Andrea Strübind: Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin: Duncker & Humblot 2003, 617 S., ISBN 978-3-428-10653-0, EUR 63,80
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Das Interesse am frühen Schweizer Täufertum hat eine lange Tradition. In Auseinandersetzung mit den Ereignissen in Zürich nahmen Kontroversen der internationalen Täuferforschung ihren Anfang, stellte sich doch hier die Frage nach Ursprung und Charakter des Täufertums. Dabei hat die Täuferforschung im weiteren Diskussionsverlauf viele Impulse erfahren: Normativ orientierte Auffassungen gingen von einer freikirchlichen Ekklesiologie und einer gewaltfreien Grundeinstellung der Täufer aus. Gegenwärtige Forschungen bündeln sich allerdings im "revisionistischen Ansatz". Dieser bezeichnet zum einen den Wandel von der Monogenese zur Polygenese des Täufertums. Zum anderen versteht er das frühe Täufertum eben nicht mehr als allein pazifistische Reformbewegung, sondern entdeckt dort auch sozialrevolutionäre Tendenzen (28).
Andrea Strübind will sich mit ihrer Habilitationsschrift zum frühen Täufertum in der Schweiz von diesem Zugriff der revisionistischen Täuferforschung abgrenzen, sie plädiert explizit für eine "kritische Revision dieses revisionistischen Täuferbildes der neueren Forschung" (14). Das bedeutet jedoch nicht die Rückkehr zu einem traditionell-normativen Verständnis des frühen Täufertums. Vielmehr geht es ihr darum, die religiöse Deutung des Täufertums zu betonen, welche gegenwärtig hinter der Vorstellung vom Täufertum als sozialrevolutionärer Massenbewegung zurückstehe.
Methodisch richtet sie sich gegen die Verbindung von Kombination und Mutmaßung, welche in der gegenwärtigen Täuferforschung zu beobachten sei. Diese ergebe sich, so Strübind, nicht zuletzt daraus, dass die revisionistische Forschung trotz ihres Postulats nach sozialgeschichtlich konzipierten Untersuchungen auf die Methodik der Sozialwissenschaften verzichte (15 f.). Dem setzt sie nicht-intentionale Quellen wie Verhörprotokolle der Täufer entgegen, die bereits ediert vorliegen. Hinzu treten die Hauptschriften der Schweizer Täufer. Diese Auswahl erlaubt neben dem Blick auf Zürich und seine Umgebung auch eine Perspektive auf St. Gallen und Appenzell.
Mit einem solchen Ansatz verpflichtet sich Strübind zu einer umfassenden Analyse der historiografischen Diskurse zum Täufertum. Dabei hinterfragt sie sowohl die Positionen der älteren sowie der revisionistischen Täuferforschung, bevor sie Ansätze der Sozial- und Kirchengeschichtsschreibung und der Religionssoziologie bewertet. Zu der Frage, wie Kirchengeschichtsschreibung als historische Theologie verstanden werden kann, bezieht Strübind als baptistische Theologin klar Stellung: Die theologische Dimension sei nie zu marginalisieren, Geschichte an sich sei niemals "profan und gottlos" (75). Intensiv setzt sie sich daher auch mit dem Konzept der Gemeindereformation auseinander, verweist dieses doch explizit auf den sozialen Charakter der täuferischen Bewegung und steht damit Strübinds allein theologisch orientiertem Zugriff entgegen.
In den folgenden Kapiteln untersucht Strübind die Hauptschriften von "Prototäufern" und "Radikalen". Mit diesen Benennungen verweist sie weniger auf den revolutionären Charakter der Bewegung, sondern betont das "energische Drängen auf eine konkrete Kirchen- und Sakramentsreform im Sinne des reformations-theologischen Programms" (17). Nachdem sie die Vorgeschichte des Schweizer Täufertums charakterisiert hat, untersucht sie den Kontakt der Prototäufer zu anderen radikalen Reformatoren. Diese sorgten für die Schärfung des theologischen Profils der Täufer. Andreas Bodenstein von Karlstadt wurde hier zur prägenden Figur: Sein Abendmahls- und Schriftverständnis sowie seine Betonung des Laienelements hatten einen nachhaltigen Einfluss auf die Täufer. Auch bei der Frage nach der Kindertaufe erkennt Strübind einen "nicht unerheblich[en]" Einfluss Karlstadts (267). Die täuferische Theologie, welche gleichwohl auch enge Bezüge zu den Positionen Zwinglis aufweise, führte - so Strübind - direkt zur Separation. Dabei sei es nicht das Ziel gewesen, eine Minderheitenkirche zu gründen. Vielmehr sei es darum gegangen, die vollständige Autonomie für die Gläubigen zu erlangen.
