Habbo Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg: Hamburger Edition 2001, 1120 S., ISBN 978-3-930908-73-8, EUR 50,00
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"Vergangenheitsbewältigung" ist nicht nur ein Dauerthema der aktuellen öffentlichen Diskussion, sondern begleitet und prägt die deutsche Nachkriegsgeschichte seit 1945. Trotz des ausufernden Schrifttums ist es um so verwunderlicher, dass eine wissenschaftliche Erforschung dieses Komplexes in seinen verschiedenen Aspekten noch nicht sehr weit gediehen ist. Mit der in den letzten Jahren intensivierten Forschung bietet sich jedoch ein immer facettenreicheres Bild. Einerseits löst sich die unproduktive Gegenüberstellung von Verdrängungsthese und Aufarbeitungsthese, von "zweiter Schuld" (Ralph Giordano) und "Legende von der 'zweiten Schuld'" (Manfred Kittel) zusehends auf. Andererseits werden, nachdem die personellen Säuberungen, die legislatorischen Entscheidungen und das justitielle Vorgehen im Mittelpunkt standen, andere Bereiche sowie andere Formen und Medien der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit thematisiert. Habbo Knochs Dissertation "Die Tat als Bild" betritt dabei zwar kein Neuland, unternimmt aber den Versuch, die Bedeutung der "Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur" umfassend zu untersuchen.
Der Autor betrachtet Fotografien explizit "nicht primär als Bildquelle", sondern will an ihnen "erinnerungskulturelle Ablagerungen von gesellschaftlichen Umgangsformen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus ablesen" (25), bietet also keine "historische Bildanalyse einzelner Fotografien, die in mehreren Schritten die genaue Herkunft und die Vielschichtigkeit des historischen Deutungspotentials einer Fotografie herausarbeiten müßte", und auch keine "Verwendungsgeschichte einzelner Fotografien" (29). Damit entgeht Knoch, wie er im Zuge seiner Argumentation eindrucksvoll unter Beweis stellt, einer Engführung, die die Begrenztheit und Spezifik der fotografischen Überlieferung zum alleinigen Kriterium historischer Urteile machen würde. Diese Kontextualisierung, die auf offizielle Gedenkveranstaltungen ebenso eingeht wie auf bildungspolitische Diskussionen, auf demoskopische Ergebnisse ebenso wie auf literarische Erzeugnisse, lässt seine Darstellung phasenweise zu einem umfassenden Abriss der westdeutschen "Vergangenheitsbewältigung" bis in die 1970er Jahre hinein werden.
Der Argumentation Knochs liegt die Überlegung zu Grunde, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit an der jeweiligen visuellen Repräsentation ablesen lässt: "Als mediale Objektivierungen historischen Geschehens sind die verwendeten Aufnahmen Indikatoren für Muster und Verschiebungen in Erinnerungskulturen" (25). Er unterstellt dabei die Existenz eines Bildhaushalts als "visuelles kollektives Gedächtnis der Tat in Deutschland" (16), dessen Veränderungen auf Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang insgesamt hindeuten. Die statische Metapher des Bildhaushalts bleibt aber vage, da in ihr die Prozesse der individuellen Wahrnehmung, der mentalen Verankerung im Individuum und der imaginativen Aktivierung nicht zur Anschauung kommen und die sozialen Differenzierungen nicht hinlänglich beschrieben werden können. Demgegenüber öffnet die Analyse von "Sagbarkeits- und Zeigbarkeitsregeln" (31) den Blick auf die Veränderungen im Umgang mit der fotografischen Überlieferung, wobei Knoch zusehends nur noch den für Fotografien nur bedingt geeigneten Begriff der Sagbarkeitsregeln verwendet. In diesem Zusammenhang erscheint es jedoch spekulativ, eine "Tiefenerinnerung", "in der auf individueller wie kollektiver Ebene traumatisierende, das Narrativ des Erzählens zerstörende Erlebnisse eingekapselt sind", und ein "Alltagsgedächtnis", "das versucht, die traumatische Zeit mit Repräsentationsformen in eine historische Kontinuität einzupassen" (20) gegeneinander zu stellen, verleitet dies doch dazu, das eigentliche Ereignis gegen seine medial vermittelte Darstellung auszuspielen. Erinnerungskultur konstituiert sich gerade durch seine "symbolischen" Formen und medialen Präsentationen und ist nur in ihnen greifbar.
