Ernst Badstübner / Gerhard Eimer / Matthias Müller (Hgg.): Licht und Farbe in der mittelalterlichen Backsteinarchitektur des südlichen Ostseeraums (= Studien zur Backsteinarchitektur; Bd. 7), Berlin: Lukas Verlag 2005, 544 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-936872-11-8, EUR 36,00
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Als die Fenster größer wurden, da nahm gleichzeitig die Dunkelheit der Farbverglasung proportional zu, bemerkte einmal Louis Grodecki über die Bauten des französischen Kronlandes im Zeitraum zwischen 1140 und 1240. [1] Die Vergrößerung der Fenster machte die Räume hier also nicht heller, sie ermöglichte allein eine größere Fülle farbigen Lichtes - wenn man Grodecki hierin folgen will. Denn der überkommene mittelalterliche Bestand ist mit gerade einmal 3 Prozent noch hoch angesetzt und vergleichbare Untersuchungen liegen für andere Regionen nicht vor. Auch die systematische Untersuchung mittelalterlicher Farbfassungen ist ein vergleichsweise junger Forschungszweig. Auf der 4. Internationale Fachtagung zum Backsteinbau in den Ostseeregionen (2002 in Stralsund) rückte Gerhard Eimer (Kopenhagen) beides ins Zentrum und gab der Tagung die beiden leitenden Fragen vor: 'Gab es in den Sakralräumen unseres Einzugsbereichs eine bewusste Lichtführung?' und 'War die Farbigkeit ein integrierender Bestandteil der Backsteinkunst?' (14)
Die Antworten auf die Frage der Lichtführung waren meist auf ein Gegenüber von Hell und Dunkel konzentriert: Kazimierz Pospieszny (Marienburg / Malbork) hob in seinem Beitrag über die Marienkirche der Marienburg hervor, dass dort der 'Lichteinfall der Verteidigungsfunktion übergeordnet' (46) worden sei und stellte einen 'im Übermaß mit Licht durchfluteten' Chor einem geradezu verdunkelten Westteil der Kirche als 'ritterliches Schiff' (47) gegenüber. Marek Ober (Stettin / Szczecin) beschrieb eine Kanalisierung des Lichts durch das große hohe Achsfenster im Chor der Mauritiuskirche in Pyritz nach einem Umbau: 'Der einst lichte Chor wurde nun indirekt beleuchtet [...]. Die [...] Ostfenster bilden nicht nur die einzige direkte Lichtquelle, sondern bewirken auch eine starke Betonung der Kirchenachse' (65). Christine Kratzke (Leipzig) bezog auch so genannte Hagioskope in die Betrachtung ein, also kleine Öffnungen in der Wand, die den Blick von außen in einen Chor gewähren. Im Zisterzienserkloster Bad Doberan habe eine solche Öffnung durch das einfallende Licht im Innern den Corpus-Christi-Altar aus der Zeit um 1320 'gleichsam hinterstrahlt' (77). Jaroslaw Jarzewicz (Posen / Poznan) konstatierte eine 'bewusste Inszenierung des Lichts als Element der künstlerischen Struktur' in den Chören von St. Jakob in Stettin (Farbtafel 6, nicht 5), St. Mauritius in Pyritz, St. Marien in Danzig und der Marienkirche in Stargard, zumeist bezogen auf die übergroßen Ostfenster. In St. Jakob in Stettin falle das Licht 'unmittelbar ein, man könnte sagen: fast wie von einem Scheinwerfer' (100). War dies intendiert? War es also auch eine 'bewusste Lichtführung', wie Gerhard Eimer es formuliert hatte? Jarzewicz bejaht dies, auch weil sich diese Inszenierung des Lichts wie später im Barock 'in Verbindung mit dem Altar und dem großen Aufblühen der Verehrung der Hl. Eucharistie' (106) vollzieht.
Auf die Farbigkeit lenkte dann Ernst Badstübner (Berlin) am Beispiel der märkischen Backsteinarchitektur den Blick und stellt bei St. Marien in Bernau die unterschiedlichen Farbfassungen einzelner Raumteile im Mittelalter, die Umgestaltung im 16. Jahrhundert mit ihrer Einheitsfassung gegenüber, mit der auch 'das mittelalterliche Verständnis von der Farbigkeit eines Sakralbaues' geendet habe. 'Wie in der ganzen Architektur- und Kunstgeschichte tritt an seine Stelle ein anderes diesseitsorientiertes Bewusstsein von der Materialität, das die Neuzeit bestimmen wird' (195). Ein weites Feld. Ob denn die mittelalterliche Wandmalerei die Aufgabe habe, die nackte Wand zu verkleiden, wie die Tapete in einem modernen Wohnhaus, fragte Hans-Joachim Kunst (Marburg), und er sieht gerade darin ihre Bestimmung. Sie soll dem Kirchenraum ein 'Aussehen der Veränderung, der Illusion, der Bebilderung (biblia pauperum) geben oder erhalten' (203), das könne auch durch vorgetäuschte Materialien wie etwa Textilien oder Marmorinkrustationen geschehen, wie an der Marktkirche in Hannover, der Kirche in Barnsdorf oder der Marienkirche in Lübeck. Neben das 'aufgemalte' Material treten intendierte Farbkombinationen über das Material selbst, wie es Jens Christian Holst (Hoisdorf bei Lübeck) ausführlich darlegte. Hier und in weiteren Beiträgen zeigte sich die oben angeführte 'Farbigkeit als integrierender Bestandteil der Backsteinarchitektur', was aber auch niemanden wirklich überrascht haben dürfte. Diente die Eingangsfrage Gerhard Eimers doch primär, einer Fülle von zum Teil doch recht heterogenen Tagungsbeiträgen eine thematische Klammer zu geben. Aus diesem Grund findet man weitere Beiträge mit anderer Schwerpunktsetzung unter der Überschriften 'Bildhaftigkeit im Kirchenbau' (408 ff.) und 'Neue Leitbilder' (480 ff.).
Gegenstand war auch die Metaphysik: Martin Büchsel (Frankfurt a. M.) dekonstruierte gleich mit dem ersten Aufsatz dieses Bandes ein weiteres Mal ein überaus populäres Denkmodell zur Geburt der Gotik, für das Erwin Panofsky 1946 durch die Verknüpfung der Jantzenschen Diaphanie mit der Lichtmetaphysik des Dionysius-Areopagita die Grundlage schuf. Und Gerhard Eimer schließt den Band mit einem längeren 'Ausblick' auf die Beginenmystik der Mechthild von Magdeburg und den 'Lichtquellen in den Sakralräumen des Ostens' (500), in dem er im Vorübergehen Willibald Sauerländer 'kunsthistorischen Darwinismus' (543) vorhält.
Das Thema Licht und Farbe in der mittelalterlichen Architektur rückt mit der zunehmenden Zahl bauarchäologischer und restauratorischer Untersuchungen mittelalterlicher Bauten immer stärker in den Blick der Forschung. Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, die oftmals an entlegenen Orten publizierten Untersuchungsergebnisse und Forschungsansätze zu diesem Thema für das Gebiet des südlichen Ostseeraumes hier mit einer opulenten Bildausstattung vereint zu finden.
Anmerkung:
[1] Siehe dazu Louis Grodecki: Le vitrail et l'architecture au XIIe et XIIIe siècles, - in: Gazette des Beaux-Arts, 36 (1949), 4-24.
Leonhard Helten