Mary Harlow / Laurence Ray: Growing up and growing old in ancient Rome. A life course approach, London / New York: Routledge 2002, VIII + 184 S., 25 s/w-Abb., 12 Tabellen, ISBN 978-0-415-20201-5, GBP 16,99
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Die althistorische Forschung hat sich in den vergangenen 25 Jahren intensiv familienhistorischen Themen gewidmet. Die Zahl der Beiträge zu Haus und Familie, Kindheit und Erziehung, Aduleszenz und Heirat, zu Vätern, Müttern sowie den Alten ist kaum noch überschaubar. So ist es zu begrüßen, wenn die Autoren eine Synthese vorlegen, die die Forschung auf aktuellem Stand zusammenfasst. Gegliedert ist das Buch nach einzelnen Lebensalterstufen. Harlow und Laurence verbinden so einen familienhistorischen mit einem demografischen Ansatz. Seine Entstehung verdankt das Buch 'undergraduate courses' an der University of Reading. Das Buch hat daher einführenden Charakter und soll Studierenden und anderen Wissenschaftsdisziplinen einen Überblick über den Forschungsstand, die Quellen und die methodischen Ansätze vermitteln.
Das Buch ist in elf Kapitel eingeteilt, in denen Schritt für Schritt die Lebensalterstufen behandelt werden. Vorangestellt ist ein Kapitel, in dem der methodische Ansatz und die quellenmäßig bedingte Fokussierung auf die späte römische Republik und die frühe Kaiserzeit sowie auf die stadtrömischen Eliten dargelegt sind (1-19). Nach Ansicht der Autoren sei es methodisch gerechtfertigt, aufgrund der Ähnlichkeit individueller Lebensläufe ('life courses') einen kulturell geprägten Lebenszyklus ('life cycle') zu rekonstruieren, der gesellschaftlich normiert war. Entscheidend für die kulturelle Prägung waren demografische Bedingungen, die sich stark von denen moderner Gesellschaften unterschieden. Mithilfe computergenerierter Daten lässt sich die Lebenserwartung in modellhaften Sterbetafeln annähernd erfassen. Sie erlauben es, eine genauere Vorstellung von der Größe der Familie, der Vielgliedrigkeit des verwandtschaftlichen Netzes, von der Häufigkeit der Wiederverheiratungen und der Witwenschaft zu gewinnen. Dazu sind im Appendix (151-164) die Tabellen aus R. Saller, Patriarchy, Property and Death in the Roman Family, Cambridge 1994, erneut abgedruckt. Im Zusammenhang mit den demografischen Bedingungen gehen Harlow and Laurence auch auf Heiratsalter, Menarchealter und Sterberisiko bei Schwangerschaft und Geburt ein.
Im folgenden Kapitel (20-33) beschreiben die Autoren die Bedeutung des Hauses als soziale Grundeinheit der Gesellschaft, seine personale Zusammensetzung und materielle Grundlage sowie die bauliche Ausgestaltung der Häuser, deren Binnenstruktur eine funktionale und soziale Differenzierung erkennen lässt. Eine Privatheit ließen diese Häuser nur begrenzt zu. Die zunehmend luxuriöse Ausgestaltung der Häuser diente der Selbstdarstellung von sozialer Position und Reichtum.
Die weiteren Kapitel haben überwiegend beschreibenden Charakter. Bei der Kindheit (34-53) werden die Praxis des Stillens und Wickelns, die Ernährung, die rechtliche Unterordnung unter die patria potestas, die Sozialisation durch Religion und Schule, durch Ammen und Pädagogen thematisiert, wobei auch auf antikes medizinisches und pädagogisches Schrifttum verwiesen wird. Aufgrund des niedrigen Heiratsalters hatten Mädchen keine eigentliche Jugendphase (54-64), sodass erster Geschlechtsverkehr, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft rasch folgten. Als entscheidender Wendepunkt ist die Hochzeit rituell markiert, deren Ablauf Harlow und Laurence im Einzelnen beschreiben. Grabinschriften geben Aufschluss über die an die Frau herangetragenen Erwartungen. Die jungen Männer durchliefen demgegenüber eine längere Jugendphase (65-78), die als Zeit des Übergangs, starker Emotionalität und Gefährdung wahrgenommen wurde und daher einer schützenden Hand bedurfte. Markiert ist diese Lebensphase durch das Ablegen der toga praetexta und der bulla, die Einweisung in die römische Tradition und durch erste Erfahrungen, auf dem Schlachtfeld zu kämpfen und zu töten. Ehen (79-103), die in der Oberschicht auf politische Bündnisse und soziale Homogamie ausgerichtet waren, wurden beim Wechsel politischer Allianzen gelöst, neue eingegangen. Aufgrund des unterschiedlichen Heiratsalters der Geschlechter unterschieden sich die verwandtschaftlichen Netzwerke in ihrer Struktur deutlich von denen in modernen Gesellschaften.
