Dorothee Kimmich / Alexander Thumfart (Hgg.): Universität ohne Zukunft?, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 2004, 272 S., ISBN 978-3-518-12304-1, EUR 10,00
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Ob sich die Universitäten und speziell die geisteswissenschaftlichen Institute (wieder einmal) in der Krise befinden, gehört zu den gegenwärtig lebhaft diskutierten Fragen. Mit dem Band "Universität ohne Zukunft?" schalten sich Dorothee Kimmich und Alexander Thumfart in diese Diskussion ein. Die von ihnen herausgegebenen dreizehn Beiträge umfassen ein großes Spektrum: Programmatische Texte zur Verteidigung der Geisteswissenschaften stehen neben jenen, die davor warnen, sich den Veränderungen zu verweigern; solche, die konkrete Institutionen vorstellen [1], neben anderen, die den Befindlichkeiten der vom Reformprozess Betroffenen Stimme geben.
Während die Herausgeber in ihrem Beitrag dem scheinbaren Widerspruch nachgehen, dass es gerade die Wissensgesellschaft ist, die die Autonomie der Universitäten bedroht, verteidigt Dieter Langewiesche mit Nachdruck die Einheit von Forschung und Lehre. Blättert man weiter, gelangt man zur "Einführung in die Paradoxologie des deutschen Hochschulwesens" von Albrecht Koschorke, die die Rezensentin mit besonderem Genuss gelesen hat. Nicht weniger als acht Paradoxien des deutschen Wissenschaftsbetriebes macht der Autor aus. Dazu gehört etwa das "Berufungsparadox", denn die Berufung auf eine Professur bedeute häufig genug, dass die wissenschaftlichen Interessen kaum vor Kommissionstätigkeit und Verwaltungsaufgaben zu retten seien. Ein weiteres Paradox ist das Antragsparadox: Da die Gelder an den Hochschulen knapper werden, müssen für die Forschung zunehmend Drittmittel eingeworben werden, die zur Entstehung eines eigenen Genres geführt haben, der Antragsprosa. Sind die Antragstellenden besonders geübt in der Verwendung des Futur II, so mag bei den Gutachtern der Eindruck entstehen, die Ergebnisse seien eigentlich schon bekannt, eine Finanzierung daher nicht angebracht. Lässt der Antrag dagegen erkennen, dass der Ausgang der Forschung ungewiss ist, sind die Bewilligungschancen ebenfalls eher begrenzt. Koschorke leitet aus den beschriebenen Paradoxien die Forderung nach "mehr Wissenschaft", "weniger Wissenschaftsbetrieb" und "weniger Wissenschaftspolitik" ab.
Wer aus diesen nicht selten kafkaesk anmutenden Erfahrungen jedoch den Schluss zöge, sich den kommenden Reformen gänzlich zu verweigern, wird von Frank Meier und Uwe Schimanek gewarnt. In ihrem Beitrag über neue Steuerungsmechanismen und deren Folgen für die Geisteswissenschaften verweisen sie darauf, dass die philosophischen Fakultäten in der Tat durch die neuen Managementstrukturen und die Orientierung an Verwertbarkeit strukturell benachteiligt werden können. Da der Umstellungsprozess als solcher aber weit fortgeschritten sei, plädieren sie dafür, politisch akzeptable und fachlich adäquate Qualitäts- und Relevanzindikatoren für den politischen Meinungsbildungsprozess und die staatliche Wissenschaftsverwaltung bereitzustellen, bevor diese ihrerseits völlig unangemessene konstruiert.
Vier weitere Beiträge verdeutlichen, welch unterschiedliche Positionen in der Reformdiskussion vertreten werden. So sieht Klaus Landfried es als Aufgabe der Geisteswissenschaften an, Wissen einerseits zu bewahren, es kritisch zu bewerten und weiterzugeben, andererseits durch Forschung neues Wissen zu schaffen. Diese kulturelle Orientierungsfunktion und ihre Relevanz für die Gesellschaft sei im Grunde unbestritten, sodass er die betreffenden Fächer zu mehr Selbstbewusstsein aufruft. Dan Diner sieht die Zukunft der Geisteswissenschaften im "cultural engineering": Die Verschränkung ihrer Erkenntnisse mit den Möglichkeiten moderner Technologien werde zu neuen Produkten und Dienstleistungen führen, die eine "qualitative Modernisierung" bedeuteten, die mit Traditionsbewahrung und nicht Traditionszerstörung einhergehe.
Dagegen sieht Hauke Brunkhorst in den diskutierten Reformen nichts anderes als Neoliberalismus am Werke. Dieser sei jedoch für "die komplexe, störanfällige Kommunikation in Forschung und Lehre ähnlich tödlich wie die Polizei auf dem Campus" (93). Auch Walter Erhart kann in seinem Beitrag mit dem Titel "Die Managerin und der Mönch - über die Zukunft unserer Bildungsanstalten" den Neuerungen wenig Positives abgewinnen, sondern spricht von Trauer, Nostalgie und dem Wunsch nach Restauration. Nur noch zwei Optionen scheint es zu geben, die der auf Effizienz bedachten Managerin und jene des Mönches. Seine Aufgabe sei die Bewahrung von Kulturgütern in Klausur, "in hochgradig illiteraten Spätzeiten" (130). Die Geschlechterbezeichnungen, so der Autor, seien mit Bedacht gewählt, doch fragt man sich dabei unwillkürlich: Sollen's die Frauen richten, auf dass die Männer im Studierzimmer ihren Neigungen nachgehen können?
Auch wenn jene Stimmen, die sich nach der Mönchsklause oder dem Elfenbeinturm sehnen, in der Minderheit sind, so kann man doch aus vielen Beiträgen eine Verunsicherung herauslesen, wohin der politisch gewollte Reformprozess führen wird. Optimismus ist jedenfalls selten, und das, obwohl über die Relevanz der Geisteswissenschaften Einigkeit herrscht. Ihre kulturelle Orientierungsfunktion, die jenes Wissen vermittelt, mit dessen Hilfe die in immer schnelleren Entwicklungsphasen ablaufenden Neuerungen erst verstanden und integriert werden können, ist unbestritten. Auf welche Weise die philosophischen sowie sozial- und kulturwissenschaftlichen Fakultäten diesen Aufgaben jedoch gerecht werden können, ob sich etwa Forschung und Lehre inhaltlich (und nicht nur organisatorisch mit BA- und MA-Studiengängen) stärker auf diese Situation einstellen müssten, dazu bietet der Band wenig Konkretes. In diesem Sinne zeigt er auch die noch nicht abgeschlossene Meinungsfindung bei vielen Angehörigen der betreffenden Fächer. Unzweifelhaft ist jedoch, mag bei manchem das Bedauern auch noch so groß sein: Einen Weg zurück gibt es nicht.
Anmerkung:
[1] Zu den vorgestellten Institutionen gehören die Universität Erfurt (Dietmar Herz), die International University Bremen (Max Kaase) sowie das Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften (Ansgar Nünning und Roy Sommer). Der Vollständigkeit halber sollen hier auch die Beiträge von Ernst Peter Fischer und Detlev Schöttker Erwähnung finden, die sich mit Fragen der Vermittlung von (Natur)-Wissenschaften an ein breiteres Publikum und dem Verhältnis von Geisteswissenschaften und Feuilleton, vor allem am Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, befassen.
Tatjana Tönsmeyer