Johannes Taubert: Zur kunstwissenschaftlichen Auswertung von naturwissenschaftlichen Gemäldeuntersuchungen (= Materialien aus dem Institut für Restaurierung der Technischen Universität München), München: Anton Siegl 2003, 210 S., 87 Abb., ISBN 978-3-935643-08-5, EUR 19,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Johannes Taubert, Kunsthistoriker und Restaurator, gehört zu den Begründern der modernen Restaurierungswissenschaften in Deutschland. Bis zu seinem frühen Tod 1975 leitete er die Restaurierungswerkstätten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege und führte diese zu einer Institution von internationalem Rang, den sie lange innehatten. In der Fachwelt ist Taubert vor allem durch seine grundlegenden Studien zur polychromen Holzplastik international bekannt geworden. Diese Studien, die konservatorische, restauratorische und kunsthistorische Aspekte gleichermaßen umfassen, wurden 1978 unter dem Titel "Farbige Skulpturen. Bedeutung, Fassung, Konservierung" veröffentlicht. Seine Forschungen über die Möglichkeiten der kunstwissenschaftlichen Auswertung von naturwissenschaftlichen Untersuchungen an Tafelgemälden der "flämischen Primitiven", die er als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Institut Royal du Patrimoine Artistique (heute IRPA) in Brüssel ausführte und 1956 in Marburg als Dissertation vorlegte, blieben dagegen unpubliziert, auch wenn sie in Fachkreisen als wesentlicher Beitrag zur Methodik der Gemäldeanalyse und als Voraussetzung einer fundierten Restaurierung erkannt wurden. Die Herausgabe des Manuskripts, die Gesine Taubert zu verdanken ist, ließ dem Werk seine historische Authentizität: Bibliografie und Bebilderung entsprechen dem Stand der Dissertation von 1956, nur im Anhang gibt es einige (wenige) Hinweise auf aktuelle Literatur zum Thema.
Als Kunsthistoriker und Restaurator erkennt Taubert, dass die Beschäftigung mit dem Material und der Materialtechnik des Kunstwerks eine unverzichtbare Voraussetzung für das Verständnis der Kunstgeschichte als Geschichte der künstlerischen Form ist. Die kunsthistorische Analyse setzt also sowohl die naturwissenschaftlichen als auch die restauratorischen Untersuchungen voraus, deren Möglichkeiten und Grenzen definiert werden müssen. Kunsthistoriker und Restauratoren sollten weder Berührungsängste mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden haben, noch sie unkritisch akzeptieren, sondern sie vielmehr gezielt als Hilfsmittel bei der Frage nach der Entstehung und der "Lebensgeschichte" eines Kunstwerks nutzen. Zum innovativen Einsatz naturwissenschaftlicher Untersuchungen, insbesondere der Röntgen- und Infrarotstrahlen, für die Kunstwissenschaften wurde Taubert durch die 1938 erschienene Arbeit von Christian Wolters über "Die Bedeutung der Gemäldedurchleuchtung mit Röntgenstrahlen für die Kunstgeschichte" angeregt.
Taubert beginnt seine Arbeit mit der systematischen Darstellung der unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden an Tafelgemälden. Er stellt in klarer, gut verständlicher Sprache die Bedeutung und die Anwendungsmöglichkeiten von Punktuntersuchungen (Bildträger-, Pigment- und Bindemittelanalysen, Farbschnitte), Flächenuntersuchungen (Oberflächenuntersuchungen im Auflicht, Streiflicht, UV-Licht und andere) und Tiefenuntersuchungen (Untersuchungen mit Röntgenstrahlen und Infrarotstrahlen) vor.
Es folgt ein Kapitel zur Geschichte von Gemälden, das systematisch auf die verschiedensten Aspekte der Erhaltungs- und Restaurierungsgeschichte eingeht (natürliche Alterung, Beschädigungen, Eingriffe von fremder Hand). Die meisten Kunstwerke, mit denen wir uns heute befassen, haben im Laufe der Zeit umfangreiche Veränderungen und Restaurierungen erfahren. Zu Recht hebt Taubert hervor, dass zur Präzisierung kunstwissenschaftlicher Aussagen über ein Gemälde nicht der originale Zustand wiederhergestellt werden muss, was im Allgemeinen ohnehin illusorisch wäre und nur erhebliche Verluste an materieller Substanz und historischer Authentizität mit sich bringen würde. Hier können systematische naturwissenschaftliche Untersuchungen und deren restauratorische Auswertung zumeist die notwendigen Daten liefern.
