Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung, Köln: Halem 2005, 575 S., ISBN 978-3-931606-73-2, EUR 36,00
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Dem Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes und seiner Vision einer "allgemeinen Bildwissenschaft" pflegt von kunstgeschichtlicher Seite nicht zuletzt auch aus wissenschaftspolitischen Gründen ein rauer Wind entgegen zu wehen. An dieser Stelle, in einem kunstgeschichtlichen Rezensionsorgan, soll umso weniger der Eindruck erweckt werden, ein Projekt würde sozusagen reflexhaft bekrittelt. Auch ist dies nicht der Ort, das Ziel eines allgemeinen "Theorierahmens" für alle zukünftigen Bildforschungen (Sachs-Hombach, 163) als solches zu diskutieren. Ganz vergessen lässt sich bei der Lektüre insbesondere der "Grundlagen"-Texte aber nicht, dass hier der Anspruch auf eine theoretische Federführung im Raum steht.
Der Sammelband ist das Ergebnis einer großen internationalen Tagung in Magdeburg im Jahr 2004. Er enthält 37 Beiträge und verfolgt, wie der Herausgeber betont (10), einen repräsentativen Anspruch. Die Ziele der Konferenz und des Bandes werden wie folgt umrissen: "1. einen Austausch der Bildforscher über ihre jeweiligen Ansätze, Theorien, Methoden und Erwartungen zur Bildthematik zu ermöglichen, 2. eine grundlagentheoretische Reflexion mit den jeweiligen Anwendungen zu vermitteln und 3. erste Schritte zur Institutionalisierung einer allgemeinen Bildwissenschaft zu unternehmen" (Klappentext, in diesem Sinne auch 11). Dass die Anwendungen sich beispielhaft auf einige zentrale Bereiche zeitgenössischer Bildproduktion beschränken, ist legitim und erscheint zunächst sinnvoll, wenn man Grundlagen und Anwendung in einem Band zusammenführen möchte. Es ist jedoch zu bedauern, dass in der Publikation kein Dialog mit den explizit kunsthistorisch-bildwissenschaftlichen Positionen, wie sie zum Beispiel in Berlin, Basel oder Karlsruhe formuliert werden, geführt wird. Die Erkenntnisse zum Bild insbesondere aus der historischen Bildforschung wären sowohl wichtiger Bestandteil eines zukünftigen Theoriegebäudes als auch prominentes Feld der Applikation von Theorien und Terminologien.
Aufgeteilt sind die Beiträge in zwei Hauptteile: "Grundlagen der Bildwissenschaft" und "Probleme der angewandten Bildwissenschaft". Weitere Untergliederungen trennen im ersten Teil "beteiligte Disziplinen" von "methodologischen Grundlagen" und "Bildphänomenen und Bildbedeutungen", im zweiten Teil die Anwendungsbereiche "Kunst und Design" von "Fotografie und Film" und "Computervisualistik". Aufgrund des subjektiven Zuschnitts und teils recht spezieller Fragestellungen ließen sich Beiträge des ersten Teils auch mit guten Gründen innerhalb der Unterabteilungen verschieben. Im zweiten Teil hingegen treten auch innerhalb der vermeintlich anwendungsbezogenen Aufsätze Vertreter mit durchaus grundlegenden theoretischen Überlegungen auf (vor allem die Beiträge von John Hyman und James zu Hüningen / Hans Jürgen Wulff). Sie unterscheiden sich irritierend von den überwiegenden Ansätzen, die eine konkrete zeitgenössische Bildproduktion theoretisch begleiten und zum Beispiel weitere Entwicklungen prognostizieren oder anregen. Ein Gemeinsames der "Anwender" droht sich deshalb hin und wieder zu entziehen. Das Problem der Zusammenstellung von kohärenten Gruppen prägt wohl fast jeden Tagungsband. Es verschärft sich jedoch, wo explizit ein programmatischer Anspruch erhoben wird. So sind die sieben Beiträger zur Gruppe der "Disziplinen" (Logik, Semiotik, Philosophische Anthropologie, Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Kartografie, Informatik) nicht wirklich repräsentativ für die am Sammelband beteiligten Wissenschaften oder Forschungsfelder. Noch weniger repräsentieren sie alle für das interdisziplinäre Projekt einer Bildwissenschaft maßgeblichen Fächer. Müßig zu betonen, dass Kunstgeschichte /Kunstwissenschaft hier hätte vertreten sein sollen. Hans Dieter Huber und Karlheinz Lüdeking sind überhaupt die einzigen am Band beteiligten Kunsthistoriker. Mit seiner Unterscheidung zukünftiger Bildwissenschaften in allgemeine, spezielle und historische wählt Huber jedoch ebenso ein rein wissenschaftstheoretisches Thema wie Lüdeking. Dieser entzaubert mit einem nüchternen Abgleich zwischen "linguistic" und "pictorial turn" den von W. J. T. Mitchell nachhaltig lancierten, aber nachweisbar nicht ganz stimmig kreierten Terminus. Während im ersten Fall vorrangig eine neue Methode für zahlreiche bereits existente Probleme etabliert wurde, verhält es sich, wie Lüdeking aufzeigt, mit dem neuen "turn" letztlich umgekehrt, weshalb man nicht von einer ähnlich fundamentalen Neuorientierung sprechen darf.
