Rezension über:

Rosaria Vignolo Munson: Black Doves Speak. Herodotus and the Languages of Barbarians (= Hellenic Studies; 9), Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2005, ix + 121 S., ISBN 978-0-674-01790-0, USD 14,95
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Rezension von:
Johannes Engels
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Engels: Rezension von: Rosaria Vignolo Munson: Black Doves Speak. Herodotus and the Languages of Barbarians, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/9014.html


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Rosaria Vignolo Munson: Black Doves Speak

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Die griechische Sprache formt nach Herodots Vorstellung als ein zentrales Element eine polis- und ethnosübergreifende, gemeinsame hellenische Identität (Her. 8,144). Herodot verwendet Sprache in den Historien als entscheidendes Merkmal in seiner Taxonomie von Hellenen und Barbaren. Die meisten damaligen Griechen hielten es für selbstverständlich, dass die griechische Sprache allen barbarischen überlegen sei, so wie die griechische Kultur allen außergriechischen. Aus der Sicht der Zeitgenossen Herodots kennzeichnete alle nichtgriechischen Sprachen deren Unverständlichkeit. Daher finden sich bei griechischen Autoren oft Analogien zwischen Äußerungen menschlicher Sprecher in fremden Sprachen und Geräuschen oder dem Klang von Vogel- und sonstigen Tierstimmen. Der Titel von Munsons Studie "Schwarze Tauben sprechen" spielt auf eine Version des Gründungsmythos des Zeus-Orakels von Dodona an, nach der zwei schwarze Tauben aus dem ägyptischen Theben aufgeflogen seien, von denen die eine zum Ort des Ammons-Orakels in der libyschen Wüste, die andere nach Dodona geflogen sei. Dort habe sie mit menschlicher Stimme verkündet, man solle an dieser Stelle ein Zeus-Orakel begründen. (Her. 2,54-57, Munson 68-69). Herodot erklärt diesen Gründungsmythos rationalisierend so, dass zwei dunkelhäutige Ägypterinnen verschleppt und nach Libyen und Dodona verkauft worden seien, die dort die Orakel gegründet hätten. Der Klang der fremdländischen Sprache der ägyptischen Priesterinnen in Dodona habe für die Griechen wie das Gurren von Tauben geklungen.

Das Werk des Ethnografen und Historikers Herodot erweist sich zu diesem für die griechische Identität zentralen Thema als eine wahre Fundgrube. Munson vertieft in dem zu besprechenden Buch ihre Interpretationen zu Herodots Werk, dem sie bereits eine Monografie gewidmet hatte. [1] Beide Studien betonen nachdrücklich die pluralistische Weltsicht Herodots, zu der er auch seine griechischen Hörer und Leser ermuntern möchte. Herodots verstreute Notizen zu den Sprachen der Barbaren in den Historien bilden zusammengenommen ein Gegenstück zu den Gedanken des Sophisten Protagoras in den Dissoi Logoi und dem systematischeren platonischen Philosophieren über Sprache im Kratylos (Munson, 43-46 und 66).

Munsons schlankes, gedankenreiches Buch führt direkt hinein in die Diskussion über die Anthropologie Herodots, die sprachlichen Fundamente der Antithese zwischen Hellenen und Barbaren im 5. Jahrhundert und die Begründung der hellenischen Identität. Das erste Kapitel ("Greek Speakers", 7-18) stellt verschiedene Gruppen von Sprechern vor: Griechen, Pelasger, Barbaren und sonstige Fremde. Herodot führt seinen Lesern vor, dass auch die griechische Sprache in früher Zeit starke sprachliche und kulturelle Einflüsse aus der außergriechischen Welt empfangen hat. Die Aufspaltung einer Sprache in mehrere Dialekte und die Frage, wie man diese Dialekte von Fremdsprachen differenzieren könnte, bleibt bis heute faszinierend, wird von Herodot aber nur selten in den Blick genommen (siehe aber über die vier ionischen Dialekte 1,142). Zu seiner Zeit differenzierte man noch nicht konsequent zwischen glosse, phone und dialektos. Kapitel 2 ("The Ethnographer and Foreign Languages", 19-29) problematisiert Herodots Rolle als Histor. Für diesen Beobachter und Erforscher fremder Sprachen und Kulturen stellen jede Übersetzung und das Nachdenken über fremde Sprachen wichtige geistige Erfahrungsprozesse dar, die den vorurteilsfreien Blick für außergriechische Kulturen öffnen können.

