Peter Luh: Kaiser Maximilian gewidmet. Die unvollendete Werkausgabe des Conrad Celtis und ihre Holzschnitte (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII: Kunstgeschichte; Bd. 377), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, 459 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-631-36686-8, EUR 65,40
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Immer noch sind wissenschaftliche Publikationen über Konrad Celtis' Schriften eine Seltenheit, weshalb Peter Luhs Buch besondere Aufmerksamkeit verdient. Dem Leser erschließt sich dank Peter Luhs Arbeit die bedeutsame Rolle, die der Universalgelehrte Konrad Celtis sowohl im Kreis der deutschen Humanisten als auch im Bereich der Künste am Anfang des 16. Jahrhunderts spielte. Sucht man nach einem Grund, warum die Schriften des Konrad Celtis - und so gut wie alle lateinischen Werke des deutschen Humanismus - in den deutschen Geisteswissenschaften der Nachkriegszeit ein Schattendasein führten, so wird man wohl nicht an der Tatsache vorbeikommen, dass nur sehr wenige bislang übersetzt wurden. Dieses Faktum wirft kein positives Licht auf den Zustand der Kunstgeschichte und auf den der benachbarten Disziplinen.
Peter Luhs Dissertation stellt einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis des vielschichtigen, komplexen, lebendigen wie wechselhaften Gedankenaustausches von Konrad Celtis mit seinen humanistischen Freunden (sodalitas) und assoziierten Künstlern dar. Die Entstehung von humanistischen Bildern, hier fokussiert auf die Holzschnitte der Nürnberger Celtis Ausgabe von 1502, wird von Peter Luh detailliert untersucht. Um nur die zwei bekanntesten Blätter der Nürnberger Celtis Ausgabe zu nennen, sei hier auf die Grafik von Albrecht Dürer "Konrad Celtis widmet sein Werk König Maximilian" und von Hans Burgkmair "Sterbebild des Konrad Celtis" hingewiesen. Peter Luh macht in seiner Arbeit deutlich, dass humanistische Bilder und Texte in ihren Inhalten, Zusammenstellungen und Abfolgen in Abhängigkeit von ihrer Entstehungszeit und damit in Hinblick auf ihre spezifische Dedikation - Celtis widmete seine geplante Werkausgabe wohl zunächst anderen Personen und schließlich Kaiser Maximilian I. - jeweils neu zu verstehen und zu bewerten sind. Das grundsätzliche Problem der Kontextualität von humanistischer Kunst wird damit von Peter Luh erkannt und in all seinen Schattierungen dargestellt.
Bilder und Texte des Konrad Celtis richten sich zunächst und vornehmlich nicht an ein anonymes Publikum, sondern an einen bestimmten Leser und dessen Kreis (siehe: Jan Dirk Müller, Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982, 74-79). Erst auf Grund dieses Spezifikums humanistischer Werke werden Anspielungen und Aussagen in Form von Abweichungen, Änderungen bis hin zu Neugestaltungen der Literatur und der Ikonographie verständlich als dezidierte inhaltliche Aussagen des Autors beziehungsweise "kreativen Ikonographen" Konrad Celtis (333). Celtis selbst versteht sich als "vates" (Seher, Sänger, Dichter, Mathematiker, Astronom und Astrologe) (342), der sich mit seinen komplexen "allegorisch-mythologische[n] Lehrbilder[n]" (348) an die Adresse des gezielt, da bewusst gewählten Lesers beziehungsweise Betrachters wandte.
