuiten Individualität zuzugestehen.
2. Theologische Vorgaben beschränken und strukturieren die Zugänge zur Natur, machen deren Erforschung aber keineswegs unmöglich: "a considerable gap existed between the official appeals to orthodoxy and actual Jesuit intellectual practices", so Alfredo Dinis in seinem Aufsatz in Feingolds Band (196). Dies gilt analog für den Unterricht: Es gilt zu unterscheiden zwischen der Ratio Studiorum von 1599 und der tatsächlichen Lehrpraxis in den Schulen und Universitäten.
3. Die jesuitischen Gelehrten interagierten mit der europäischen Gelehrtenrepublik und viele von ihnen kann man mit Fug und Recht als einen Teil davon begreifen. Durch ihre Aufnahme der experimentellen und mathematischen Methoden partizipierten sie auch an der Wissenschaftlichen Revolution.
Oliver Hochadel