Fruma Zachs: The Making of a Syrian Identity. Intellectuals and Merchants in Nineteenth Century Beirut (= Social, Economic and Political Studies of the Middle East and Asia; Vol. 98), Leiden / Boston: Brill 2005, xviii + 277 S., ISBN 978-90-04-14169-8, EUR 109,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hans Hägerdal (ed.): Enslavement in the Indian Ocean World, 2021
Manan Ahmed Asif: A Book of Conquest. The Chachnama and Muslim Origins in South Asia, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2016
Reuven Amitai: Holy War and Rapprochement. Studies in the Relations between the Mamluk Sultanate and the Mongol Ilkhanate (1260-1335), Turnhout: Brepols 2013
Benny Morris: 1948. A History of the First Arab-Israeli War, New Haven / London: Yale University Press 2008
Etin Anwar: Gender and Self in Islam, London / New York: Routledge 2005
Inger Marie Okkenhaug / Ingvild Flaskerud (eds.): Gender, Religion and Change in the Middle East. Two Hundred Years of History, Oxford: Berg Publishers 2005
Gökhan Çetinsaya: The Ottoman Administration of Iraq, 1890-1908, London / New York: Routledge 2005
In ihrem Buch zeigt Fruma Zachs auf, dass im 19. Jahrhundert im Intellektuellenmilieu des Libanon und vornehmlich Beiruts die Grundlagen für eine neue syrische Identität geschaffen wurden, die territorial, säkular und kulturell definiert war. Diese bezog sich auf die Region zwischen arabischer Halbinsel, dem Taurusgebirge, dem Mittelmeer und dem Irak, wobei die Region zunehmend nicht mehr als Bilad al-Sham bezeichnet wurde sondern als Syrien. Damit ging eine Verschiebung von einer stärker durch den Islam geprägten Geschichte hin zu einer Einbeziehung auch nicht-islamischer Geschichte als Bezugspunkt für Identitätsstiftung einher. So entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Identität, die je nach Zusammenhang stärker ihre osmanischen, arabischen oder syrischen Aspekte hervorhob. Im Unterschied zu bisherigen Darstellungen dieser Entwicklung sieht Zachs deren Wurzeln nicht erst im späteren 19. Jahrhundert, sondern bereits deutlich früher (6).
Diese gesamte Entwicklung vollzog sich zunächst vornehmlich in der neu entstandenen, christlichen Händlerbourgouisie Beiruts, deren historische Wurzeln Zachs bis an den Hof des Drusenführers Amir Bashir II., also bereits bis an die Wende zum 19. Jahrhundert zurückverfolgen kann. Veränderungen im Welthandel, vornehmlich auf dem Baumwollmarkt, hatten ab dem späten 18. Jahrhundert bereits zu wachsender Kapitalakkumulation im Libanongebirge geführt und dort mit dem Emirat Bashirs eine von der osmanischen Zentralregierung verhältnismäßig unabhängige Herrschaft entstehen lassen, die dem Gebiet des Libanongebirges über ca. 50 Jahre hinweg bis 1840 eine Phase relativer politischer Stabilität und wirtschaftlichen Wachstums bescherte. Damit einher ging die Entstehung eines christlich dominierten Intellektuellenkreises am Hofe Bashirs, der enge Beziehungen zu Händlerkreisen pflegte (Kapitel 1).
Diese neu entstandene christliche Händlerschaft verlagerte ihren Schwerpunkt nach dem Ende der Herrschaft Bashirs endgültig nach Beirut, das im Gefolge größerer Immigrationswellen während des 19. Jahrhunderts zur dominierenden Stadt der Region aufstieg. Hier nahm das Konzept einer syrischen Identität weiter Form an, was zusätzlich durch die Schaffung der Provinz (vilayet) Syrien durch die Zentralregierung in Istanbul in den 1860er-Jahren flankiert wurde (Kapitel 2 und 3).
