Thomas Kater / Albert Kümmel: Der verweigerte Friede, Bremen: Donat Verlag 2003, 394 S., 53 Abb., ISBN 978-3-934836-34-1, EUR 19,80
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Drei Bilder werden in diesem Sammelband immer wieder von unterschiedlichen Autoren herangezogen: Ambrogio Lorenzettis Fresken im Palazzo Pubblico in Siena, Immanuel Kants Gasthausschild "Zum ewigen Frieden" an einem Friedhof und Günter Demnigs "Friedensrolle", ein zwölf Meter langes Band aus Bleiblech, auf dem der Kölner Künstler 1985 alle Friedensverträge von 2260 vor unserer Zeitrechnung bis 1981 zu verzeichnen suchte. Friedensbildlichkeit heißt für die Autoren nicht nur "picture", sondern auch "image", ist also einem sehr weiten Begriff von Versinnbildlichung verpflichtet, der so manche Diskurse auslöste.
Zu Recht beschreiben die beiden Herausgeber einleitend den - beziehungsweise die Vieldeutigkeit - des Friedensbegriffs, der für die Bildlichkeit zentral ist. Während Kümmel stark von den gegenwärtigen Medien ausgeht, kehrt er doch zu surrealistischen Deutungen über die Erfordernis zur Gewinnung der Schlacht um die weiße (Lein-)Wand zurück und führt den Leser in die Logik medialer Politik anhand von "Wag the dog" ein. Immerhin gibt aber auch er grundsätzlich zu bedenken, ob es überhaupt spezieller Bilder des Friedens bedürfe, wenn "die gelingende soziale Integration qua emotionaler Adressierung/Prozessierung" die "Friedensarbeit des Symbolischen" darstelle. Thomas Kater arbeitet dagegen in historischer Tiefenschärfe eher die Entwicklung der Idylle seit dem Weltfrieden heraus, wenn er betont, dass Frieden immer sehr stark mit anderen wertbesetzten Leitbegriffen gekoppelt war. Zu diesen zählten zumeist Wohlgeordnetheit, Eintracht oder Gerechtigkeit und sie fanden zudem lange Zeit erst im Jenseits ihre Erfüllung. "Jede Bestimmung des Friedens hängt immer ab von der Verbindung mit anderen normativ gehaltenen Begriffen. Bloß für sich besagt der Begriff positiv nichts." Die Beziehungen zwischen Staaten spielen nach Kater seit Hobbes eine Rolle, bei Hegel wird der Ansatz zu einer Krankheit des Friedens erkannt, der dann immer stärker zum Mythos werde. Dagegen stehe das Bestreben zur wissenschaftlichen Beschäftigung. Frieden wird ferner unterschiedlich als kurzzeitiger oder unerreichbarer Endzustand gesehen oder aber als Prozess in eine bestimmte Richtung.
Wen wundert es, dass die Bilder vom Frieden variieren? In einem gesonderten Beitrag verdeutlicht Kater sehr einleuchtend den Weg von Lorenzetti über Hobbes zu Kant als Entbildlichung. Differenziert und faszinierend schildert er vor allem das Bild- und Wortprogramm der guten wie der schlechten Regierung in Siena am hervorgehobenen öffentlichen Ort: Dort gab es damals noch ein deutliches Exempel für die Bürger der Stadt und damit eine klare, geradezu didaktische Friedensinszenierung. Hans-Martin Kaulbach als Kunsthistoriker knüpft genau da an, wenn er fragt, wie seither ein Frieden, der nicht Friedhofsruhe sei, wohl aussehen könne. Ein Friedensengel wie in München wird zum Siegesengel (wie in Freiburg oder Berlin), die Kunst der öffentlichen Allegorie ende im - und man wird hinzufügen müssen durch - den Ersten Weltkrieg. In den heutigen Medien werde das Bild des UNO-Gebäudes und damit die Institution der Friedenswahrung benannt (die künstlerische Gestaltung um die UNO herum wiederum bedient sich dagegen älterer Bildlichkeiten; hat das denn nichts mehr mit Friedensbildern zu tun?). "Das Verschwinden des Friedens wird sichtbar als 'unendliche' Entfernung von Kants Text."
