Martin Lindner (Hg.): Drehbuch Geschichte. Die antike Welt im Film (= Antike Kultur und Geschichte; Bd. 7), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 176 S., ISBN 978-3-8258-8957-9, EUR 14,90
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Pamela-Jane Shaw: Discrepancies in Olympiad Dating and Chronological Problems of Archaic Peloponnesian History, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003
Jonas Grethlein: The Greeks and Their Past. Poetry, Oratory and History in the Fifth Century BCE, Cambridge: Cambridge University Press 2010
Peter J. Rhodes (ed.): Athenian Democracy, Edinburgh: Edinburgh University Press 2004
Über Verfilmungen antiker Stoffe ist in den letzten Jahren vergleichsweise viel publiziert worden, was gewiss nicht nur auf die 'kleine Renaissance' dieses Sujets im Kino und Fernsehen seit dem Ende der 1990er-Jahre zurückzuführen ist. Es gibt auch eine neue, jüngere Generation von Altertumswissenschaftlern, die mit populärer Kultur aufgewachsen ist und sich nicht scheut zuzugeben, dass die Magie des Kinos sie nicht weniger oder vielleicht sogar noch mehr geprägt hat als Dramen, Opern oder ein Romanfragment Bertold Brechts. Zudem ist das Material heute weit besser zugänglich als noch vor zehn Jahren: Selbst die hinterletzten italienischen Muskel-und-Sandalen-Filme werden in die nimmersatten Abspielmaschinen der Privatsender eingespeist, und DVD-Editionen der A-Produktionen mit ihrem z. T. umfangreichen Bonusmaterial erlauben filmphilologische Studien. Doch sich mehr als nur gelegentlich mit diesen Dingen zu befassen, nährt dann doch nicht, zumal es in der 'richtigen' Antike noch so viel neu zu rekonstruieren gibt, und es ist auch nicht karrierefördernd. Und so sind Tagung und Sammelband die gemäßen Orte wissenschaftlich betriebener Kino-Antike. [1] Ausgewachsene Monografien bieten naturgemäß ganz andere Möglichkeiten der Kontextualisierung und Vertiefung. [2]
Die vorliegende Broschur dokumentiert die Vorträge eines Kolloquiums an der Universität Mannheim, das Anfang 2005 Filmschaffende (!) und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zusammenführte. Margot Berghaus gibt einleitend einen auf das Thema visualisierter Historie ausgerichteten thesenartigen Grundkurs in Geschichts- und Kommunikationstheorie (10-24) und fasst dabei gängige, aber auch Luhmann'sche Einsichten pointiert zusammen: (Bewegte) Bilder schaffen wirksamere Vorstellungen als Texte, weil sie den dargestellten Objekten ähnlicher sehen als Worte; besonders wirksam und daher bevorzugt sind dabei 'archetypische' Handlungen und Konstellationen - die Verfasserin spricht von "zeitlosen, ewig menschlichen, geschichtslosen" Themen -, deren Umsetzung in Bilder immer funktioniere, ohne dass der Betrachter sich zuvor komplexe kulturelle Entschlüsselungscodes aneignen müsse. Dieser habe daher die Möglichkeit, "kultiviert mitzudenken oder bloß archaisch zu träumen".
Berghaus befasst sich abschließend auch mit einem Problem, das auch in anderen Beiträgen behandelt wird und insofern eine Art Achse des Bandes bildet: Historienfilme 'funktionieren' ganz wesentlich durch Authentizität und demonstrativen Bezug auf 'Wirklichkeit'. Dabei wird aber nicht selten von detailkundigen Fachgelehrten verkannt, dass Wahrheitsgehalt im künstlerisch-narrativen Medium Film nicht in erster Linie durch historisch 'korrekte' Sachaussagen, Figurenensembles oder Ausstattungen hergestellt wird, sondern viel eher durch Stimmigkeit von Figuren und Erzählung; das ist der Grund, warum etwa der historisch hanebüchene "Gladiator" als Film glänzend funktioniert, der viel authentischere "Alexander" hingegen nicht. Das vorausgesetzt, stellt die systematische Inventarisierung von Legitimationsstrategien des Antikfilms (vielleicht sollte präziser von Authentifizierungsstrategien die Rede sein) aus der Feder des Herausgebers (67-85) eine überaus lohnende Lektüre dar.
Mit bekannten Filmen befassen sich die meisten der Fallstudien. [3] So arbeitet Ruth Lindner an Oliver Stones "Alexander" die gedankliche und visuelle 'Handschrift' heraus, welche alle Produkte dieses Autorenfilmers prägt, und bescheinigt ihnen eine vielschichtige, widerständige Semiotik (50-66).
Anja Wieber, die seit Jahren kontinuierlich über Antike im Film publiziert, liefert einen wie immer wohlinformierten Beitrag über Wolfgang Petersens "Troy" von 2004 mit Seitenblicken auf frühere Produktionen (137-162). Im Falle von Homer-Verfilmungen gewinnt die Formel 'Authentifizierung durch Historisierung' noch eine zusätzliche Dynamik, weil es sich um einen mythischen Stoff handelt und weil zugleich die von den Ausgrabungen und Thesen Manfred Korfmanns geprägte, ebenso erfolgreiche wie umstrittene Troia-Ausstellung mit dem Mittel der fiktionalen Visualisierung gearbeitet und so den Eindruck einer realen, machtvollen antiken Großsiedlung erweckt hatte. [4]
Ulrich Kittstein vergleicht Henryk Sienkiewicz' klassischen Historienroman "Quo vadis?" mit Mervyn LeRoys Verfilmung von 1951 (86-104) und unterstreicht dabei, dass beide trotz ihrer im Grunde einfachen Botschaften - römisch-katholisch im Roman, christlich-antitotalitär im Film - das Potenzial von Zwischenfiguren und -tönen zu nutzen verstanden; das Buch in der Gestalt des Petronius, der Film durch die grandiose Darstellung von Peter Ustinov, der das böse Kind Nero aus dem Hell-Dunkel-Schema des Kampfes zwischen den edlen, aber etwas langweiligen Christen und den machtbesessenen Römern heraushebt.