Aufgrund der schieren Menge und der fachlichen Vielfalt (von Phänomenologie über Medienpädagogik und Kognitionsforschung bis hin zu Computervisualistik und Kommunikationsdesign) können an diesem Ort neben der bereits gestellten Frage nach den formulierten Ansprüchen und deren Einlösung nur die wichtigsten Tendenzen wiedergegeben und der Nutzen des Buches für den an Bildwissenschaft interessierten Kunsthistoriker zumindest angedeutet werden. Zum letzten Punkt lässt sich prinzipiell festhalten, dass es eine nützliche Idee ist, aktuelle Forschungen und theoretische Ansätze zu einem Gegenstand in dieser reichhaltigen Form zusammenzuführen. Man weiß um die gegenständliche und disziplinäre Breite des bildwissenschaftlichen Projekts bzw. des "pictorial turn", aber wer hat schon die Muße, sich die Bildkonzepte, Methoden etc. zahlreicher beteiligter Disziplinen selbstständig zu erschließen? Insofern ist die Bündelung verschiedenster Beiträge zum Thema Bild, auch wenn es nicht der erste Versuch dieser Art ist, äußerst anregend und erhellend, vorausgesetzt, man versteht den Tagungsband als Reader und nicht als Grundlegung einer neuen Wissenschaft.
Schnell wird deutlich, dass gerade aufgrund der vielfältigen Interessen am Gegenstand auch nur eine allgemein gültige Definition des Bildbegriffs in weiter Ferne schwebt. Ohnedies ist festzuhalten: Ein konsensfähiger Theorierahmen zeichnet sich beim besten Willen nicht ab, nicht einmal innerhalb der rein philosophischen Positionen.
Spätestens seit Erwin Panofsky orientiert sich die Kunstgeschichte gerne an der Philosophie, die gerade im Grundlagen-Teil breit vertreten ist. Dort gibt es innerhalb der Bildtheorie aber ganz eigene Schlachtfelder: Besonders Semiotik und Phänomenologie streiten sich nach wie vor um die Frage, ob eine Definition des Bildes als Zeichen dem Gegenstand angemessen und theoretisch fruchtbar ist. Hier wären zum Beispiel die Aufsätze von Winfried Nöth, Lambert Wiesing und Klaus Sachs-Hombach selbst zu verorten. Sachs-Hombach plädiert - in leichter Variation seiner früheren Terminologie - dafür, Bilder als "wahrnehmungsnahe Medien" (vormals "wahrnehmungsnahe Zeichen" [1]) aufzufassen. Wiesing scheint nach einer nützlichen Skizze der einschlägigen anthropologischen, phänomenologischen und semiotischen Positionen ein pragmatistisches Modell zu bevorzugen, welches das Bild als Werkzeug definiert. Die daraus unmittelbar folgende Frage nach den Bildhandlungen spitzt er allerdings schnell auf den Anwendungsbereich virtueller Bilder zu. Dort und nur dort scheint sich ein Bildhandeln zu ereignen, das spezifisch bildlich ist und als "Probehandeln" bezeichnet wird. Inwiefern dieses virtuelle Probehandeln auch andere Bilder auszeichnet und inwiefern es etwa in der Zeichnung eine eigene Vorgeschichte hat, bleibt offen.