Chronologisch voranschreitend, widmet sich Strübind im folgenden Kapitel der Auseinandersetzung um die Tauffrage im Herbst und Winter 1524. Wesentlich sei hier die Protestation von Felix Mantz, welche die Entfremdung zwischen Zwingli und seinen vormaligen Anhängern verdeutliche. Strübind kommt also zu dem Schluss, dass bereits vor der ersten Glaubenstaufe das "Lager der Reformkräfte" (333) gespalten gewesen sei. Die ausführliche Analyse der Disputation vom Januar 1525 bestätigt dieses Bild: Die Obrigkeit verfügte in Übereinstimmung mit Zwingli, dass es zu keiner weiteren Disputation kommen und Grebel sowie Mantz Redeverbot erhalten sollten (349). Erst hieran schloss sich die erste Glaubenstaufe an, welche Strübind jedoch nicht als Ausdruck antiklerikalen Protestes deutet. Sie betont demgegenüber die "durch göttliche Offenbarung sanktionierte Begründung" der Taufe, verweist also erneut auf die religiöse Dimension des Geschehens (360 f.). Auch in der nachfolgenden Untersuchung der Ereignisse in Zollikon, St. Gallen und Appenzell spielt die "emotionale Betroffenheit" (366) als Begründung des Taufaktes ebenfalls eine wesentliche Rolle. Als Beleg zieht Strübind Taufberichte heran, in denen die Täuflinge weinend und Sünden bekennend die Taufe erbaten (369).
Indem Strübind insgesamt die religiöse Dimension in der Genese des Schweizer Täufertums explizit betont, kommt sie nach Analyse der Entwicklung im Zürcher Herrschaftsgebiet und nach dem Blick auf die Schleitheimer Artikel zu Ergebnissen, welche die gegenwärtige Forschung herausfordern: Das Hauptaugenmerk gilt dabei dem Antiklerikalismus, den sie entsprechend ihres Ansatzes als Deutungskategorie ablehnt (582-585). Er verkörpere die "hyperbolische Aufblähung eines Oberbegriffs" (585), dessen Sinnhaftigkeit angesichts des Täufertums als "genuin religiöse Bewegung" (585) nicht zu erkennen sei. Eine solche Sichtweise fordert die revisionistische Täuferforschung sicherlich heraus, verneint sie doch alle sozialen Aspekte der täuferischen Bewegung in der Schweiz. Anzumerken ist, dass die alleinige Konzentration auf die religiöse Dimension reformatorischer Bewegungen nur dann hilfreich ist, wenn dadurch die Argumente der verschiedenen Positionen geschärft und Quellen neu gelesen werden. Schließlich haben zahlreiche Studien bereits auf die Vermischung religiöser und sozialer Aspekte im frühen 16. Jahrhundert hingewiesen. Verhörprotokolle als Korrektiv dieser Einschätzung heranzuziehen, bietet sicher die Chance zu einer neuen Perspektivierung. Gleichwohl muss mit diesen Quellen wegen ihres Gehalts an Selbststilisierung oder der nachträglichen Verschriftlichung von Ereignissen und Einschätzungen sehr kritisch umgegangen werden, wie Forschungen zu Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten in den letzten Jahren gezeigt haben. Ihre Rezeption wäre auch für die Studie von Strübind vorteilhaft gewesen, bilden diese Quellen doch die Basis ihrer Ausführungen. An der Frage, ob und wieweit in diesen Quellen täuferische Historiografie oder gar Hagiografie aus einer ex-post-Perspektive betrieben wird, entscheidet sich schließlich auch die Tragfähigkeit der These von der allein religiösen Dimension der täuferischen Bewegung.
Nicole Grochowina