Das Kapitel 3 ("Herodotos Hermeneus", 30-66) ist das längste und wohl zentrale Kapitel der Studie. Herodot verwendet in den Historien mit voller didaktischer Absicht Fremd- und Lehnworte aus der Welt des Nahen Ostens und für ihn typische 'metalinguistische Glossen' (Munson, 30-32). Er bezieht Position in der zeitgenössischen Diskussion über 'richtige' Namen und Begriffe, um seinen Lesern die Relativität von Sprache als kulturellem Phänomen vorzuführen. Es gebe in der griechischen Sprache keineswegs immer passende Worte mit einer vollständig äquivalenten Bedeutung zu Ausdrücken aus fremden Sprachen (etwa für Tiere, Pflanzen oder Gegenstände aus fernen Ländern, z. B. das Erdöl oder das Krokodil). Herodot weiß genau, dass Begriffe in fremden Sprachen für deren Muttersprachler oft eine andere wörtliche Bedeutung haben als deren griechische Äquivalente für Griechen. Diese Beobachtung hat auch noch die moderne Semantik beeinflusst. Herodot verteidigt die Auffassung, dass der Hauptunterschied zwischen verschiedenen Sprachen lediglich in unterschiedlichen Namen für die gleichen Dinge liege. Ferner gebe es eine natürliche Angemessenheit der Worte und Namen für Dinge oder Personen (orthotes ton onomaton, vgl. Platon, Krat. 383a-b). 'Barbarische' Sprachen wie das Persische oder Ägyptische bezeichnen Herodot zufolge bestimmte Dinge, Personen oder Einrichtungen sogar treffender als das Griechische. "Barbarian speech shows both that the notion of the linguistic handicap of non-Greeks is invalid and that the barbarian / non-barbarian antithesis is relative" (Munson, 66).

Trotz seiner Herkunft aus Halikarnassos in der hellenisch-barbarisch gemischten Region Kariens und trotz seiner Neugier und großen Aufgeschlossenheit gegenüber nichtgriechischen Kulturen darf man auf der Basis seiner Historien unterstellen, dass Herodot außer Griechisch keine weitere im östlichen Mittelmeergebiet weit verbreitete Sprache sprach, weder Persisch, noch Aramäisch, Ägyptisch, Skythisch oder Keltisch. Herodot war in dieser Hinsicht für die griechische Elite durchaus repräsentativ, die von bestaunten Ausnahmen abgesehen keine Fremdsprachen lernte (ähnlich manchen heutigen Anglophonen). Unsere Quellen rühmen als seltsame Ausnahmen Themistokles im 5. Jahrhundert oder Peukestas im 4. Jahrhundert, die fließend Persisch erlernt hatten (Plutarch, Them. 29,5, Arrian, Anab. 6,30,3). Herodots Erfahrungen auf ausgedehnten Reisen führten ihn jedoch zu der Auffassung, dass eine Verständigung über Sprachgrenzen hinweg durch Übersetzungen mithilfe von Dolmetschern, notfalls durch nonverbale Erklärungen oder Gesten fast immer möglich sei: "Herodotus assumes a large sphere of equivalence among different foreign languages and Greek, yet he goes even further by establishing the autonomous validity and intelligibility of barbarian speech both within and outside that sphere" (Munson, 63). Die meisten Dolmetscher, von denen wir bei klassischen Autoren hören, waren gebürtige Nichtgriechen. [2]

