Giovannangelo Camporeale (ed.): The Etruscans Outside Etruria. Translated by Thomas Michael Hartmann, Los Angeles: Getty Publications 2004, 314 S., 240 Farb-Abb., ISBN 978-0-89236-767-2, USD 49,95
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In den letzten Jahren wurde die Kultur der Etrusker Gegenstand des breiten Interesses. Davon zeugen verschiedene internationale Ausstellungen und vorgelegte Fachbücher. Die zu besprechende Publikation, deren Originalfassung im Jahr 2001 in italienischer Sprache erschienen ist, gehört in diesen Kontext. Den Text begleiten zahlreiche, in der Regel qualitativ gute Illustrationen (Ausnahme auf Seite 217). Dem hohen Quellenwert der Materialfunde hätte allerdings deutlicher Rechnung getragen werden können, indem nicht nur sporadisch direkt Bezug auf die Abbildungen genommen und damit der sich aufdrängende Eindruck einer effektvollen Präsentation des Textes vermieden worden wäre. Der Zielgruppe des Buches angepasst, ist der Abhandlung statt wissenschaftlicher Einzelnachweise eine gegliederte Bibliografie beigegeben.
Den originellen Ansatz lässt bereits der Titel erkennen. Nicht die etruskische Kultur in ihrer Entfaltung im Kernland zwischen Arno und Tiber steht im Zentrum, sondern deren Einflussnahme in auswärtigen Bereichen. Das Buch umfasst siebzehn Kapitel aus der Feder jeweils entsprechend spezialisierter Autoren, sodass ein äußerst kompetenter und wissenschaftlich authentischer Text entstehen konnte.
Das auf die Fragestellung hinführende Vorwort und die ersten drei Kapitel stammen vom Herausgeber des Buches. Giovannangelo Camporeale gibt im ersten Kapitel eine inhaltlich konventionelle Einführung zur etruskischen Zivilisation (12-77). Hervorzuheben ist das nachdrückliche Bemühen des Autors um grundlegende methodische Aspekte und die Kennzeichnung der vermittelten Fakten als Ergebnisse eines Untersuchungsprozesses. Zu Recht charakterisiert Giovannangelo Camporeale die seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. im engeren Sinn fassbare etruskische Kultur als Resultat einer indigenen, mit kulturellen Phänomenen des 9. und 8. Jahrhunderts eng verwandten Entwicklung (33-42, bes. 34).
Die zwei folgenden Kapitel Giovannangelo Camporeales sind einerseits der Position der Etrusker innerhalb der mediterranen Welt (78-101) und andererseits ihrem Verhältnis zum kontinentaleuropäischen Raum (102-129) gewidmet. Die Darstellung orientiert sich an den wenigen erhaltenen Schriftzeugnissen und an der archäologischen Überlieferung, und zwar sowohl den etruskischen Objekten, die in den östlichen wie westlichen Mittelmeerregionen und im transalpinen Raum gefunden wurden, als auch den wechselseitigen Importen in Etrurien. Die informativen Kapitel stützen sich auf bekanntes Grundlagenmaterial, das in chronologischer Folge detailliert diskutiert wird. Bisweilen hätte eine Straffung der Ausführungen förderlich sein können, wenn nämlich in Ermangelung einer lückenlosen Illustration (z. B. zu 122-124, 127-128) dem Text nur mit Vorkenntnissen zu folgen ist. Die Darlegungen Giovannangelo Camporeales überzeugen durch ihre zurückhaltende soziokulturelle Interpretation der Fremdfunde bei zugleich ausgeprägter Aufgeschlossenheit gegenüber entsprechenden Problemen. In der Tat lässt es sich in der Regel nicht entscheiden, ob ein in einem griechischen Heiligtum gefundenes etruskisches Objekt das Votiv eines Etruskers oder Griechen war und ob es gegebenenfalls vor der Weihung in einem griechischen Haushalt genutzt worden ist (86). Genauso offen muss die Frage einer Vermittlerrolle Etruriens für griechische Importe nach Südgallien bleiben (91) sowie die Funktion von Zwischenhändlern in Norditalien bei der Überbringung etruskischer Produkte in die Gebiete jenseits der Alpen (112, 125). Thematisiert wird ferner immer wieder die Handwerkermigration von und nach Etrurien. Trotz der Fülle der Einzelfakten eröffnet sich dem Leser in der Summe der beiden Kapitel ein interessantes kulturelles Phänomen: Während sich anhand der Verbreitung etruskischer Funde im Mittelmeerraum im Wesentlichen Handelsbeziehungen erschließen lassen, offenbart die Befundlage für den transalpinen Raum mit einer intensiven Nachahmung etruskischer Waren und einer Nutzung etruskischer Objekte als Grabbeigaben Akkulturationsprozesse, die in vergleichbarer Art im außeritalisch mediterranen Bereich fehlen und ihrerseits an die Aneignung griechischer Elemente in Etrurien erinnern.