Die lex Villia annalis und spätere Bestimmungen regelten den Eintritt in politische Ämter nach dem Alter (104-116), um eine ideelle Gleichheit zu wahren und eine zu starke Konkurrenz zu steuern. Dieser Prozess wird vom 2. Jahrhundert vor Christus bis in das 1. Jahrhundert nach Christus verfolgt. Die Lebensphase des hohen Alters (117-131) erscheint in den Quellen ambivalent. Auf der einen Seite wurde ein Nachlassen der körperlichen und mentalen Kraft konstatiert, der Rückzug aus den politischen Ämtern und aus dem aktiven militärischen Dienst, auf der anderen Seite wurde die Zuwendung zu Schriftstellerei und Philosophie, die ein größeres otium gewährten, als Trost empfunden. Zudem blieb die Stellung als pater familias gewahrt. Auch bei der Frau ist eine Ambivalenz festzustellen. Sie konnte im Alter rechtlich, wirtschaftlich und sozial unabhängiger agieren, wurde aber in Komödien, Satiren und Epigrammen wegen des Verlusts körperlicher Schönheit und wegen sexueller Lust verspottet.
Im Gegensatz zu modernen Gesellschaften war in der Antike der Tod in allen Lebensalterstufen gegenwärtig (132-143). Bestattungszeremoniell und Totengedenken bezogen das gesamte Haus und die Vorfahren ein und vollzogen sich vor den Augen der Öffentlichkeit. Verstorbenen Kindern und Heranwachsenden wurde zwar keine öffentliche Aufmerksamkeit zuteil; ihr Tod bedeutete dennoch für die Familie ein schwerer Verlust.
In einem Schlusskapitel (144-150) legen Harlow und Laurence die Bedeutung des Alters noch einmal dar. Neben Geschlecht und sozialem Status ist Alter ein wichtiges strukturierendes Merkmal der Gesellschaft. Hinsichtlich der Wertigkeit der verschiedenen Altersstufen kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung: "The young and the old were marginalised in this world of ages, in preference to men in middle age" (144). Sie wenden sich damit gegen Stereotype, die den Alten in vormodernen Gesellschaften generell eine herausragende Stellung zuschreiben.
Das Buch stellt eine nach Lebensalterstufen gegliederte Familien- und Sozialgeschichte dar, die den Zweck eines einführenden Überblicks sicherlich erfüllt. Beeindruckend ist die Fülle der einbezogenen Literatur, die die Forschung, allerdings weitgehend beschränkt auf englischsprachige Titel, zusammenfasst. Wie bei einem kurzen Überblick kaum anders zu erwarten, überwiegen Beschreibungen und Darlegungen der wichtigsten Sachverhalte. Eigene Positionen oder neue Thesen werden nicht formuliert, auf Forschungskontroversen wird nur selten eingegangen. In allen Kapiteln sind exemplarisch einschlägige Quellenpassagen zitiert oder referiert. Auf Anmerkungen wurde verzichtet. Im Text selbst ist auf die in der Bibliografie genannte Literatur verwiesen. Einige ärgerliche Fehler bei den lateinischen Begriffen (Seite 16: puerita, adulscentia; Seite 76: Tabula Heraclenensis) und Ungenauigkeiten bei der Zitierung von Quellen (Seite 16: Ptolemaios ohne Werkangabe) deuten darauf hin, dass nicht die antiken Quellen, sondern die Sekundärliteratur Grundlage des Werkes waren.
Die Vernachlässigung von Forschungsergebnissen aus anderen Wissenschaftssprachen führen dazu, dass Spezifika der römischen Familie zu selten in Beziehung zu anderen Gesellschaften gestellt werden, wodurch wichtige Erklärungsansätze und Deutungsmöglichkeiten verloren gehen. So kommt die Frage, inwieweit sich die Hausübergabe post mortem in Rom und die Hausübergabe inter vivos in Griechenland auf die unterschiedliche Position der Alten auswirkte, nicht in den Blick. Hinsichtlich der Verwendung historischer Exempla und eines die Ahnen einbeziehenden Totenkults wären die Arbeiten von Michael Mitterauer zum Ahnenkult eine Bereicherung gewesen. [1] Die auf den interkulturellen Vergleich angelegten Werke, die von der französischen Forschung zur Familie, zur Frau und zum Alltag vorgelegt wurden, sind nur sporadisch, die Veröffentlichungen des Freiburger Instituts für Historische Anthropologie zur Kindheit, zur Geschlechtsreife und zu den geschlechtsspezifischen Rollen und Räumen sind nicht zur Kenntnis genommen. [2] Äußerungen im Schlusskapitel, wie Seite 148: "How different the Roman life course was from other systems in other contemporary states seems at present unclear" und "The recovery of difference in the life course is possible across space and time, but at present the data may not be available in a form for undertaking such a study", zeigen, dass das Buch auf diesem Auge blind ist.
Anmerkungen:
[1] M. Mitterauer: Europäische Familienformen im interkulturellen Vergleich, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 14 (1984), 152-158 (auch in: Ders.: Historisch-anthropologische Familienforschung. Fragestellungen und Zugangsweisen, Wien / Köln 1990, 25-40); ders.: "Und sie ließen ihren Vater zurück ...". Die Schwäche der Ahnenbindung im Christentum als Voraussetzung des europäischen Sonderwegs der Familien- und Gesellschaftsentwicklung, in: Ders.: Dimensionen des Heiligen, Wien 2000, 214-227.
[2] E. W. Müller (Hg.): Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung (= Kindheit - Jugend - Familie; 1), Freiburg / München 1985; J. Martin / A. Nitschke (Hg.): Zur Sozialgeschichte der Kindheit (= Kindheit - Jugend - Familie; 2), Freiburg / München 1986; J. Martin / R. Zoepffel (Hrsg.): Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann, 2 Bde. (= Kindheit - Jugend - Familie; 3), Freiburg / Mü
Winfried Schmitz