Die materialreiche und differenzierte Analyse der Wandlungen in der Erinnerungskultur macht die außergewöhnliche Qualität des Buches aus. Knoch unterscheidet dabei vier Phasen, die er mit den Begriffen "Konfrontationen", "Bewältigungen", "Aufbrüche" und "Aufklärungen" überschreibt. Die "Konfrontationen" der alliierten Aufklärungscampagnen ordnet er dabei in weiter zurückreichende visuelle Traditionen ein. Einerseits kam es insbesondere im 20. Jahrhundert zu einer "Politisierung der toten und zerstörten Körper" (63), die propagandistischen Zwecken diente, andererseits knüpfte die nationalsozialistische Propaganda bei der gezielten Visualisierung von Konzentrationslagern an die Darstellung von Kriegsgefangenlagern an. Als 1945 die Deutschen mit den Bildern aus den befreiten Lagern konfrontiert wurden, traf sie dies nicht vollends unvorbereitet, aktivierte aber verschiedene Strategien von "Bewältigungen".
Knoch widerspricht zu Recht der These des Schweigens über die nationalsozialistische Vergangenheit. Vielmehr geht er davon aus, dass "die beredte Schaffung eigener Opferbilder, bemühte Abgrenzungen gegenüber den Verbrechen, offensive Bezugnahmen, implizite Aufrechungen und erste Erinnerungsversuche" vornehmlich dem Zweck der "Selbstrechtfertigung" dienten (423). Auch wenn er in solchen Formulierungen über die deskriptive Analyse hinausgeht und die normative Vorstellung einer als richtig erachteten Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit durchscheint, entgeht Knoch zumeist der Gefahr politisch-moralischer Verdikte.
Mit dem Ende der "visuellen Amnesie" Mitte der 1950er Jahre datiert Knoch auch den Beginn einer Phase der "Aufbrüche", die dann im folgenden Jahrzehnt in eine Phase der "Aufklärungen" übergegangen sei. Allerdings ist gerade dann, wenn man mit der Metapher des im kollektiven Gedächtnis verankerten Bildhaushalts argumentiert, fraglich, ob nach der Phase der "Konfrontationen" die gesehenen Bilder überhaupt "vergessen" werden konnten. Für die abnehmende öffentliche Präsentation zu dieser Zeit können ganz praktische Gründe ausschlaggebend gewesen sein. Seit den späten 1950er Jahren nahm, so Knoch, die visuelle Präsenz der NS-Verbrechen zu, was an der intensiveren Verwendung von Fotografien in Zeitungen und Zeitschriften sowie in Schulbüchern ebenso ablesbar ist wie an Bildbänden, Ausstellungen und Filmen.