Kapitel 4 ("The Meaning of Language Difference", 67-83) stellt Herodots These in den Mittelpunkt, dass Sprachunterschiede lediglich kulturell bedingt und kein Hindernis seien, um Kontakte zwischen Kulturen und Völkern herzustellen. Pointiert formuliert Munson (70): "language makes no difference". Die bloße Tatsache, Griechisch zu sprechen, sei jedenfalls noch kein Grund für Überheblichkeit der Hellenen gegenüber barbarischen Sprachen und Kulturen. "Language represents to Herodotous a particularly unproblematic area of difference; it therefore offers a paradigm of relativity to be extended as much as he possibly can to other spheres of culture in which difference is harder to accept as legitimate" (78). Solche Bereiche waren z. B. abweichende Begräbnissitten, theriomorphe Gottesvorstellungen und drastische Kultpraktiken, für griechisches Empfinden anstößige Verhaltensweisen und Rollenverteilungen von Männern und Frauen, Speisegewohnheiten, Kleidungsformen usw.

Die Frage, inwieweit die griechische Sprache ein zentrales Kriterium hellenischer Identität sei, gewann im Hellenismus und der römischen Kaiserzeit eine vielleicht noch größere Bedeutung als in der klassischen Epoche. Strabon diskutiert z. B. sprachliche Aspekte in seiner Taxonomie des Barbaren ausführlich. Er legt in den Geographika einen Exkurs über hellenische Dialekte und barbarische Sprachen ein, als er bei der Beschreibung Kariens die homerische Redewendung "kares barbarophonoi" erläutert. [3] Die konzise und empfehlenwerte Studie Munsons schließt mit einer Bibliografie (85-99) [4], einem Index antiker Quellen und einem allgemeinen Index.


Anmerkungen:

[1] R.V. Munson: Telling Wonders, Ethnographic and Political Discourse in the Work of Herodotus, Ann Arbor 2001. Munson knüpft insbesondere an zwei jüngere Studien an: Thomas Harrison: Herodotus' Conception of Foreign Languages, in: Histos 2 (1998), URL: http://www.dur.ac.uk/Classics/histos/1998/harrison.html sowie Javier Campos Daroca: Experiencas del lenguaje en las "Historias" de Heródoto, Almeria 1992 (non vidi). Deborah Levine Gera: Ancient Greek Ideas on Speech, Language and Civilization, Oxford 2003, wurde leider nicht berücksichtigt. Vgl. ferner jüngst John Heath: The Talking Greeks. Speech, Animals, and the Other in Homer, Aeschylus, and Plato, Cambridge 2005.

[2] vgl. Claudia Wiotte-Franz: Hermeneus und Interpres. Zum Dolmetscherwesen in der Antike (= Saarbrücker Studien zur Archäologie und Alten Geschichte; 16), Saarbrücken 2001.

[3] Strabon, Geog. 14,2,28 C. 661-663, vgl. dazu jüngst Eran Almagor: Who is a Barbarian, in: Daniela Dueck / Hugh Lindsay / Sarah Pothecary (Hg.): Strabo's Cultural Geography. The Making of a Kolossourgia, Cambridge 2005, insb. 44-48.

[4] Munson nennt nur einen der einschlägigen Beiträge von Jürgen Werner in ihrer Bibliografie (99): Kenntnis und Bewertung fremder Sprachen bei den antiken Griechen I. Griechen und Barbaren: zum Sprachbewusstsein und zum ethnischen Bewusstsein im frühgriechischen Epos, in: Philologus 133 (1989), 169-176. Dieser Titel wird wie einige andere deutschsprachige Titel von Burkert, Kirchberg, Klees, Merkelbach, Müller, Spiegelberg oder Wolff leider fehlerhaft zitiert.

Johannes Engels