Robert Schelp: Das Allgemeine Staatsrecht - Staatsrecht der Aufklärung. Eine Untersuchung zu Inhalt, Anspruch und Geltung des naturrechtlichen Staatsrechts im 17. und 18. Jahrhundert (= Schriften zur Rechtstheorie; Bd. 205), Berlin: Duncker & Humblot 2001, 308 S., ISBN 978-3-428-10171-9, EUR 52,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Der bedeutende niederländische Jurist Ulric Huber (1636-1694) betrachtete sich selbst als Schöpfer des Allgemeinen Staatsrechts in Form und Funktion einer eigenständigen juristischen Teildisziplin. Inhalte und Systematik dieses Rechtsgebietes hatte er 1672 in seinem berühmten Werk "De jure civitatis libri tres" dargelegt, dessen zeitgenössischer Erfolg sich aus der Tatsache ablesen lässt, dass es bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts noch mehrere Neuauflagen erfuhr.
Schelps Untersuchung verharrt jedoch nicht bei der Frage, ob und in welchem Umfang Huber zu Recht diese Urheberstellung zugesprochen werden kann, sondern versucht in weitem Rahmen die Entwicklungslinien des Allgemeinen Staatsrechts als juristischem Phänomen der Aufklärungszeit und deren bestimmender rechtlicher Strömung, des Naturrechts, zu erfassen, darzustellen und zu bewerten.
Das erste Kapitel der Untersuchung dient neben einer allgemeinen Einführung in die Materie vor allem der Ermittlung des spezifisch juristischen Gehaltes und der zur Anwendung kommenden Methodik des Allgemeinen Staatsrechts. Ausgehend von den historischen Wurzeln löst Schelp diese Aufgabe, indem er einerseits die inhaltliche Eigenständigkeit der Disziplin, insbesondere im Verhältnis zur Politik, ermittelt und andererseits die methodischen Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte mit Nachbardisziplinen wie der Theologie oder der Philosophie herausarbeitet. Im Ergebnis findet Schelp danach Ulric Hubers herausragende Bedeutung im Entstehungsprozess bestätigt (63).
Im Mittelpunkt der beiden nachfolgenden Kapitel steht die nähere Betrachtung der im Untersuchungszeitraum entstandenen Literatur zum Allgemeinen Staatsrecht. Erkennbar setzt Schelp hier Prioritäten. Im zweiten Kapitel stellt er zunächst straff und konzentriert eine Vielzahl einschlägiger Werke und Autoren von Justus Henning Böhmer (1674-1749) über Wiguläus Xaverius Aloysius von Kreittmayr (1705-1790) und Carl Gottlieb Svarez (1746-1798) bis August Ludwig Schlözer (1735-1809) vor. Das dritte Kapitel hingegen ist allein Ulric Huber und dessen oben bereits genanntem Werk gewidmet. Diese Vorgehensweise Schelps ist, weniger wegen der differierenden Gewichtung, wohl aber durch die Anordnungsreihenfolge nicht unproblematisch. Zwar ist die Fokussierung auf Huber nach den vorangegangenen Ergebnissen wohl indiziert, doch stehen hierneben die Positions- und Werkbeschreibungen der übrigen Autoren recht isoliert. Erst die eingehende Darstellung der von Huber vertretenen Positionen bietet die Basis und den Leitfaden für das tiefere inhaltliche Verständnis der Untersuchung Schelps. Auf dieser Grundlage aufbauend wäre eine deutliche Inbezugsetzung zu den mit den übrigen Autoren bestehenden Gemeinsamkeiten und Differenzen auf breiter Ebene wünschenswert gewesen. Im gewählten Aufbau sind Antworten auf diese Fragen hingegen nur in beschränktem Umfang Gegenstand einzelner Fußnoten (zum Beispiel 6, 83 und 37, 90).
In den nachfolgenden vier Kapiteln geht Schelp Schritt für Schritt der Frage der konkreten Wirkungen der im Bereich des Allgemeinen Staatsrechts entwickelten Theorien in der juristischen und politischen Praxis der Aufklärungszeit nach. Der spezielle Charakter des Rechtsgebietes, das im Gegensatz zum Verfassungsrecht nicht auf einer staatlicherseits klar formulierten und mit Autorität ausgestatteten Normengrundlage basiert, sondern allein aus der in seinen Rechtssätzen zum Ausdruck kommenden Vernunft und Nützlichkeit heraus praktische Wirkung entfalten kann, erfordert hier besondere Beachtung. Es gilt hier, den auf wissenschaftlicher Ebene theoretisch formulierten Geltungsanspruch an der Rechtswirklichkeit zu messen.
Auf breiter Literaturbasis stellt Schelp zunächst das Programm des Allgemeinen Staatsrechts, seinen normativen Charakter und Geltungsanspruch dar. Schwerpunkte setzt er einerseits bezüglich der Entwicklung der Rechtssätze durch die Wissenschaft, wiederum in Abgrenzung zu den Nachbardisziplinen, und andererseits hinsichtlich der Einpassung derselben in die sonstige staatsrechtliche Normenstruktur. Schelp kommt danach zu dem Ergebnis, dass das Allgemeine Staatsrecht, "insbesondere durch den Rückgriff auf die rechtliche Fiktion der Staatsvertragslehre und die daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen, durchaus Rechtsqualität und normative Geltung" beanspruchen konnte und dieser Anspruch auch von den einzelnen Autoren je nach Charakter mehr oder weniger konsequent eingefordert wurde (194).
Folgerichtig widmen sich die nachfolgenden Kapitel der Frage, inwieweit dieser theoretisch erhobene Anspruch auch durch praktischen Einfluss und politische Bedeutung Niederschlag im absolutistischen Staat der Aufklärungszeit gefunden hat. Vor allem über das "'klassische' aufklärerische Mittel der Erziehung", sei es der Fürsten oder allgemein der "staatstragenden Oberschicht", verzeichnet Schelp dabei maßgebliche Wirkungen (284). An der Schwelle zum modernen Verfassungsstaat leiteten zudem zahlreiche im Bereich des Allgemeinen Staatsrechts vorgezeichnete Entwicklungslinien zu den großen Kodifikationen der Aufklärungszeit über. Insoweit habe es einen wesentlichen Beitrag zur "Verrechtlichung des Staates in der Neuzeit" geleistet, sei es im Hinblick auf die Entwicklung der "Freiheits-, Grund- und Menschenrechte", die Bestimmung des "Staatszwecks und des Staatsbegriffes" oder die rechtliche Fundierung der "Staatsaufgaben und der Staatsorganisation" (285).
Damit sei das Allgemeine Staatsrecht zu einem "Meilenstein auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit" geworden, indem es "das juristische Handwerkszeug für einen Ausgleich von Allgemeinwohl- und Privatinteressen auf rechtlicher Basis" lieferte. Am Ende der "Epoche des aufgeklärten Absolutismus und der aufkommenden Konstitutionalisierung" musste jedoch eben dieses Handwerkszeug gegenüber einer "positiven Verfassungsgebung" als zu "flexibel und nachgiebig erscheinen" (286). Wenn auch nicht in seinen Inhalten, so doch in seiner hergebrachten Form als wissenschaftlich formuliertes Normensystem verlor damit das Allgemeine Staatsrecht seine bisherige "Bedeutung und Akzeptanz" (285).
Ralf Frassek