Weitere Kapitel befassen sich mit Fragen der Kunsttechnologie, deren Kenntnis die Voraussetzung zur richtigen Deutung einzelner Erscheinungen im Röntgenbild und Infrarotbild darstellt. Der Aufbau eines Bildes mit Grundierung, Unterzeichnung, Ritzung und mit dem eigentlichen Malvorgang (Imprimitur, Untermalung und Ausmalung et cetera) wird an mehreren Beispielen vor Augen geführt, wie zum Beispiel dem Wildunger Altar von Conrad von Soest. Ein Gemälde stellt einen mehr oder weniger komplizierten materiellen Komplex aus übereinander liegenden Schichten dar, die jeweils aufeinander folgenden Arbeitsgängen entsprechen. Technische Einzelheiten dieser Schichten können mit Röntgen- und Infrarotstrahlen flächenmäßig erfasst werden, eine präzise Erfassung der Summe sämtlicher übereinander liegender Schichten ist dagegen nur punktuell mit Farbschnitten (Querschliffen) möglich. Die Schwierigkeiten einer korrekten Deutung von Röntgen- und Infrarotaufnahmen und die Notwendigkeit, diese mit weiteren Untersuchungsmethoden wie der Punktuntersuchung, zu untermauern, werden von Taubert einprägsam dargestellt. Die Bedeutung maltechnischer Quellenschriften, die in Verbindung mit naturwissenschaftlichen und restauratorischen Untersuchungsmethoden dazu beitragen, den Entstehungsprozess eines Gemäldes zu klären, wird exemplarisch an Dürers Briefen zum Helleraltar veranschaulicht.
Schließlich wendet Taubert die vorgestellte Untersuchungsmethodik auf Beispiele der niederländischen Tafelmalerei an. An Werken der Brüder van Eyck, von Dirk Bouts und seiner Nachfolger sowie von Hans Memling, zu denen in Brüssel umfangreiches Untersuchungsmaterial vorlag, spürt Taubert Besonderheiten im Schöpfungsvorgang, in Veränderungen während der Entwurfsphase und der malerischen Umsetzung nach.
Der kunsthistorische Erkenntnisgewinn durch naturwissenschaftliche Untersuchungen wird vor allem an Beispielen von Infrarotaufnahmen dargestellt, die bis dahin von Kunstwissenschaftlern nicht genutzt worden waren, obwohl sie einen faszinierenden Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess und eventuelle spätere Veränderungen ermöglichen. In einem Kapitel befasst sich Taubert mit Kopienkritik und Kopien in der spätmittelalterlichen Malerei. Anhand mehrerer Beispiele erläutert er die spezifischen Merkmale schöpferischer und exakter Kopien und analysiert Besonderheiten im Entstehungsvorgang letzterer, als wichtige Handreichung für die kunsthistorische Einordnung und Datierung. Als prägnantes Beispiel wird das Problem des "Miraflores-Granada-Altars" in einem eigenen Kapitel vorgestellt.
Abschließend stellt Taubert deutlich heraus, dass aus naturwissenschaftlichen Untersuchungen allein keine endgültigen Aussagen über ein Kunstwerk getroffen werden können, sie sind vielmehr der Ausgangspunkt für die kunstwissenschaftliche Arbeit. Nur in Verbindung damit, insbesondere historischen, ikonographischen und stilkritischen Fragestellungen, können wirklich neue Ergebnisse erreicht werden. Zu Recht hebt Taubert die notwendige Klärung der "termini technici" hervor, um zu allgemein verständlichen Aussagen zu gelangen, was gerade in der interdisziplinären Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern, Restauratoren und Kunstwissenschaftlern unabdingbar ist.
Die Arbeit von Taubert ist inzwischen fast ein halbes Jahrhundert alt, doch hat sie keineswegs an Aktualität verloren. Die Methoden sind gültig geblieben, nur der technische Stand der Hilfsmittel ist weiterentwickelt worden. Tauberts systematische Auseinandersetzung mit dem Thema, die methodische Klarheit seiner Vorgehensweise und ihre Anschaulichkeit mittels praktischer Beispiele sind auch heute noch vorbildlich. Die vorliegende Publikation kann Kunsthistorikern, Restauratoren und Studierenden der Kunst- und Restaurierungswissenschaften daher nur wärmstens zur Lektüre empfohlen werden.
Ursula Schädler-Saub