Vom "Medienfrieden" handelt der Beitrag von Tilman Walther, dem unter anderem auffällt, dass Kantsche Friedensbegriffe wie Anschluss, Verbindung und Verbreitung Ähnlichkeit haben mit "plug in, be online and make friends all over the world." Doch Walther sieht die ganze Sache letztlich wesentlich komplexer und verweist auf die Utopie als Vermittlung zwischen verordnetem und ordentlichem Frieden. Soviel zu den Sektoren "Entbilderung und Bildvermeidung" dieses Buches. Fünf nachfolgende Beiträge sind der Sektion "Bildüberblendung" gewidmet, wobei sich Dieter Riesenberger sehr gründlich und überlegt des Pazifismus-Militärismus-Verhältnisses im Deutschen Kaiserreich annimmt. Zum Friedenskaiser Wilhelm II. trägt Peter Glasner einiges bei. Dagegen kennt sich Martine Dlugaicyk nicht so gut mit dem völkerrechtlichen und politischen Gebrauch von Waffenstillstand aus, wodurch auch ihre Aussagen über dessen bildliche Darstellung entwertet werden. Petra Löffler geht bis zu Jeff Wall und kommt zu dem Ergebnis, dass kriegerisches Gemetzel und friedliche Idylle auf Fotos gelegentlich nicht mehr auseinander zu halten seien, so dass das Falsche und das Wahre ineinander überglitten. Die Popfigur von "Friede, Freude, Eierkuchen" wird von Brigitte Weingart bis zur Berliner Love Parade verfolgt; ob diese tatsächlich mit Eierkuchen mehr als mit Frieden zu tun hat(te), interessiert Weingart jedoch nicht. Darüber hinaus spürt sie aber auch der Verkitschung der Friedlichkeit auf weiteren Ebenen nach - es gibt also noch Frieden, aber in welcher Trivialisierung und Medieninszenierung!
Innerhalb des Teils über die Bildentgrenzung (die letzten vier Beiträge) prüft Wolfgang Schild die Waagemetapher auf ihre Tauglichkeit für die Darstellung von Friedlichkeit: Ja, sie kommt gelegentlich vor, aber mehr im Zusammenhang mit Gerechtigkeit - siehe Thomas Kater. Spannend ist der Ansatz von Christian Kassung, der von der Physik ausgeht. Bei Eberhard Schüttpelz gibt es Unklarheiten in Bezug auf den "Pazifik", womit er den entsprechenden Ozean meint (dessen Name aber doch wohl von der ruhigen Meeresoberfläche stammte, die die Entdecker anzog). Dagegen machte Marcel Mauss in einigen Gesellschaften in der Umgebung des Pazifischen Ozeans eine Kultur der Gabe aus, die von ganz anderen Vorstellungen von Besitz und Eigentum ausgingen. Standen diese Kulturen nun tatsächlich dem Frieden näher, oder stellte sich das nur in dem Text von Mauss so dar? Der Leser wird auch in einer recht feuilletonistischen Bilanz von Dietmar Kamper nicht so recht zu einer Bilanz gebracht: "Deshalb ist der Humanismus heute eine Ruine und ein globales Schlachtfeld." Der Verlierer verlöre nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch sich selbst.
Der Verlust der Friedensbilder in diesem Band stellt wohl erst den Anfang der Diskussion dar (Thomas Kater bereitet für November 2003 für den "Arbeitskreis Historische Friedensforschung" eine weitere Tagung vor). Wenn man den Frieden früher besser darstellen konnte, hing das nicht mit naiveren oder transzendenten Friedensvorstellungen insgesamt zusammen? Sind nicht seit geraumer Zeit alle großen Allgemeinbegriffe eines präzisen definitorischen und damit auch abbildungsfähigen eindeutigen Gehalts weitgehend entleert? Ein ganz anders geartetes Unternehmen wie die "Deutschen Erinnerungsorte" hat zumindest für den deutschen Bereich sehr stark die Trivialisierung aller derartiger kanonisierten Orte hervorgehoben. Wirft die Medienwelt der letzten zwei Generationen nicht auch die Frage nach ruhenden und abgeschlossenen Zuständen insgesamt auf, wie es ein bestimmter Friedensbegriff andeutet? Ist ein prozesshafter Friedensbegriff nicht doch in vielen gerade bildlichen Darstellungen enthalten und bedarf bei manchen Brechungen erst noch der Offenlegung? Annäherungen könnten ja auch Hinweise geben. Gewaltminderung auf vielen Ebenen bis hin zur Kriegsvermeidung und Deeskalation könnte dann vielleicht doch bildliche Entsprechungen finden. Heroisierung und Idylle gibt es wohl nach wie vor, die Frage ist nur, ob überhaupt und wenn ja, wie gebrochen sie in "der Moderne" funktionieren, für welche die Herausgeber sprechen. Und Autoren wie Tom Holert und Mark Terkessides haben gerade die Durchdringung der Popkultur insgesamt mit Kriegs- und Gewaltassoziationen untersucht und diese wiederum in die konkrete Kriegspraxis hineinwirken sehen. [1] Aber wenn Günter Demnig mit seiner Friedensrolle Denkanstöße gibt, bewegt er sich da nicht auf einer ähnlichen Ebene wie Denk- und Mahnmale etwa für die Massenverbrechen um die Genozide des 20. Jahrhunderts, die doch auch überzeugende Gestaltungen finden?
Anmerkung:
[1] Tom Holert / Mark Terkessides: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, K&
Jost Dülffer