Andreas Schmidt: " ... mitfahren oder abgeworfen werden.". Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der Provinz Sachsen / im Land Sachsen-Anhalt 1945-1949 (= Forschungen zur Neuesten Geschichte; Bd. 2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, 581 S., ISBN 978-3-8258-7066-9, EUR 49,90
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Seit der SED-Gründung sind mittlerweile 60 Jahre vergangen. Die Wogen der öffentlichen Erregung haben sich mittlerweile gelegt: Die vor zehn Jahren noch heftig und kontrovers geführte Debatte, ob der Begriff "Zwangsvereinigung" zutreffend sei für dieses Ereignis, ist weitgehend beendet. Dass die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien nicht ohne Zwang und sowjetischen Druck abgelaufen ist, wird von niemandem ernsthaft bezweifelt. Die Frage nach dem Meinungsbild innerhalb der sozialdemokratischen Mitgliedschaft kann dagegen nicht abschließend beantwortet werden, denn eine freie und demokratische Abstimmung über den Zusammenschluss mit der KPD hat es bekanntlich in den fünf Ländern bzw. Provinzen der SBZ nie gegeben. In den vergangenen Jahren ist eine Flut von Publikationen zur Frühgeschichte der SED auf zonaler Ebene, aber auch auf Länderebene erschienen, sodass wir über diese Phase inzwischen relativ gut Bescheid wissen. Die vorliegende quellengesättigte Studie, eine Dissertation an der Universität Halle-Wittenberg, nimmt nun erstmals die Zwangsvereinigung in der Provinz Sachsen (Sachsen-Anhalt) eingehend unter die Lupe. Schmidt hat für seine Untersuchung nahezu alle relevanten Quellenbestände herangezogen; zu nennen sind in erster Linie die Parteiüberlieferungen in den Landesarchiven Merseburg und Magdeburg sowie in der SAPMO (Berlin).
Die äußerst detaillierte Studie ist chronologisch in insgesamt zwölf größere Kapitel unterteilt. Am Anfang untersucht Schmidt den Aufbau von SPD und KPD nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und kommt zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Parteimitglieder zwar den Gedanken zur Bildung einer einheitlichen Arbeiterpartei grundsätzlich begrüßt habe, zunächst aber programmatisch und organisatorisch an die Tradition der jeweils eigenen Partei anknüpfen wollte. Insofern könne von einem vollständigen Neubeginn nicht gesprochen werden. Die sofortige Herstellung der Einheit beider Parteien sei vielmehr klar abgelehnt worden. Zu Recht hebt der Autor die besonderen Rahmenbedingungen der Provinz Sachsen hervor, die sich vor allem dadurch auszeichneten, dass der westelbische Teil von April bis Juli 1945 durch amerikanische und britische Truppen besetzt war. Parteiaktivitäten waren zu diesem Zeitpunkt zunächst einmal nur auf lokaler Ebene möglich; der Einfluss der zentralen Führungsgremien war marginal. Das änderte sich mit der vollständigen sowjetischen Besatzung der Provinz und dem damit verbundenen rasanten Aufstieg der kommunistischen Partei. Im Folgenden geht Schmidt auf die kommunistische Einheitskampagne und die erzwungene Fusion von SPD und KPD ein, ohne aber wesentlich neue Erkenntnisse liefern zu können. Doch das ist auch nicht sein Ziel; ihm geht es vielmehr um die historische Einbettung der Zwangsvereinigung in die Geschichte der Landespartei bis zur DDR-Gründung. Deshalb steht auch der nachfolgende Transformationsprozess der SED sehr viel stärker im Mittelpunkt der Studie. Der Autor skizziert die programmatische und institutionelle Entwicklung des SED-Provinzialverbandes nach seiner Gründung im Frühjahr 1946. Die Gemeinde-, Kreis- und Landtagswahlen im Herbst 1946 lösten eine erste Krise in der SED aus. Der Wahlausgang entsprach nämlich nicht den Erwartungen: Die SED verfehlte bei den Landtagswahlen die absolute Mehrheit und erzielte im Vergleich zu den übrigen Ländern und Provinzen das zweitschlechteste Ergebnis; nur in Brandenburg lag der Stimmenanteil noch etwas niedriger. Die Diskussion über die Wiederzulassung der SPD in der SBZ im Frühjahr 1947 interpretiert Schmidt als zweite Krise der SED, denn sie rüttelte an den Grundstrukturen der neu gebildeten Partei und stellte diese in Frage. Die überwunden geglaubte Teilung der Arbeiterklasse drohte mit einem Mal zurückzukehren.
