Claude Mossé: Alexander der Große. Leben und Legende. Aus dem Französischen von Jochen Grube, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2004, 269 S., 15 Abb., ISBN 978-3-7608-2305-8, EUR 28,00
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Christine Hecht: Zwischen Athen und Alexandria. Dichter und Künstler beim makedonischen König Archelaos, Wiesbaden: Harrassowitz 2017
Claude Mossé, emeritierte Professorin für Alte Geschichte an der Universität Paris, ist ausgewiesene Expertin für griechische Geschichte des 4. Jahrhunderts v. Chr. Die französische Originalausgabe ihrer Alexanderbiografie erschien 2001. Beabsichtigt ist die "Entzifferung [...] des Mythos Alexander" (11) mittels der Betrachtung seiner Selbstdarstellung und Porträtierung in den Quellen zu Lebzeiten und im Nachleben unter der Prämisse, dass politische Zwänge Alexander veranlassten, "nacheinander oder gleichzeitig unterschiedliche Rollen zu spielen" (11).
Eingebettet in die Vorgeschichte des makedonischen Aufstiegs zur Macht, bei der Mossés breite Kenntnisse der Geschichte Griechenlands jener Epoche zum Tragen kommen, steht die öffentliche persona Alexanders im Zentrum der Analyse. Mossé differenziert dabei zwischen Alexander als König der Makedonen, Hegemon des Korinthischen Bundes, Nachfolger der Achaimeniden und Sohn des Zeus. Es folgt ein ausführlicher Ausblick auf Alexanders Erbe von den Diadochenkriegen über den mittelalterlichen Alexanderroman bis zur Alexanderrezeption in der Moderne.
Der Rollenbetrachtung Alexanders ist ein historischer Abriss seiner Laufbahn vorangestellt, der die kontextuelle Einordnung der verschiedenen Repräsentationsformen erleichtern soll. Die Kürze dieser Skizzierung führt indes zu Simplifizierungen, die der komplexen Problematik nicht gerecht werden und kontrovers diskutierte Brüche in der Überlieferung glätten. Als Beispiel sei die Schilderung der Schlüsselereignisse 337/336 v. Chr. genannt. Die Heirat des polygamen Philipp II. mit der Makedonin Kleopatra 337 v. Chr. implizierte nicht per se, dass Olympias vom Hof verstoßen wurde, wie Mossé schreibt (23), bedeutete doch die Hochzeit ihrer gemeinsamen Tochter Kleopatra mit Olympias' Bruder Alexander von Epeiros im Jahr darauf eine ostentative Geste der Annäherung. [1]
Die von Mossé als Fakt dargestellte Chronologie des Herrschaftsantritts Alexanders stellt angesichts der mangelnden Quellenaussagen eine diskussionswürdige Rekonstruktion dar (24). Die unkritische Behandlung der in der Forschung unterschiedlich diskutierten Ambitionen der möglichen Thronprätendenten verdient indes eine Revision: So sprach sich etwa Prandi gegen eine Revolte des Amyntas aus, der in der Zeitspanne nach Philipps Tod seine passive Existenz als Schattenfigur zu bewahren schien. [2]
Trotz der in der Einleitung zu Grunde gelegten Prämisse, Alexander im Kontext seiner politischen Verpflichtungen und Zwänge zu schildern, erscheint er im Folgenden als treibende Kraft, der in einem Siegeszug das Perserreich eroberte und das indische "Abenteuer" antrat. Die zahlreichen Krisensituationen seiner Laufbahn, der obskure lange Aufenthalt in Kilikien, die Auflösung der Flotte, die massive Bedrohung durch die baktrisch-sogdianische Revolte und seine wankende Autorität angesichts der Weigerungshaltung seiner Soldaten und Offiziere am Hyphasis werden ausgeblendet: "Der König konnte sich nun wieder seinem ursprünglichen Plan widmen, den Hydaspes und den Indus hinab bis zum Indischen Ozean zu kommen" (45). Alexanders mühsam errungener Sieg gegen Poros, bei dem das Fehlen der bewährten Generäle Parmenion, Philotas und Kleitos deutlich zu Tage trat, erscheint ebenso herabgespielt wie das Debakel in der Mallerstadt als Symptom der Demotivierung der makedonischen Truppen.
