Kunstgeschichtliches Institut der Universität Frankfurt/M. (Hg.): Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten. Proemio, Leonardo, Giorgione, Corregio. Wissenschaftliche Leitung: Alessandro Nova, übers. v. Sabine Feser und Victoria Lorini, Hildesheim: Olms 2001, CD-ROM, ISBN 978-3-487-11384-5, EUR 75,00
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Methodische Standards einer Wissenschaft spiegeln sich auch im Umgang mit Quellenschriften und deren Übersetzungen: So ist es einigermaßen überraschend, dass man sich bei einer der zentralen kunsttheoretischen Schriften der Kunstgeschichte, Vasaris Viten, im wesentlichen seit über 150 Jahren mit einer - im Reprint wiederaufgelegten - deutschen Übersetzung von Ludwig Schorn und Ernst Förster von 1832-49 begnügte, die in wichtigen Punkten den modernen Ansprüchen einer philologischen Quellenexegese und einer konsequenten Übersetzung der historischen Terminologie kaum mehr genügen kann: In dieser alten Ausgabe fehlen gerade die wichtigen systematischen Vorüberlegungen aus der Einleitung, die auch im Reprint von 1983 von Julian Kliemann nur auszugsweise nachgetragen wurden. [1] Die Filiation zwischen den beiden Ausgaben von 1550 und 1568 wurde nur am Rande berücksichtigt, der Text der Ausgabe von 1550 ist bis heute unübersetzt. Terminologische Ungenauigkeiten und Fehler sind im deutschen Text von Schorn und Förster zahlreich zu finden.
Nun mag man einwenden, dass Fachleute Vasaris Viten ohnehin im italienischen Originaltext und in den diesbezüglich verfügbaren, sorgfältigen textkritischen Ausgaben lesen. [2] Dieser Einwand geht freilich insofern an der heutigen Realität vorbei, als selbst in seriösen wissenschaftlichen Publikationen wenigstens zweisprachige Zitate üblich geworden sind, ganz zu schweigen von der universitären Realität des reduzierten studentischen Eigenstudiums dieser Quellen in Originalsprachen. So macht das unter der wissenschaftlichen Leitung von Alessandro Nova am Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main unternommene Pilotprojekt einer exemplarischen Neuübersetzung der Lebensläufe dreier Protagonisten der Renaissancemalerei einschließlich des diesbezüglichen Vorworts neugierig. Die Beschränkung auf die Viten Leonardos, Giorgiones und Correggios samt des zugehörigen Proemio lässt sich aus der von Vasari im Vorwort selbst entworfenen historiografischen Konstellation dieser Maler als Protagonisten der Maniera Moderna begründen, auch wenn damit nur ein schmerzlich kleines Fragment der Viten betrachtet wird. Dass sich diese Publikation ausdrücklich an einen "im Umgang mit Vasari bisher unerfahrenen Leser" richtet, hindert nicht, sie im folgenden an wissenschaftlichen Maßstäben zu messen.
Als CD-Rom-Publikation im Georg-Olms Verlag erschienen, präsentiert diese Ausgabe den Text der Viten jeweils im italienischen Original und in deutscher Übersetzung, einmal nach der Ausgabe von 1550, einmal nach der Ausgabe von 1568, sowie einmal in einer integrierten Textversion beider Ausgaben, in der die textlichen Differenzen farbig hervorgehoben sind. Knappe einführende Texte geben Hinweise zur Biografie Vasaris, zur Struktur der Viten, zu den rhetorischen Strategien und den Quellen Vasaris. Obwohl viele Fragen, wie zum Beispiel die jüngst vorgebrachte Vermutung Charles Hopes, dass Pierfrancesco Giambullari die einleitenden Passagen der Viten verfasst haben könnte, nur mit kurzen Hinweisen bedacht werden, gelangt der Leser über die informative Einführung und den angenehm knapp gehaltenen Anmerkungsapparat zügig auf den aktuellen Diskussionsstand. [3]
Ein besonderes Anliegen der Edition ist es, Vasaris Text auf seine terminologischen und rhetorischen Subtexte und Strukturen hin transparent zu machen, ein Aspekt, der seit Michael Baxandalls wegweisenden Studien zur historisch-kritischen Erforschung der Bedeutung der Terminologie fest im kunsthistorischen Methodenkanon verankert ist. [4] Entsprechend gibt ein Glossar einen Einstieg zu 51 kunsttheoretischen Leitbegriffen aus Vasaris Viten und erläutert damit wichtige begriffliche Knotenpunkte der ästhetischen Argumentation Vasaris. Es handelt sich um knappe Erläuterungen mit einzelnen weiterführenden Quellenbelegen. Eine ausführliche historisch-diachrone Analyse der Begriffsgeschichte dieser kunsttheoretischen Termini, wie sie etwa in den Artikeln der - jüngst publizierten - ersten Bände der "Ästhetischen Grundbegriffe" vielfach vorbildlich vorgelegt worden ist, ist hier nicht zu erwarten. [5] So können auch die weitreichenden Verbindungen und Überlagerungen der einzelnen Begriffe zumeist lediglich durch Querverweise angedeutet werden.
