Petra Schad: Buchbesitz im Herzogtum Württemberg im 18. Jahrhundert. Am Beispiel der Amtsstadt Wildberg und des Dorfes Bissingen/ Enz (= Stuttgarter Historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte; Bd. 1), Ostfildern: Thorbecke 2001, 280 S., ISBN 978-3-7995-5551-7, EUR 40,00
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Serielle Quellen üben auf die Historikerzunft einen ganz eigenartigen Reiz aus. Welche Möglichkeiten ihre Auswertung bietet, versucht Petra Schad mit ihrer bei Franz Quarthal in Stuttgart angefertigten Dissertation zu zeigen. Hier hat sie die vom 16. Jahrhundert bis zum In-Kraft-Treten des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900 in Württemberg geführten und im Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrten "Inventuren und Teilungen" ausgewertet. Aufgenommen bei der Eheschließung und bei der Auflösung der ehelichen Verbindung durch den Tod eines der Partner, verzeichnen sie den mobilen Besitz der Eheleute zu zwei verschiedenen Zeitpunkten und ermöglichen so Aussagen über Vermögensveränderungen insgesamt und in einzelnen Bereichen.
Schad hat diese Quellengattung im Hinblick auf den "Buchbesitz im Herzogtum Württemberg" ausgewertet. Der potenzielle Leser sollte sich nun aber nicht von dem Covertitel zu der - irrigen - Erwartung verführen lassen, ihn erwarte eine flächendeckende Analyse. Der Innentitel hält gleich zwei Einschränkungen parat: in zeitlicher (nur für das 18. Jahrhundert) und in räumlicher Hinsicht. Fragwürdig erscheinen die Begründungen für die Eingrenzungen. Schad entschied sich gegen eine der württembergischen Residenzen oder die Universitätsstadt Tübingen, da die Amtsstadt am Schwarzwald und die Landgemeinde den "soziologischen Normalfall" (16) repräsentierten. Wie sich aber dieser Normalfall definiert und wie er sich somit gegen Universitätsstadt und Residenz absetzt, diese Erklärung bleibt die Verfasserin schuldig.
Angesichts der von ihr zu Gunsten des Untersuchungsraumes hervorgehobenen guten Quellenlage erstaunt ferner die Eingrenzung auf das 18. Jahrhundert. Auch hier keine Begründung, warum nicht das 16. oder das 17. Jahrhundert oder das 16. und das 17. (17./18.) Jahrhundert gewählt wurden. Mit frappierender Ehrlichkeit werden von Petra Schad "arbeitsökonomische Gründe angesichts der aufwendigen Erfassungstätigkeit" angeführt, "bei der jedem in den Buchlisten aufgeführten Titel bibliographisch nachgegangen wurde" (18). Diese Ehrlichkeit erfrischt, aber sie überzeugt nicht. Der Rezensent weiß aus eigener Erfahrung um die Schwierigkeiten bei der bibliografischen Identifizierung frühneuzeitlicher Literatur. Es kann aber quantitativ nur als unbefriedigend bewertet werden, wenn von 617 Buchtiteln aus den Wildberger und 213 Titeln aus den Bissinger Inventuren in vielen Fällen überhaupt keine, bei den meisten anderen nur 'eventuelle' Angaben gemacht werden. Fragwürdig erscheint auch die Methode der Identifizierung: "Gab es mehrere Varianten der Titelidentifizierung mit verschiedenen Verlagsorten[,] wurde immer nur eine gezählt: Württemberg vor Süddeutschland und letzteres vor dem Norden [...]" (26, Anmerkung 38). Hier nimmt die Verfasserin eine apriorische Setzung vor, die an ein gewaltsames In-Form-Pressen der Quellen grenzt. Angesichts dieses Befundes darf die Aussagekraft eines großen Teils ihrer statistischen Berechnungen bezweifelt werden.
Zu bedauern ist auch, dass Petra Schad sich den inhaltlichen Aspekten der "Bestsellerlisten" nur sporadisch zuwendet: Es ist eine Sache, dass bestimmte Titel sehr häufig auftauchen, oder vielleicht auch zeitlich begrenzte Konjunkturen haben, eine andere, warum diese Titel so beliebt waren. Dabei zitiert sie ihren Lehrer Franz Quarthal mit den Worten: "Zwischen dem Buch, das man besitzt, und dem, das man liest, wird immer ein Unterschied bestehen" (95 mit Quellenachweis). Wohl wahr, aber allein die nackten Zahlen ergeben kein Bild vom Bücherkonsum in Württemberg. Petra Schad führt diese Zurückhaltung bei der inhaltlichen Auswertung auf das Fehlen von Ego-Dokumenten der Besitzer zurück. Doch bleibt die Berücksichtigung von Autoren und Inhalten in Relation zur Erwerbungshäufigkeit Desiderat, umso mehr, als Schad sehr gründlich den Rahmenbedingungen "Buchproduktion: Autor, Zensur, Druckorte, Produktion und Vertrieb" (Kapitel 2), "Lebensbedingungen im 18. Jahrhundert" (Kapitel 3) und "Lese- und Schreibfähigkeit" (Kapitel 5) nachgeht.
Hinter diesen gründlichen Analysen bleibt sie methodisch und damit letztlich auch inhaltlich bei dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand zurück. Ein überzeugendes Plädoyer für die sozialgeschichtliche Auswertung serieller Quellen hat Petra Schad mit ihrer Arbeit daher leider nicht geboten.
Andreas Freitäger