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Michael Kaiser: MilitĂ€rgeschichte der FrĂŒhen Neuzeit. Einführung, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/forum/militaergeschichte-der-fruehen-neuzeit-106/

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MilitĂ€rgeschichte der FrĂŒhen Neuzeit

Einführung

Von Michael Kaiser

Seit mehr als zehn Jahren erfreut sich die MilitĂ€rgeschichte einer verstĂ€rkten Aufmerksamkeit in der deutschsprachigen historischen Forschung. Kennzeichnend fĂŒr diesen Aufschwung ist die Öffnung der MilitĂ€rgeschichte fĂŒr andere AnsĂ€tze und Trends der historischen Forschung, speziell der Sozial- und der Neuen Kulturgeschichte. Dies gilt zwar praktisch fĂŒr alle Epochen der Geschichte, doch kann die FrĂŒhneuzeitforschung fĂŒr sich reklamieren, die sog. Neue MilitĂ€rgeschichte methodisch begrĂŒndet und diesen Impuls in vielfacher Weise weitergetragen zu haben.

Die in diesem Forum vorgestellten Studien zur Vormoderne spiegeln beispielhaft die Lebendigkeit der aktuellen militĂ€rhistorischen Forschung wider. Zwei der sechs vorgestellten Titel sind Produkte amerikanischer Forscher, die nicht nur daran erinnern, dass außerhalb der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft die MilitĂ€rgeschichte von je her ihren festen Platz in der Geschichtswissenschaft hatte, sondern auch verdeutlichen, dass die MilitĂ€rgeschichte eine internationale Disziplin darstellt.

Nach der klassischen Epochengliederung ist das Thema der Hussiten eindeutig dem Mittelalter zuzuordnen. Doch aus militĂ€rhistorischer Sicht ist der Verweischarakter der Hussitenkriege auf die Zeit der Landsknechte ausschlaggebend. Deswegen hat auch die Studie von Uwe Tresp hier ihren Platz, wird doch anhand dieser Arbeit deutlich, wie sehr bereits die Kriegsorganisation der Hussiten VerhĂ€ltnisse erkennen ließ, die dann fĂŒr das Söldnerwesen im 16. Jahrhundert und darĂŒber hinaus bestimmend sein sollten.

Die Themen der anderen BĂŒcher sind zeitlich deutlich in der ausgehenden Vormoderne verortet und decken die Zeit vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zu den Napoleonischen Kriegen ab. Chronologisch den Auftakt macht der Katalog, der die Ausstellung im Wehrgeschichtlichen Museum in Rastatt anlĂ€sslich des 350. Geburtstages des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden, besser bekannt als "TĂŒrkenlouis", begleitete. Dieser ReichsfĂŒrst, der sich vor allem als Feldherr des Kaisers profilierte und durchaus mit dem heute ungleich prominenteren Prinzen Eugen auf eine Stufe zu stellen ist, erfĂ€hrt in einigen Skizzen eine biographische WĂŒrdigung; darĂŒber hinaus werden auch einige strukturelle (militĂ€rhistorische) Aspekte seiner Zeit erörtert.

Die Dissertation von Martin Winter ist dem preußischen Kantonsystem gewidmet - und damit einem klassischen Sujet der MilitĂ€rgeschichte, galt dieses Verfahren der HeeresergĂ€nzung doch als ein wesentliches Element fĂŒr den im 18. Jahrhundert beginnenden Prozess einer Militarisierung der preußischen Gesellschaft, mit all ihren Implikationen fĂŒr den Gang der preußischen und dann der deutschen Geschichte in der Moderne. Die schon in den letzten Jahren verstĂ€rkt gefĂŒhrte Diskussion, ob das Kantonsystem die Militarisierung forciert habe oder ob nicht auch das MilitĂ€r selbst nĂ€her in die Gesellschaft eingebunden und dadurch zumindest in der Tendenz "zivilisiert" worden sei, dĂŒrfte mit dieser Arbeit einen neuen Anstoß erhalten.

Thematisch komplementĂ€r zu Winters Arbeit sind die Berichte des Hofkriegsrates, der obersten MilitĂ€rverwaltungsbehörde in Wien, zu sehen. Denn diese Dokumente, die tiefe Einblicke in die sozialen und wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse der LĂ€nder der Habsburgermonarchie bieten, sind im Kontext der Reformen des österreichischen Rekrutierungssystems entstanden, fĂŒr die das preußische Kantonsystems durchaus Vorbild war. Deutlich wird daran auch, dass die Frage nach der Militarisierung der Gesellschaft nicht nur ein Thema der preußischen Geschichte ist.

Die Edition der Schriften des Generals Lloyd rĂŒckt einen der schillernden MilitĂ€rs des 18. Jahrhunderts und einen wichtigen militĂ€rischen Denker dieser Epoche in den Mittelpunkt. Zu seiner Zeit fraglos eine europĂ€ische ZelebritĂ€t, ist er heute nur mehr Spezialisten bekannt. Die besondere Bedeutung Lloyds ergibt sich aus seinen Schriften, die ihn als Vertreter des AufgeklĂ€rten Zeitalters ausweisen. Die Edition schlĂ€gt eine BrĂŒcke von der MilitĂ€rhistorie zur Geschichte der AufklĂ€rung und stellt somit Verbindungen her, die lange Zeit in der Forschung geflissentlich ĂŒbersehen wurden.

Dass die Französische Revolution nicht nur gesellschaftliche VerhĂ€ltnisse auf den Kopf stellte, sondern auch weitreichende Folgen im militĂ€rischen Sektor hatte, daran erinnert das Buch Owen Connellys. Als Altmeister der MilitĂ€rgeschichte fĂŒr die Zeit der Revolution und Napoleons bietet Connelly einen konzisen Überblick, der immer wieder durch pointierte Wertungen auffĂ€llt.

Die im Forum besprochenen Titel geben nur einen kleinen und exemplarischen Einblick in die aktuellen militĂ€rhistorischen Forschungen. Intensiv wird auch zu militĂ€rischen und kriegerischen PhĂ€nomenen anderer Epochen, insbesondere des 19. und 20. Jahrhunderts, gearbeitet. Doch gerade in der FrĂŒhneuzeitforschung gibt es ein ungebrochenes Interesse an militĂ€rgeschichtlichen Fragestellungen. Diese fokussieren sich einerseits auf die klassischen kriegerischen Auseinandersetzungen der Epoche wie den DreißigjĂ€hrigen Krieg und die Kriege des 18. Jahrhunderts, allen voran die friderizianischen Kriege. Andererseits stehen verstĂ€rkt strukturgeschichtliche AnsĂ€tze im Vordergrund, die etwa Fragen der Heeresorganisation und, weitgehend von sozialhistorischen AnsĂ€tzen inspiriert, Themen der militĂ€rischen Binnenstruktur aufgreifen. Schließlich haben viele militĂ€rhistorische Studien von aktuellen Forschungsdiskussionen wie etwa der um die Rolle der Gewalt in der Geschichte profitiert. Die sehepunkte werden auch in Zukunft den Fortgang dieser Diskussionen verfolgen und zu gegebener Zeit in weiteren Foren dokumentieren.

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