Die intellektuellen Entwicklungen in den Literatenkreisen Beiruts hatten neben den skizzierten endogenen Wurzeln auch exogene Einflüsse, die Zachs vor allem im wachsenden Engagement amerikanischer Missionare im Gebiet des heutigen Libanon seit dem frühen 19. Jahrhundert ausmacht (Kapitel 4). Dieser Intellektuellenkreis verbreitete seine Ideen vor allem durch Vorträge in literarisch-wissenschaftlichen Debattierclubs und über neuartige Medien wie Zeitungen oder historische Romane (Kapitel 5).
Fruma Zachs hat mit ihrem Buch eine gut lesbare und sehr nützliche Intellektuellengeschichte des Libanons im 19. Jahrhundert geschrieben. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass sie im wohltuenden Unterschied zu älteren Darstellungen stärker soziologische Fragestellungen in den Mittelpunkt rückt wie etwa das Verhältnis von Händlern zu Intellektuellen oder die Leserschaft von Zeitungen. Es ist dabei jedoch etwas schade, dass Zachs nur in geringem Maße französische Literatur berücksichtigt hat, was gerade beim Libanon ein wenig überrascht. Ebenso ist zu bedauern, dass zu Einzelpunkten der Studie bestimmte englischsprachige, substanzielle Forschungsergebnisse präsentierende Literatur nicht berücksichtigt wurde, etwa die Arbeiten Thomas Philipps zu neuen Formen der Geschichtsschreibungen oder des historischen Romans oder die Forschungen Stefan Webers zu neuen Formen der Wohnkultur und des künstlerischen Geschmacks.
Die Berücksichtigung dieser Arbeiten hätte vielleicht manche Vergröberungen der Darstellung wie die strikt trennende Einteilung in eine Ost- und eine West-Identität vermeiden helfen (z.B. 64 ff.). Generell hätte man sich gelegentlich mehr Belege für die einzelnen Aussagen gewünscht, etwa wenn es auf Seite 69 heißt "the encounter with the West was traumatic, not only for the Muslims but sometimes for the Christian Arabs themselves" und auf Seite 70 dann "members of the stratum [der neu entstehenden Milieus von Händlern und Intellektuellen] did not see any contradiction in associating themselves with both sides, i.e. the indigenous and the foreign." Beispiele aus den Quellen hätten hier zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit beigetragen.
Das Gleiche gilt für Bezüge auf den größeren Forschungsrahmen. Es überrascht, wenn Zachs ihr eigenes Buch von bisheriger Forschung abgrenzt, ohne dabei einen einzigen Titel ganz konkret zu benennen (6). Ein weiteres Beispiel hierfür ist auf Seite 83 f. ihre Abgrenzung von Literatur, die sich auf die Dependenztheorie beziehe. Diese handwerkliche Kritik mag pedantisch erscheinen, jedoch gewinnt man gerade bei Arbeiten zu so relativ gut erforschten Regionen des Nahen Ostens wie dem Libanon des 19. Jahrhunderts den Eindruck, dass der Druck, Neues präsentieren zu müssen oder zu wollen, dazu führt, dass Aussagen über den Forschungsstand getroffen werden, die man gelegentlich einfach gerne belegt hätte.
Diese handwerkliche Kritik bezieht sich auch auf einige Interpretationen von Zachs. So hätte man z.B. gerne mehr über die Frage erfahren, wie Elie Smith 1852 und Butrus al-Bustani 1859 bei öffentlichen Vorträgen inhaltlich über eine syrische Identität sprechen konnten, ohne den Begriff "Syrien" dabei zu verwenden - und das im Rahmen von Veranstaltungen, die von einem Verein organisiert wurden, der den Terminus in seinem eigenen Namen trug (141 und 146).
Diese Kritik soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Zachs eine gut lesbare, facettenreiche Studie vorgelegt hat, die gerade im fünften Kapitel auch bislang unberücksichtigtes Quellenmaterial ausbreitet und allein schon deswegen zu einem Ausgangspunkt künftiger Forschungen werden wird.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Thomas Eich