Auf Länderebene markieren die Parteiwahlen im Sommer und der II. Parteitag im Herbst 1947 eine Zäsur. Der programmatische und organisatorische "Gründungskompromiss" (541) vom April 1946 wurde schleichend ausgehöhlt. Als Reaktion auf die Teilung Deutschlands wurde der Umbau der SED zu einer stalinistisch geprägten Massenpartei vorangetrieben. Viele ehemalige Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt sahen ihre Hoffnung auf eine eigenständige Politik und auf eine Bewahrung sozialdemokratischer Werte rasch enttäuscht. Anpassung und Resignation waren die Folge: Zahlreiche aus der SPD stammende Funktionäre verließen den Parteiapparat oder wurden sukzessive aus den Ämtern gedrängt. Andere passten sich den geänderten politischen Rahmenbedingungen an und richteten sich in der Partei ein. Dies alles ist nicht neu, sondern lässt sich bereits bei Andreas Malycha nachlesen. Der auf die Landesebene gerichtete Fokus ergänzt jedoch unser bisheriges Wissen über die Entwicklung der SED auf zentraler Ebene. Die forcierte Stalinisierung erfasste die Partei auch in Sachsen-Anhalt im Herbst 1948. Die Bildung der "Partei neuen Typus" war verbunden mit dem Kampf gegen den "Sozialdemokratismus": Mit der sozialdemokratischen Vergangenheit eines Teils der Mitgliedschaft sowie mit dem sozialdemokratischen Parteienverständnis wurde nun rigoros abgerechnet. Den offiziellen Startschuss gab pikanterweise mit Otto Grotewohl ein ehemaliger Sozialdemokrat. Dem schlossen sich innerparteiliche Säuberungs- und Disziplinierungsmaßnahmen an, die zum Parteiausschluss und zur Inhaftierung von früheren SPD-Mitgliedern führten. So wurden in Sachsen-Anhalt Anfang September 1948 zahlreiche prominente Funktionäre festgenommen; kurz darauf wurde der bisherige Ko-Vorsitzende des Landesvorstandes Bruno Böttge abgelöst. Die Ausschaltung sozialdemokratischer Akteure aus verantwortlichen politischen Positionen zeigte sich aber auch in der Flucht von Landesvolksbildungsminister Ernst Tharpe, einer der Leitfiguren im Selbstbehauptungskampf von ehemaligen SPD-Mitgliedern.
Insgesamt handelt es sich um eine sehr präzise und genaue Darstellung der Zwangsvereinigung in Sachsen-Anhalt, die nicht nur die Entwicklung bis zur SED-Gründung 1946 betrachtet, sondern sehr viel stärker als bisher die Transformation der Partei bis 1949 untersucht. Dennoch stellt sich die Frage, ob Themen- und Fragestellung nicht etwas zu eng gesteckt waren. Sehr vieles kommt einem bekannt vor. Dagegen hätte das Thema Anlass bieten können, um auf mittlerer Ebene den Wandlungsprozess der Hegemonialpartei über die Anfangszeit hinaus zu untersuchen. Dabei wäre es weniger um das Ausfindigmachen von sozialdemokratischen Residuen gegangen, als vielmehr um den Weg zu einer staatstragenden Massenpartei, die ihren Mitgliedern mitunter auch vielfältige Karrierechancen eröffnen konnte. Die Entwicklung der SED hätte somit stärker in die politische und sozialgeschichtliche Entwicklung der SBZ/DDR eingebettet werden können. Darüber hinaus wirkt die Studie mit ihren 543 eng bedruckten Seiten stellenweise etwas ermüdend. Eine stärkere Straffung hätte der Darstellung gut getan.
Dierk Hoffmann