Dies führt zur zentralen Frage einer Neuedition, der Frage nach der Qualität der deutschen Übersetzung (bearbeitet von Sabine Feser und Victoria Lorini). Es lohnt dabei, mit der Schorn/Försterschen Übertragung zu vergleichen. In ihrer sprachstilistischen Eleganz und im sprachlichen Fluss bleibt die Übersetzung des 19. Jahrhunderts überwiegend unerreicht. So übersetzen Schorn und Förster zum Beispiel eine zentrale Charakterisierung Raphaels im Proemio: "Er besiegte die Natur im Spiel der Farben und seine Erfindsamkeit war so fruchtbar und eigenthümlich, dass seine Malereien gleich einer lesbaren Schrift erscheinen, wie jeder gewahr wird, der sie betrachtet". [6] In der Neuübersetzung heißt es demgegenüber "Sogar die Natur wurde von seinen Farben besiegt und seine Erfindungsgabe war so ungezwungen und originell, wie wohl jeder urteilen wird, der seine gemalten Geschichten sieht. Sie gleichen Geschriebenem [...]" (Proemio, Absatz 21).
Dass die gute Lesbarkeit bei Schorn/Förster nicht selten mit terminologischen Ungenauigkeiten im Detail erkauft ist, die die Neuübersetzung um den Preis einer partiell größeren sprachlichen Sprödigkeit zu vermeiden versucht, wird zum Beispiel an der Übersetzung von Vasaris zentraler historiografischer Bewertung der "terza maniera" im Terminus technicus der Maniera Moderna deutlich: Während es bei Schorn/Förster allgemein heißt, dass mit Leonardo "die dritte Manier, welche wir die neuere nennen wollen" begann (XII), wird in der Neuübersetzung präziser formuliert, dass Leonardo "diesem dritten Stil den Anstoß gab - den wir den modernen nennen wollen" (Proemio, Absatz 18). Allerdings zeigt die Tatsache, dass hier "maniera" mit "Stil" übersetzt wird und damit die bedeutende begriffsgeschichtliche Differenz zwischen diesen beiden Termini eingeebnet ist und nur noch über den Glossar erkennbar wird, dass auch die Neuübersetzung mit sprachlichen Kompromissen arbeitet. Vielfach aber gewinnt der Text in der Neuübersetzung im Vergleich zu Schorn/Förster an Klarheit. Eine bei Schorn/Förster kryptisch werdende Ausführung zu den Malern der "zweiten Periode", "der Regel fehlte eine gewisse Freiheit, die, ohne Regel zu sein, durch die Regel geordnet ist und bestehen kann ohne Verwirrung zu veranlassen und die Ordnung zu verderben" (VIII-IX), lichtet in der Neuübersetzung ihren Sinn: "da es ihnen noch an einer gewissen Freiheit in der Regel mangelt, die - obwohl außerhalb der Regeln stehend - doch von ihnen gelenkt wird, und die bestehen kann, ohne die Ordnung durcheinander zu bringen oder zu beschädigen" (Proemio, Absatz 8).