Die ästhetische Eigengesetzlichkeit des Films herauszuarbeiten relativiert zugleich das simple ideologiekritische Instrumentarium, das in der Regel nur bestätigt, was der Anwender schon vorher wusste. War es früher zunächst der 'pathologische' Antikommunismus, dann der männliche Chauvinismus, die es zu entlarven galt, ist nun westliche Selbstkritik am eigenen 'Orientalismus' en vogue. Und so weist Regina Heilmann (105-123) James Cameron, einem Egomaniac im ansonsten stromlinienförmigen amerikanischen Blockbuster-Kino, nach, wie er in dem Schwarzenegger-Actionvehikel "True Lies" in diffamierender Manier kollektive Obsessionen bedient, die sich angeblich aus einem alten jüdisch-christlichen Anti-Babylon-Furor und neuen Stereotypen vom fanatisierten Orientalen speisen. Der Aufsatz wirkt reichlich unausgewogen: Genaue Kenntnis altorientalischen Substrats in Gestalt der achämenidischen Flügelstiere paart sich mit rhapsodischer Ideologiekritik und einem Overkill an filmsemantischer Interpretationsvirtuosität.
Eher wie ein Fremdkörper wirkt der Bericht von Klaus Reichold und Thomas Endl über die Entstehungsbedingungen einer historischen Dokumentation für das Dritte Programm am Beispiel eines frühneuzeitlichen Kleinfürsten (25-49). Die brave Schilderung eignet sich aber gewiss für ein Praxisseminar in einem der neuen Berufsattrappenstudiengänge, genannt BA / MA: Ein erfolgreicher Stoff habe, so ist zu lernen, archetypischen Charakter und spreche bei den Zuschauern etwas an, was sie berühre; außerdem verbessern Kinder und Tiere die Quote (36-37).
Eine alphabetische Bibliografie der zitierten Quellen und Literatur beschließt die aus Kostengründen nur sporadisch illustrierte, dafür rasch publizierte Sammlung. Dagegen fehlen Filmografie und Register. Der anspruchslos aufgemachte, gleichwohl in Teilen durchaus lesenswerte Band wird gewiss nicht der letzte seiner Art bleiben.
Anmerkungen:
[1] Neben dem vorliegenden Band aus neuerer Zeit etwa: M.M. Winkler (Hg.): Classical Myth and Culture in the Cinema, Oxford u.a. 2001; U. Eigler (Hg.): Bewegte Antike. Antike Themen im modernen Film (= Drama; Beih. 17), Stuttgart / Weimar 2002; M. Korenjak / K. Töchterle (Hg.): Pontes II. Antike im Film, Innsbruck u.a. 2002; A. Boschi / A. Bozzato: I greci al cinema. Dal peplum 'd'autore' alla grafica computerizzata, Bologna 2005; M. Meier / S. Slanicka (Hg.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion - Dokumentation - Projektion, Köln u.a. (in Druckvorbereitung).
[2] Neben Marcus Junkelmann: Hollywoods Traum von Rom. 'Gladiator' und die Tradition des Monumentalfilms, Mainz 2004 (s. hierzu die Rezension, in: FAZ Nr. 97 vom 26.4.2004, 38 sowie die Rezension von Jan Timmer, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [10.09.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/09/5783.html) nennt die Bibliografie des vorliegenden Bandes aus neuerer Zeit: R. Heilmann: Paradigma Babylon. Rezeption und Visualisierung des Alten Orients im Spielfilm, Diss. Mainz 2005; D. Wenzel: Kleopatra im Film. Eine Königin Ägyptens als Sinnbild für orientalische Kultur (= Filmstudien; 33), Remscheid 2005; M. Lindner: Rom und seine Kaiser im Historienfilm, Diss. Mannheim 2006. - Als Nachschlagewerk unentbehrlich: G. A. Smith: Epic Films. Casts, Credits and Commentary on over 350 Historical Spectacle Movies, 2. Aufl., Jefferson / London 2004. Dagegen antiquiert und nicht wirklich auf neuen Stand gebracht: J. Solomon: The Ancient World in the Cinema, 2. Aufl., New Haven / London 2001. Einen Teilaspekt skizziert G. Nisbet: Ancient Greece in Film and Popular Culture, Bristol 2005.
[3] Eine Ausnahme bildet Diana Wenzel, die zahlreiche heute weitgehend vergessene Kleopatra-Filme untersucht, in denen die ägyptische Königin als femme fatale, als Fast-noch-Kind oder als komische Figur dargestellt wird (124-136). Der Beitrag dürfte eine Auskoppelung aus der oben in Anmerkung 2 genannten Monografie darstellen.
[4] Vgl. zuletzt Martin Zimmermann (Hg.): Der Traum von Troia. Geschichte und Mythos einer ewigen Stadt, München 2006, mit weiteren Hinweisen.
Uwe Walter