Überhaupt ist die Frage nach dem Handeln mit oder durch Bilder ebenfalls ein zentrales Thema und wird sehr unterschiedlich gefasst. Eva Schürmann etwa macht die Konzepte der Praxis und Performativität stark, um auf einen nicht-gegenständlichen Begriff des Bildes und des Bildhandelns abzuzielen. Ferdinand Fellmann wendet sich gegen eine Vorstellung vom Bildhandeln als aktiver Tätigkeit, vergleichbar mit dem Sprachhandeln. Bilder werden mehr "erlitten", kommen dem Betrachter als Ansichten zu. Auch sieht er die Bedeutung von Bildern stärker von der Syntax geprägt als vom Verwendungszusammenhang. Hier werden interessante Differenzkriterien zu sprachlichen Zeichen vorgebracht, die aber zu Aussagen führen, welche mit dem Wissen um konkrete Handlungskontexte und wechselnde Semantiken des Bildes, etwa im Mittelalter, nicht zu vereinen sind: "Kein Verwendungszusammenhang kann aus einem Bild, das morphologisch der Gestalt eines Elefanten entspricht, das Bild einer Mücke machen. Zwar wandeln sich Bildstile, aber der in der Sprache durch den Gebrauch sich vollziehende Bedeutungswandel ist bei Bildern ausgeschlossen." (52). Dem ließe sich mit guten Argumenten widersprechen. Hier wie in vielen anderen Aufsätzen prägt das idealtypische "Bild", das der Autor im Hinterkopf trägt, sehr stark die Theorie; mal ist es ein Cézanne, mal das Foto eines Politikers, von dem implizit ausgegangen wird, nur selten hingegen eine wissenschaftliche Visualisierung oder historische Bildpraktiken. Die "Anwendungen" und deren Reflexion stehen recht unverbunden daneben, wohl eher ein Charakteristikum des Sammelbandes als der Konferenz, für die ein solches Konzept des Zusammenführens sehr zu begrüßen ist. Ergänzend zu diesen zeitgenössischen Ausprägungen täte eine "Erdung" auch an historischer Bildpraxis dem einen oder anderen theoretischen Ansatz gut.
Andere Grundlagentexte hingegen versprechen für die konkrete bildwissenschaftliche Forschung vor dem Hintergrund der Kunstgeschichte wertvoller zu sein. Während einige der Autoren in semantischer Hinsicht die besondere "Wahrnehmungsnähe" oder gleichsam unmittelbare Referenz des Bildes betonen, geht Stefan Majetschak umgekehrt an das Bild heran und macht seine Opazität, die zwangsläufige Selbstreferenz des Bildes, zum entscheidenden Definiens. Dies scheint überzeugend, wenn man bedenkt, dass ein Bild nur dann ein Bild und nicht eine beliebige Sinneswahrnehmung sein kann, wenn man es nicht mit seinem Referenzobjekt (so es denn eines hat) verwechselt. Zum Zweiten verweist dieser Ansatz auf das bereits in Ansätzen begonnene Projekt, selbstbezügliche Aspekte des Bildes historisch und funktionsbezogen zu erforschen. Selbstbezüglichkeit als Apriori des Bildes verpflichtet darauf, von der vermeintlichen Beschränkung solcher Phänomene auf ein etabliertes Kunstsystem oder gar die Moderne abzusehen und auch die Verquickung von Selbst- und Fremdverweis als konstitutiven Faktor der Bildsemantik ernst zu nehmen. Andere Texte führen gelungen und verständlich in für Kunsthistoriker vielleicht weniger vertraute Zusammenhänge des Bildes ein, so den Zusammenhang von visueller Kommunikation und etablierten Demokratiemodellen (Wilhelm Hofmann) oder die kognitiven Implikationen non-verbaler Metaphern (Charles Forceville).
Gerade der Bereich der Semantik von Bildern zieht naturgemäß eine Vielzahl von Überlegungen auf sich und trotz der interessanten Ordnungsversuche etwa von Christian Doelker vermisst man hier schmerzlich die Errungenschaften, die eine kunstwissenschaftliche Bildhermeneutik vorzuweisen hat. Im Bewusstsein für die historische Wandlung von Bildfunktionen und in der dadurch herausgeforderten Schärfung des Blicks für das Zusammenspiel von Syntax und Semantik liegen wohl die unverzichtbarsten Leistungen der Kunstgeschichte / Kunstwissenschaft. Nicht zufällig wird auch in den Reflexionen der Anwendungsteile betont, wie wenig hier zum Beispiel Computer noch zu leisten vermögen (z. B. Rainer Höger, 341), denn Bilder sind "syntaktisch und semantisch dicht" (Manfred Harth, 236). Es bleibt eine privilegierte Domäne menschlicher Intelligenz und Symbolisierungspotenz, Bildern Bedeutungen zuzusprechen und dieser Vorgang widersetzt sich allgemein gültigen Schematisierungen.
Abschließend ist noch einmal zu betonen: Wer etwa Intension und Extension von "Bildhandlung" und "Bildsemantik" ohne ernsthaften Rekurs auf historische Ausprägungen sozusagen im klinischen Raum der Philosophie definiert, der mag ein kohärentes begriffliches Netz erschaffen - einen praktischen Wert für die konkrete (historische) Bildforschung darf man sich aber auf diesem Weg nur sehr bedingt erhoffen. Davon abgesehen liefert der Band einen breiten (wenn auch nicht annähernd vollständigen) Überblick und zahlreiche theoretische Stimuli und ist deshalb zu empfehlen, auch wenn niemand außer dem Rezensenten es auf sich nehmen muss, alle Beiträge zu lesen, deren Qualität erheblich differiert.
Anmerkung:
[1] Klaus Sachs-Hombach: Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft, Köln 2003, besonders 73-99.
Marius Rimmele