Johann Wilhelm Braun: Urkundenbuch des Klosters Sankt Blasien im Schwarzwald. Von den Anfängen bis zum Jahr 1299 (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe A: Quellen; Bd. 23), Stuttgart: W. Kohlhammer 2003, 2 Bde., IX + 987 S., V + 385 S., ISBN 978-3-17-017985-1, EUR 79,00
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Ein Urkundenbuch des keineswegs nur regional bedeutenden Klosters Sankt Blasien zu veröffentlichen ist ein großes und mühevolles Unternehmen. Das mussten schon vor Johann Wilhelm Braun einige Forscher erfahren: Ein erstes Projekt begann die sanblasianische Gelehrtenakademie im 18. Jahrhundert, im 20. arbeiteten zuerst Otto Feger und Wolfgang Müller, nach der Gründung Baden-Württembergs und der Kommission für geschichtliche Landeskunde Hugo Ott daran. Um ein besseres Vorankommen zu ermöglichen, beauftragte man schließlich Braun hauptamtlich mit der Bearbeitung des Urkundenbuchs von Sankt Blasien. Zu welchem Abschluss hat er das Werk gebracht?
Die Materialfülle machte eine Beschränkung notwendig. So ist das Jahr 1299 nur als vorläufiger Schlusspunkt gedacht, weitere editorische Arbeiten bleiben vorerst Desiderat. Da die Überlieferung mit fortschreitender Zeit umfangreicher wird, legt Braun seiner Edition zwei Urkundenbegriffe zu Grunde: Bis zum 12. Jahrhundert einen sehr weiten Begriff, der alle das Kloster betreffenden Nachrichten einschließt und das Urkundenbuch damit einem Regestenwerk annähert. Mit dem Material des 12. Jahrhunderts wird als Urkunde zunehmend das reine Rechtsdokument verstanden. So wird gerade für die Zeit des früheren Mittelalters dem Forscher erhebliche Sucharbeit abgenommen. Räumlich bezieht sich das Urkundenbuch auf Sankt Blasien und seine Filialklöster Berau, Bürgeln, Gutnau, Ochsenhausen, Sitzenkirch und Wislikofen; zeitlich folgt es dem klassischen Pertinenzprinzip.
Einleuchtend und ausführlich wird die Edition (Teil I des Werks) zu Beginn des zweiten Teils eingeleitet. Hier finden sich neben den Editionsgrundsätzen die Editionsgeschichte und umfangreiche Verzeichnisse der Abkürzungen, Standorte der herangezogenen Quellen, Literatur, Siegel sowie Orts- und Personennamen. Auf ein Sachregister wurde zu Recht verzichtet: Bei der Fülle des Materials hätte es nur selektiv und damit kritikwürdig und gleichzeitig äußerst umfangreich ausfallen können. Stattdessen ermöglicht die beigelegte CD-Rom problemlos schnelles Suchen in allen Dokumenten - dazu aber unten mehr.
Die gesamte Arbeit ist sorgfältig durchgeführt. Bei Stichproben begegneten lediglich kleinere Kollations- und Druckfehler, die nie ganz vermeidbar sind. Unangenehm sind aber Teil I, Seite 31, Zeile 68: "H. Hlawitschka" statt korrekt "E. Hlawitschka", die fehlerhafte Angabe der Abkürzung für den Stadtkreis Baden-Baden mit "BA" statt "BAD" im Abkürzungsverzeichnis (Teil II, 14), die Auflösung "Baselland" statt korrekt "Basel-Landschaft" (Teil II, 15) sowie die Verschreibung "Mailingen" statt richtig "Maihingen" (Teil II, 23).
Begrüßenswert ist die behutsam durchgeführte Normalisierung der Schreibung, die das Textverständnis durchaus erleichtert. Dass aber auch bei Kürzungen in der Vorlage teilweise die Schreibung "vermittelalterlicht" wird (Auflösung durchgängig "pre-"), mag nicht so recht einleuchten, auch die Auflösungen "Romanę" für "Rom." und "pape" für "pp." (beides Nr. 108) suggerieren eine nicht vorhandene unklassische Schreibung, die natürlich im Mittelalter üblich war, aber eben nicht als Einzige.
In der äußeren Form lehnt sich Braun eng an vorhandene Urkundenbücher und die jüngeren Diplomata-Bände der MGH an, sehr zum Vorteil der Benutzer, die sich damit leicht zurecht finden. Die Regesten sind knapp und informativ, zusätzlich macht Braun Angaben zu Überlieferungsformen, Drucken, Regesten, Faksimiles und vorangegangener Forschung. Wo nicht auf andere Arbeiten verwiesen werden kann, werden beispielsweise detaillierte sphragistische Beschreibungen vorgelegt oder die äußere Form der Urkunde geschildert. Auch die Auseinandersetzung mit der Forschung findet an dieser Stelle statt und führt bei Nr. 225 zu einer Neudatierung, die allein schon aufgrund paläografischer Kriterien unerlässlich war. Bei all dem macht Braun von der Möglichkeit der Querverweise reichlich Gebrauch, was wiederum dem Suchenden zugute kommt. Dass man im Drucksatz vor den einzelnen Stücken zum Teil unterschiedlich große Abstände gelassen hat, erspart dem Leser optisch wenig ansprechende Seitenumbrüche und ist ein weiteres Plus der Edition. Bei Stücken, in denen Varianten- und Sachapparate notwendig sind, wäre jedoch eine optisch deutlichere Abgrenzung wünschenswert, etwa durch einen weiteren Trennstrich (so in Nr. 230 und anderen).
