Pierre Béhar / Herbert Schneider (Hgg.): Der Fürst und sein Volk. Herrscherlob und Herrscherkritik in den habsburgischen Ländern der frühen Neuzeit (= Annales Universitatis Saraviensis; Bd. 23), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2004, 494 S., 47 Abb., ISBN 978-3-86110-356-1, EUR 38,00
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Der von Pierre Béhar und Herbert Schneider herausgegebene Band ist aus einem im Juni 2002 von der Arbeitsstelle für österreichische Literatur und Kultur und dem Institut für Musikwissenschaft der Universität des Saarlandes veranstalteten Kolloquium hervorgegangen. Er versammelt 17 Beiträge, die sich mit Herrscherlob und Herrscherkritik in den von Habsburgerinnen und Habsburgern regierten europäischen Ländern der frühen Neuzeit befassen. Dabei ist es den Herausgebern gelungen, mit acht Beiträgen zu den österreichischen Erblanden, drei zu einem Land der böhmischen Krone (Schlesien), einem zu Ungarn, zwei zum "Königreich Spanien" und zwei zum Königreich Neapel die Diversität der von der Dynastie der Habsburger beherrschten Territorien in nicht häufig zu findender Weise abzubilden; auch beeindruckt das breite, von der Musik- und Literaturwissenschaft dominierte Spektrum der vertretenen Disziplinen.
Das mit vier Seiten sehr knappe und auf Literaturhinweise verzichtende konzeptionelle Vorwort ruft die Gefährdung der europäischen Monarchien des 17. Jahrhunderts in Erinnerung und begründet mit dem Hinweis auf das Verbot "explizite[r] Manifestationen gegen die Obrigkeit" (19) die Bedeutung derjenigen Anlässe, bei welchen im Rahmen von Feier und Lob des Herrschers zugleich Kritik geäußert werden konnte. Die aufgeworfene Frage nach Formen und Situationen der in der Regel (halb-)öffentlichen Kritik und ihrer Verarbeitung hat eine Parallele in der breiten neueren historischen und kunsthistorischen Forschung zur Kommunikation zwischen Herrscher und Untertanen, wie sie etwa im Bereich der Introitus-Forschung (Gerd Althoff, Joachim Lehnen) und in zahlreichen Arbeiten zur fürstlichen und habsburgischen Repräsentation betrieben wird, so etwa in den Arbeiten von Maria Goloubeva, Friedrich Polleroß oder Rouven Pons. Ein expliziter Bezug auf die Arbeiten zum Verhältnis von Monarchie / Absolutismus und Öffentlichkeit (vgl. etwa Andreas Gestrich) hätte der engeren Verklammerung der einzelnen Beiträge sicher genützt. Die Einheit des Bandes wird ungeachtet dieser Parallele aber weniger durch die Entfaltung einer Theorie der Kommunikation hergestellt als durch die Sichtung der verschiedenen literarischen bzw. musikalischen Gattungen: Die aus den Beiträgen abgeleiteten "erste[n] Grundzüge einer Typologie des Herrscherlobs und der Herrscherkritik" (20) ergänzen diese von der Gattung abgeleitete Systematisierung durch eine Analyse der (Macht-)Positionen von Auftraggeber, Adressat, Autor und Publikum. Das Ergebnis ist dann, dass die Gattungen - je nach den Umständen - fast alles zulassen: Lob, Tadel, Warnung.
Viele Einzelbeiträge können am konkreten Material subtiler als die Einleitung argumentieren und arbeiten die Mehrdeutigkeiten des Dargebotenen heraus: Anspielungen, verschiedene Sinnschichten. Sie zeigen, dass die Mitteilung von Kritik in der face-to-face-Situation des Theaters oder der Oper in Anwesenheit des Herrschers möglich war, weil Kritik nur ausnahmsweise eindeutig war. Die meist rigide Rahmung und Ritualisierung der Interaktionssituation Aufführung (Manfred Tietz) stellte sicher, dass auf nicht allzu aufdringliche kritische Töne in der Situation nicht reagiert werden musste bzw. nicht reagiert werden konnte und dass so Ablauf und Wohlgefallen - oder etwas, das danach aussah - gesichert war. Empirisch ist so vielerorts ausgearbeitet, dass die Form der Kritik wesentlich von Kommunikationssituation und Kommunikationsmedien abhängig ist.
Das im Titel angesprochene Volk taucht in den besprochenen Aufführungssituationen - und damit in den meisten Beiträgen des Bandes - eher am Rande auf. Dies liegt nicht zuletzt an der Konzentration auf überwiegend hochkarätige Autoren, Künstler und Kunstwerke, die in der Regel für einen Hof arbeiteten. Selbst der Beitrag zur ungarischen Pasquillenliteratur bezieht sich vornehmlich auf einen aristokratischen Autor (Gábor Kerekes). Norbert Dubowy weist in seinem sehr überzeugenden Beitrag darauf hin, dass die Prologe der in Neapel für die Könige (auch die Königinmutter Maria Anna) bzw. Vizekönige (und die Vizekönigin) ausgerichteten Opern bei Aufführungen, die nicht exklusiv für den Hof gegeben wurden, wahrscheinlich wegfielen; soweit die Oper Neapels auch öffentliche Oper war, war sie dem Geschmack des zahlenden Publikums unterworfen, weshalb ohnehin vorrangig venezianische Opern gespielt wurden. Kaiser Leopold I. wiederum ließ im Libretto in den an seinem Hof gegebenen Opern gerne seine im Publikum sitzenden Höflinge kritisieren (Herbert Seifert), und auch die fiestas mitológicas von Calderón de la Barca hatten weniger das Volk als Zielgruppe im Blick als vielmehr den König selbst, den Hof und die Gesandten, wenngleich zahlendes Publikum mitunter zugelassen wurde; die Bevölkerung aber nahm Anstoß an den Unsummen, die diese Spektakel, welche die Panegyrik auf die Spitze trieben, kosteten (Manfred Tietz). Wo explizit nach dem "Volk" gefragt wird, erweist sich, dass zur Trennung zwischen höfischem und bürgerlich-bäuerlichem Musikleben eine erhebliche Differenz zwischen Zentrum und Peripherie kam (Thomas Hochradner).