Dass die Ikonographie keine kunsthistorische Methodik darstellt, mit der sich auf Grund einer oder mehrerer Textstellen ein Bildgegenstand oder sogar ein ganzes Bildthema erklären lassen, wird von Peter Luh gleich zu Beginn seiner Arbeit dezidiert herausgestellt. Er sieht in Celtis Bildern "keine Illustrationen im engeren Sinne, sie verbildlichen nicht den Inhalt einzelner Verspassagen oder Buchkapitel, sondern [sollen] als textbegleitender Bildschmuck [...] wichtige Positionen des Humanismus vor Augen stellen" (13). Daher unternahm Peter Luh den Versuch die humanistischen Bilder des Konrad Celtis im Kontext von dessen persönlichen Themen und Interessen zu interpretieren, die er in fünf Punkten zusammenfasst: im "Nutzen" und im "Zweck der Wissenschaften, die 'richtige' Methode des Studiums, die Voraussetzungen dichterischen Schaffens, der Rang der Poesie und vor allem die Aufgabe, das Ansehen und der Lohn des Dichters" zu gewährleisten (13, vergleiche auch 364). Gerade in diesen individuellen Interessen, "Anschauungen, Absichten und Projekten des Celtis" sieht Peter Luh die Begründung für "singuläre Abweichungen" in der "Auswahl, Gestaltung und Kombination von Details" der Holzschnitte (13).
Über viele interessante Einzelbeobachtungen an den jeweils einzeln untersuchten Holzschnitten und stets sehr kenntnisreichen Anmerkungen kommt der Verfasser am Ende seines Buches (Kapitel IV. 4) zu der These, dass allen Holzschnitten ein gemeinsames Gesamtprogramm, eine tragende Idee des Konrad Celtis zu Grunde liegt: die "defensio poetices" (359, 364). Die Notwendigkeit zur Verteidigung der Poesie führt Peter Luh auf einen Machtkampf an den deutschen Universitäten zurück, der zwischen Humanisten und Scholastikern entbrannt war (360). Peter Luhs These erhält vor allem dadurch besonderes Gewicht, da Konrad Celtis bereits 1498 eine neue Ausmalung der Aula der Artistenfakultät in Wien veranlasste, in der das alte scholastische durch ein neues humanistisches Bildprogramm ersetzt wurde (365). Die argumentatio durch Bilder war also Konrad Celtis nicht fremd, sondern ein bereits zuvor erprobtes Mittel.
Bei Peter Luhs Methodik der Bildinterpretation - eines "ikonographisch-biographischen Ansatzes" (15), wie er dies selber herausstellt - drängt sich einem die Frage auf, ob dieser Interpretationsansatz auf der Grundlage eines humanistischen Bildverständnisses fußt oder aber auf einem modernen [1]. Da Peter Luh seinen methodischen Ansatz nicht in einem eigenen Abschnitt seiner Arbeit diskutiert oder durch humanistische Schriften absichert, muss man bei seinem methodischen Ansatz wohl von einer persönlichen Setzung sprechen, die ohne historische Grundlage bleibt. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn der Verfasser etwa humanistische Schriften zur Rhetorik oder Poesie des Konrad Celtis herangezogen hätte, um seinen Ansatz zu hinterfragen oder klarer zu begründen. Da im Humanismus von einem Primat der Schrift ausgegangen werden kann, die zur Erklärung des rätselhaften Bildes benötigt wurde, wie etwa im Fall der Emblemata oder der im deutschen Humanismus viel beachteten Hieroglyphen, hätte man hieraus vielleicht ein zeitgenössisches humanistisches Bildverständnis erschließen können, das möglicherweise auch für den methodischen Ansatz von Peter Luh in der einen oder anderen Weise hätte fruchtbar werden können. Der Autor führt den in diesem Zusammenhang interessanten Begriff der "physice interpretabor" (345) an, der bei Celtis und Tolhopff in Bezug auf die Ausdeutung von Fabeln und Sternsagen Verwendung fand.
Wenn auch nur in Kürze, so kommt diese Rezension gerne dem Wunsch des Buchautors nach (8), den Dialog über seine wissenschaftliche Publikation und Konrad Celtis einzuleiten. Sollte doch der lebendige Dialog als Mittel der Erkenntnis - ganz in humanistischer Tradition - eine allseits praktizierte Form sein.
Anmerkung:
[1] siehe etwa: Karl-Heinz Bohrer (Hrsg.), Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion, Frankfurt am Main 1983; Dieter Borchmeyer (Hrsg.), Wege des Mythos in der Moderne, München 1987
Edgar Bierende