Urkunden im engeren Sinn werden stets im Volltext geboten. Nicht ediert wurden (vor allem für die Frühzeit) kleinere Nachrichten, die sich nur aus wesentlich späterer Überlieferung, wie zum Beispiel der Würdenträgerliste des Stanislaus Wülberz von 1734, erschließen lassen (siehe dazu Nr. 79). Gleiches gilt für kurze Nachrichten aus anderen edierten Geschichtswerken, wie den Einsiedler Annalen bei Nr. 115; Ausnahmen werden jedoch bei Stellen aus dem Liber constructionis gemacht.
Erwähnung verdient auch ein eigens entworfenes Schaubild, das die intertextuellen Beziehungen von Urkunden über Gebetsverbrüderungen Sankt Blasiens mit anderen Klöstern darstellt. Man erhält so einen schönen Einblick in die Urkundenproduktion, in der bekanntlich beileibe nicht jedes Stück absolut singulär ist.
Ein ungutes Gefühl beschleicht den Rezensenten jedoch, wenn er die ausführliche Abhandlung des Editors zu den Quellen der Frühzeit Sankt Blasiens liest (bei Nr. 4): Wäre das nicht ein eigenes Kapitel wert gewesen, vielleicht im zweiten Teil und eventuell etwas ausführlicher zu den zu Grunde liegenden Quellen insgesamt?
Ein gutes Hilfsmittel ist die bereits erwähnte CD-Rom. Auf ihr finden sich beide Teile des Urkundenbuchs als PDF-Datei, sodass auch die CD zitierfähig ist. Zur Installation des mitgelieferten Adobe Acrobat Reader sollten Benutzer allerdings wissen, wie man Dateien entpackt. Leider hat der Verlag bei den Produktionskosten gespart und die CD in ihrer Papierhülle in den rückwärtigen Deckel von Teil II eingeklebt, von wo sie leider nicht ohne Beschädigungen des Buches zu lösen ist. Eine Einstecktasche wäre hier nicht zuletzt für die Aufbewahrung der CD komfortabler gewesen. Doch zum Wesentlichen: Gerade für eine Quellensammlung wie dieser liegt der größte Vorteil der elektronischen Version in der Suchfunktion. Die 750 Nummern der Edition sind damit inhaltlich leicht zugänglich. Leider war auf dem Rechner des Rezensenten bei einer Auflösung von 800 x 600 Pixel eine Vergrößerung auf 300% nötig, um die kursiv gesetzten Passagen mit kleinerem Schriftgrad in akzeptabler Qualität lesen zu können.
Das Urkundenbuch von Sankt Blasien ist gleichsam ein Repertorium der Kirchengeschichte nicht nur des südwestdeutschen Raums im Hochmittelalter. Denn die Bedeutung des Klosters zeigt sich eindrucksvoll in den zahlreichen Königen, Kaisern, Päpsten und Bischöfen, die als handelnde Personen erscheinen (bezeichnenderweise ist das erste Original der Sammlung eine Urkunde Heinrichs IV. [Nr. 18], MGH DD H IV, Nr. 154). In der Masse der Urkunden des 13. Jahrhunderts (sie nehmen 644 von 978 Seiten der Edition ein) gehen sie freilich ein wenig unter; doch wird gerade mit der Menge von Urkunden, die weniger bedeutende Personen betreffen (Pfarrer, Niederadlige, Bürger) die Dimension der alltäglichen Rechtsgeschäfte deutlich sichtbar. Beispielhaft seien wenige Ereignisse aus den Jahren um 1290 genannt: Da wird Wallfahrern zum Filialkloster Gutnau Ablass gewährt (Nr. 650 und 652), mittellosen Frauen wird der Unterhalt gesichert (Nr. 580 und 583), das Kloster erhält Güter als Geschenk (Nr. 651) und nicht zuletzt kauft St. Blasien Güter von verschuldeten Adligen (vor allem von Graf Mangold von Nellenburg: Nr. 596, 609, 619, 621, 629, 718). Zugleich greift das Kloster durch seine Beziehungen zu anderen (Reform-)Klöstern im 10. und 11. Jahrhundert weit über den südwestdeutschen Raum hinaus: (vergleiche Nr. 27 - 29, 32, 34-37, 39, 42 - 46, 57)
Das Bearbeiten eines Urkundenbuchs fordert einen Forscher erheblich, bringt ihm allerdings meist wenig Renommée. Umso mehr verdient die Leistung Brauns Anerkennung, der nicht nur eine äußerst saubere Edition vorgelegt hat, sondern auch für ihre Erschließung viel getan hat. Man darf gespannt sein, wie die historische Forschung das Urkundenbuch in Zukunft rezipieren wird und hoffen, dass in ähnlicher Qualität einmal eine Fortsetzung erscheinen kann.
Bernward Schmidt