Anschließend wird der etruskischen Präsenz in sämtlichen italischen Regionen nachgegangen. Damit ist eine Perspektive angesprochen, die sich in neuerer Zeit in der Forschung etabliert hat, in Überblicksdarstellungen jedoch bislang nicht konsequent aufgezeigt worden ist. Die Beiträge schließen sich zu einer differenzierten Gesamtdarstellung des etruskischen Einflusses in Italien zusammen. Zwar erschwert der weitgehend uniforme, chronologisch ausgerichtete Aufbau der Texte das Erkennen regionaler Besonderheiten bezüglich der Rezeption des Etruskischen, doch ermöglichen die sich ergebenden Wiederholungen bzw. Parallelbeobachtungen dem Leser das Erkennen historischer Interdependenzen als Basis kultureller Mechanismen. Hervorzuheben ist das durch Loredana Capuis (130-145), Luciana Aigner Foresti (146-157) und Adriano Maggiani (158-167) gegebene facettenreiche Bild der regionalen Stämme in den heutigen Gebieten des Veneto, der Lombardei, des Piemonts und Liguriens. Es wird dort anhand der Grabsitten oder der lokalen Imitation etruskischer Erzeugnisse eine deutliche Etruskisierung fassbar. Giuseppe Sassatelli (168-191) hebt in seinem Kapitel zur Po-Ebene die Entwicklung Bolognas vom 9. zum 4. Jahrhundert als einen kontinuierlichen Prozess hervor und korrespondiert mit Giovannangelo Camporeales eingangs gegebener Charakterisierung der Etrusker als indigener Kulturträger. Der Blick auf Verrucchio (leider nicht in der Abb. auf Seite 168 kartiert) als ein villanovazeitlicher Handelsplatz der Region lässt anhand der Verarbeitung von Bernstein und erhaltener Holzfunde die ortsspezifische Produktionsvielfalt erkennen. Die Gründung Marzabottos, Spinas und Mantuas um die Mitte des 6. Jahrhunderts erfolgte in der Situation eines historischen Umbruchs, kann aber aufgrund überlieferter Namen als indigene Entwicklung eingeordnet werden.
Paolo Bruschetti (192-207) betont die enge Verwandtschaft der etruskischen mit der umbrischen Kultur bis in hellenistische Zeit, die durch die unmittelbare Nähe beider Regionen plausibel ist (statt der wiederholten Illustration der Crocifisso del Tufo Nekropole von Orvieto hätte eine Karte für die Lektüre hilfreich sein können). Undeutlich bleibt jedoch die Abgrenzung der etruskischen von der umbrischen Kultur. Auch wird die Prävalenz der etruskischen gegenüber der umbrischen Kultur als Voraussetzung der im Text benannten Integration etruskischer Merkmale (197) in die umbrische Kultur nicht begründet. Die Situation in Picenum (208-219) wie in Latium (220- 235) ist, im Wesentlichen geografisch bedingt, von einem intensiven Handel mit Etrurien, aber auch mit Griechenland und dem Ostmittelmeerraum geprägt, der sich in den Beigaben der aristokratischen Gräber manifestiert. Die etruskischen Produkte regten in Picenum die einheimischen Handwerker zu lokalen Keramik- und Bronzeerzeugnissen an, während in Latium die Anwesenheit der Etrusker einen deutlichen Niederschlag in der Architektur gefunden hat.
Ein besonderes Verhältnis zur etruskischen Kultur zeichnet sich dem Artikel Bruno D'Agostinos (236-251) zufolge in Campanien ab. Bereits für das 9. Jahrhundert konnten jetzt villanovazeitliche Siedlungen in diesem Gebiet nachgewiesen werden. Etruskische Dominanz sowie eine vitale indigene Kultur, die ihrerseits als Vermittlerin griechischer und großgriechischer Tradition nach Etrurien fungierte, sind kennzeichnend für diese Landschaft. Im süditalischen Lukanien, Apulien und Calabrien (252-273) lassen etruskische Fundstücke und etruskische Imitationen auf Verbindungen zu den Etruskern schließen; ferner ist das Aufkommen von Kammergräbern und Grabmalerei als Akkulturationsindiz zu diskutieren, während die Verbreitung der chalkidischen Vasen in Etrurien punktuelle Rückflüsse aus Unteritalien belegt. Handelsbeziehungen, für einzelne etruskische Städte wirtschaftlich existenzieller Art, charakterisieren den Kontakt mit Korsika und Sardinien (274-291). Schließlich werden Beziehungen mit Sizilien (292-303) ebendort über etruskische Keramikfunde und über eine etruskisierende Keramikherstellung fassbar.
Das besprochene Buch ist eine empfehlenswerte Einführung, die historisch-politische Zusammenhänge und die daraus resultierenden ökonomischen Strukturen der etruskischen Kultur und deren Umfeld innovativ fokussiert. Es drängt sich nun auf, religionsgeschichtlichen Aspekten mit gleichem Ansatz nachzugehen. Dieses Desiderat ist allerdings kein Mangel der angezeigten Publikation, sondern drückt vielmehr deren wegweisenden Charakter aus. Deutlich wird aber auch, dass die kulturelle Vorherrschaft der Etrusker in Italien ein Phänomen ist, dessen aitiologische Erklärung noch umfangreiche Forschungsarbeit verlangt.
Magdalene Söldner