Die meisten Beiträge haben ihre besonderen Stärken dort, wo sie den Mehrdeutigkeiten der Werke nachgehen. So analysiert Pierre Béhar die Entwicklung des Werks von Daniel Casper von Lohenstein, Syndicus der Stadt Breslau und heftiger Kritiker der habsburgischen Gegenreformation in Schlesien. Lohenstein stellte in seiner "Epicharis" (um 1657) (vordergründig antike) römische Kaiser in düstersten Farben dar und rechtfertigte den Tyrannenmord. Der Breslauer Rat erlaubte die Veröffentlichung aber nicht, sondern verlangte nach der Wahl Kaiser Leopolds I. ein Huldigungsstück, was Lohenstein prompt lieferte ("Cleopatra"). Hierin konnte er dem charakterlich negativ gezeichneten Kaiser "Augustus" vor der Folie der neuerlichen Bedrohung durch den Türkenkrieg doch noch etwas abgewinnen. Nach dem Erfolg dieses Werkes konnte Lohenstein gar jene "Epicharis" veröffentlichen, deren Widmung nun als "ein Meisterwerk an Zweideutigkeit" (285) gestaltet war und damit den auch auf der Bühne üblichen Kritikmodus verwendete. Andere Beiträge erläutern esoterisch anmutende Symbolsprachen und beziehen diese überzeugend auf konkrete Situationen im Entstehungsumfeld; sie zeigen dabei den außerordentlichen Reichtum der Formen und die mehr oder minder flexible Anpassung von Autoren an wechselnde Anforderungen (Ruprecht Wimmer, Josef-Horst Lederer). Viele Beiträge gewinnen durch eine klare Analyse komplexer Verschränkungen u. a. alchimistischer und astrologischer Systeme mit Herrscherdevisen und dynastisch-politischen Großereignissen sowie besonders dadurch, dass sie offen die Frage nach der nicht stets gesicherten tatsächlichen Aufführung bzw. Leserschaft und nach dem Grad des Aufschlüsselungsvermögens der Zuschauer bzw. Leser aufwerfen (insbesondere: Rosmarie Zeller). Herbert Schneider weist zudem darauf hin, dass Pierre de Villiers 1695 eine positive Theorie der Herrscherkritik formulierte, eine Position, die hinsichtlich ihrer Folgen für den Modus von Kritik in der weiteren Forschung noch weiter ausgeleuchtet werden könnte.
Eine etwas rigidere Redaktion hätte verhindern können, dass das Lesevergnügen nicht ganz ungetrübt bleibt. Gewünscht hätte man sich knappe Informationen zu den Autorinnen und Autoren und ihrer nicht immer eindeutigen disziplinären Verortung. Mitunter wird an Belegen so sehr gespart, dass kleinere Ungenauigkeiten stören wie etwa die Behauptung, zwischen 1452 und 1806 seien "nur noch Habsburger auf den Kaiserthron" (27) gelangt (vgl. aber Karl VII.). Für Ferdinand III. werden in dem Band in verschiedenen Beiträgen verschiedene Todestage, für Leopold I. verschiedene Daten der Kaiserkrönung angegeben (53, 278), ein verstorbener Bischof war nicht Franz Karl, sondern Carl Joseph (59). Die Darstellung des spanischen Niedergangs im 17. Jahrhundert beruht in einem sonst überzeugenden Beitrag auf einem an starken Voreingenommenheiten nicht armen Werk von 1940, ohne dass die durchaus formulierte Kritik zu deutlich mehr Ausgewogenheit geführt hätte (373 f.); mehr Ausgewogenheit hätte auch der Darstellung der konfessionellen und politischen Konflikte in Schlesien gut getan. Nicht ohne weiteres will der Zusammenhang zwischen Herrscherkritik in der Monarchie und der Genese von Demokratie einleuchten (19). Bei einigen Bildunterschriften scheint mir die Zuordnung der Herstellungstechnik nicht ganz sicher - z. B. 362, Abb. 12 ("Radierung"), vgl. dazu Ausstellungskatalog Karl V., Wien 1958, 61 f. (Holzschnitt). Dazu ist allerdings zu bemerken, dass der mehrjährige Umbau der Albertina / Wien auch den Autoren eine genaue Überprüfung am Original wohl unmöglich gemacht haben dürfte). Diese Anmerkungen verweisen aber letztlich auf eine grundsätzliche Schwierigkeit interdisziplinärer Anstrengungen: Was verschiedene Fächer voneinander wahrnehmen - welches und wer wollte sich hier ausnehmen -, ist nicht stets der neueste oder neuere Forschungsstand. Daraus mehr abzuleiten als ein weiteres Werben für die Intensivierung des Austauschs bei der disziplinären Zusammensetzung von Kolloquien und gegebenenfalls auch der Redaktionskräfte würde das, was dieser Band dessen ungeachtet leistet, unbillig schmälern.
Mark Hengerer