Der Verzicht auf Forschungsdiskussionen zu problematischen Punkten in Alexanders Laufbahn setzt sich bei der Detailuntersuchung der "Rollen Alexanders" fort. Paradigmatisch zeigt sich die Problematik am Beispiel der Beseitigung von Philotas und Parmenion (58-59). Die Verurteilung des alten Generals durch die Heeresversammlung im Zuge der Verhandlung gegen seinen Sohn ist in der Forschung ebenso angezweifelt worden wie die Historizität der Folterung des Philotas. [3] Die zuvor schon vor allem von Robinson vertretene These, Parmenion sei aufgrund des makedonischen Gesetzes der Sippenhaft für die Verwandten verurteilter Hochverräter getötet worden, die Mossé aufgreift, findet keine Bestätigung in den Quellen. [4] Gerade der von Mossé zitierte Curtius, der den Inhalt dieser Rechtsnorm überliefert, führt Parmenions Untergang an keiner Stelle auf eine Sippenhaft zurück, sondern betont im Gegenteil die unrechtmäßige Art seines Todes. [5]
Das Oberkapitel "Der Mensch Alexander", das der Besprechung der Rollen folgt, wirkt angesichts der aus den vorangegangenen Kapiteln gewonnenen Erkenntnis, dass für den Historiker primär die unterschiedlichen Repräsentationen des Königs greifbar sind, etwas paradox. Auch ist ausgesprochen problematisch, dass die Spurensuche nach dem "Menschen Alexander" auf Plutarch basiert (99-100). Entsprechend seiner Vorgabe, literarische Charakterbilder als Exempla für die Nachwelt zu schaffen (Plut. Alex. 1), sagt seine Biografie weniger über den historischen Alexander als über die moralphilosophische Stilisierung des Königs im Sinne einer Wandlung zum Tyrannen aus. Bezüglich der Analyse der bildlichen Darstellung Alexanders, wie Plutarch sie beschreibt (101-102), wäre die Berücksichtigung der aristotelischen Physiognomie als ideologische Grundlage wünschenswert gewesen.
Ein Manko stellt zudem die an manchen Stellen holprig erscheinende deutsche Übersetzung dar, die mit Bezeichnungen wie "Makedonier" statt "Makedonen" irritierend wirkt (26). Der Verzicht auf Fußnoten und kritische Anmerkungen ist ebenfalls bedauerlich.
In summa vertritt Mossé einen Forschungsansatz, der in der aktuellen Diskussion verstärkt zum Tragen kommt und wichtige neue Wege aufzeigt, die in Zukunft zu verfolgen sind. Die Überwindung des alten Konzepts, das auf ein de facto nicht fassbares Persönlichkeitsbild Alexanders hinausläuft, zu Gunsten der Beschäftigung mit Alexanders Repräsentation in ihrem Wandel und ihren politischen Implikationen zeichnete sich seit Längerem in der Forschung ab und stellt eine notwendige, viel versprechende Alternative dar.
Im gleichen Maß erscheint die Darstellungsform der Biografie, wie sie von Mossé für den größeren Teil des Buches gewählt wird, als problematisch und im Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen, die sie mit dem Konzept einer Rollenanalyse formuliert und teilweise auch sehr ansprechend realisiert. Der Zuschnitt des Buches auf ein breiteres Publikum bedingt dann jedoch die dem entgegenstehende, konventionell biografische Form.
Anmerkungen:
[1] Vgl. G. Wirth: Philipp II. Geschichte Makedoniens 1, Stuttgart u.a. 1985, 165; E. D. Carney: Women and monarchy in Macedon, Norman 2000, 75.
[2] Vgl. L. Prandi: A few remarks on the Amyntas "conspiracy", in: W. Will (Hg.): Alexander der Große. Eine Welteroberung und ihr Hintergrund, Bonn 1998, 91-101.
[3] Vgl. S. Müller: Maßnahmen der Herrschaftssicherung gegenüber der makedonischen Opposition bei Alexander dem Großen, Frankfurt am Main 2003, 97-99. Noch immer grundlegend zu Parmenions Tod: E. Badian: The death of Parmenio, in: Transactions of the American Philological Association 91 (1960), 324-338.
[4] Vgl. C. A. Robinson Jr.: Alexander the Great and Parmenio, in: American Journal of Archaeology 49 (1945), 422-424.
[5] Curt. 3,12,19; 6,11,20; 8,7,5-6.
Sabine Müller