Dabei kann der Autor zum einen zeigen, wie sich zusehends das Täterbild änderte (550-584, 641-685). Neben den dämonisierten sadistischen Exzesstäter traten der "distanzierter Vollstrecker" und der "biederer Bürokrat". Dies erlaubte die Isolation der nationalsozialistischen Täter von der deutschen Gesellschaft, was aber in den 1960er Jahren zusehends fragwürdig wurde. Der Weg zur systematischen Ermordung der Juden wurde zudem in eine gleichsam zwangläufig erscheinende innere Logik eingepasst, die mit Diskriminierungen begann und in der Massenvernichtung endete. Schließlich wurden die Konzentrationslager und insbesondere Auschwitz zum "Symbol" der NS-Verbrechen. Damit entstand erst die gesellschaftliche Vorstellung eines zeitenthobenen Zivilisationsbruches, die später mit dem Begriff "Holocaust" bezeichnet wurde und die Knoch seiner Darstellung zugrundelegt. Während der Titel "Fotografien des Holocaust" einen Bezug zur systematischen Ermordung der europäischen Juden nahe legt, geht der Autor von einem "offenen Begriff der NS-Verbrechen" aus: "Darunter werden alle Gewalttaten gefaßt, die während der NS-Zeit von deutscher Seite als politisch oder rassistisch motivierte Verfolgungen und während des Krieges als verbrecherische Handlungen begangen wurden" (29). Die nicht nur im Titel begegnende pauschale Apostrophierung als "die Tat" unterstellt aber ein objektiv darstell- und aufklärbares Ereignis, das der systematische Judenmord auf Grund seiner Komplexität nicht ist und angesichts der medial vermittelten öffentlichen Präsenz nicht sein kann. Dementsprechend neigt Knoch am Ende dann doch zu einer normativen Bewertung, wenn er die "lange Dauer des Unsagbaren" kritisch anmerkt: "Erst die wachsende Bereitschaft, sich dem privaten Blick auf die Gewalt zuzuwenden, wie ihn auch die Soldatenfotografien des Vernichtungskriegs dokumentieren, haben dies lange Dauer des Unsagbaren aufgebrochen, die in der Tat als Bild im medialen Gedächtnis der Bundesrepublik konserviert war" (947).
Problematisch trotz der Fülle des Materials, der klugen Argumentation und der differenzierten Urteile bleibt allerdings der Verzicht auf die quellenkritische Erschließung des Bildmaterials. In der Zusammenfassung gibt Knoch erhellende Hinweise zur Überlieferungsgeschichte (925-929) und versucht eine Ordnung des Materials in "quer zu den Bildmotiven" liegende "ikonographische Figuren", die im Anhang dokumentiert sind (934-939, 951-960). Dabei wird deutlich, dass sowohl vom Umfang der Aufnahmen und deren Verfügbarkeit als auch von der fotografischen Präsentation der Sujets der Visualisierung der NS-Verbrechen a priori Grenzen gesetzt waren. Da Fotografien dadurch, dass sie nur eine Momentaufnahme darstellen beziehungsweise darstellen können und insofern ahistorisch und anti-narrativ sind, wird ihre Wahrnehmung, wie Knoch zurecht feststellt, durch Layout-Entscheidungen, durch Bildunterschriften und andere Text-Bild-Kombinationen gesteuert. Eine Auseinandersetzung mit Fotografien als Fotografien müsste jedoch deren medienspezifische Struktur in den Mittelpunkt stellen. Es dürfte der Bildbegriff, wie es Knoch mitunter tut, nicht pauschal für Fotografien, für Filme (518-527), für individuelle Erinnerungen (20f.), für künstlerische Darstellungen (259f., 345), für literarische Vergegenwärtigungen (410f.) und für rhetorische Imaginationen (481) gleichermaßen verwendet werden; es müsste vielmehr die Verwendung von Fotografien an einem vermutlich eng begrenzten Untersuchungsfeld analysiert werden. Möglicherweise würde sich dann herausstellen, was Knoch auch andeutet (928), dass die Verwendung bestimmter Fotos etwa in Schulbüchern mehr der Bestückung des verlagsinternen Archivs als der Veränderung kollektiver Bildhaushalte geschuldet ist. Knoch hingegen kommt es auf die narrativen Kodierungen der Erinnerungskultur an, die per se nicht über fotografische Momentaufnahmen, sondern nur über die Analyse zumeist schriftlich überlieferter gesellschaftlicher Diskussionen erschließbar sind. Die Bedeutung von Fotografien für und deren Einbindung in diese öffentlichen Selbstverständigungsprozesse gezeigt sowie materialreich und differenziert beschrieben zu haben, ist ein unbestreitbarer Verdienst von Knochs Darstellung.
Ulrich Baumgärtner