Ein Grundproblem einer angemessenen Übersetzung der historischen Terminologie liegt dabei darin, dass Vasari ja keineswegs seine Darstellung aus einem festen Gerüst vorgegebener Termini ableitete, sondern gerade mit Blick auf die Maniera Moderna eine Reihe Begriffe verwendete, deren ästhetik- und begriffsgeschichtliche Kanonisierung sich erst mit der Zeit abzeichnete. Kunsttheoretische Kategorien und Termini wie "colorito", "sfumato" oder die bedeutende Vorstellung der "unione de' colori" durchziehen Vasaris sprachliches Gewebe in sehr variabler und differenzierter Gestalt, die für eine Übersetzung leicht zum Problem werden kann: So wird aus der Feststellung Vasaris, Giorgione "sfumò le suo pitture", bei Schorn/Förster "sehr duftig malte" und "wohlangebrachte Schatten" (XIII), die Neuübersetzung spricht nicht weniger missverständlich von "weich ineinander übergehenden Farbtönen" (Proemio, Absatz 19). Die neuartige Kategorie der "unione de' colori" kommt in beiden Übersetzungen nicht zur Geltung, indem sie bei Schorn/Förster in der Sache richtig, aber terminologisch irreführend mit "Kolorit" (VIII), in der Neuübersetzung zum Beispiel mit "Abstimmung der Farben" übersetzt wird (Proemio, Absatz 7). [7]
Diese exemplarischen Hinweise zeigen, dass eine weiterführende Neuübersetzung der Viten noch schärfer die Problematiken der Übersetzung mit Blick auf die Respektierung der historischen Terminologie Vasaris vor dem Hintergrund ihrer begriffsgeschichtlichen Entwicklung ins Auge fassen müsste. Zweifellos sind diese Schwierigkeiten aber auch als Beleg für den literarischen Rang der Viten zu verstehen, denn Vasaris informationsgesättigte Prosa ist - was immer man gegen Vasaris Zuverlässigkeit ins Felde geführt hat - in ihrer sprachlichen Eleganz und Einfachheit nicht ohne weiteres zu übersetzen.
Auch wenn niemand behaupten wird, dass es eine reine Freude ist, ganze Bücher oder gar mehrbändige Werke am Bildschirm zu lesen, so ist neidlos zuzugestehen, dass diese CD-Rom wichtige Vorteile ihres Mediums ausspielt: Neben den neuen Möglichkeiten einer synoptischen Verschränkung der verschiedenen Editions- und Kommentarteile, wartet die CD-Rom mit umfänglichem Bildmaterial auf, das die Textpartien illustriert. Vor allem aber nimmt man die Möglichkeiten einer Volltextrecherche dankbar als zeitgemäße Erschließungsmethode dieses umfangreichen Quellentextes wahr. Bleibt ein Wermutstropfen: Sie macht Appetit auf mehr, den sie naturgemäß in der Darstellung von drei Viten samt Proemio nicht befriedigen kann.
Anmerkungen:
[1] Ludwig Schorn; Ernst Förster (Hg.): Giorgio Vasari. Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister von Cimabue bis zum Jahre 1567, Stuttgart/Tübingen 1832-49. Das 1904-27 in Straßburg verlegte Neuarrangement der Viten Vasaris in deutscher Übersetzung von Adolf Gottschewski und Georg Gronau konnte sich nicht durchsetzen. Teilübersetzungen der Viten existieren von Ernst Jaffé, Herbert Siebenhüner und Trude Fein; Julian Kliemann (Hg.): Giorgio Vasari. Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister von Cimabue bis zum Jahre 1567, (Neuausgabe der Schorn/Förster-Edition von 1832-49), Worms 1983, 6 Bde.
[2] Rosanna Bettarini; Paola Barocchi (Hg.): G. Vasari. Le vite de' più eccellenti pittori, scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, Florenz 1966-87, 6 Bde. Luigi Grassi; Giovanni Previtali et al. (Hg.): Giorgio Vasari. Le vite de' più eccellenti pittori, scultori et architettori, Mailand, 1962-69, 9 Bde. Gaetano Milanesi (Hg.): Le opere di Giorgio Vasari, Florenz (1906) 1973, 9 Bde.
[3] Charles Hope: Can you trust Vasari?, in: The New York Review of Books, 5. Okt. 1995, 10-13
[4] Michael Baxandall: Giotto and the Orators.Humanist Observers of Painting in Italy and the Discovery of Pictorial Composition 1350-1450, Oxford 1971. Ders.: Painting and Experience in Fifteenth-Century Italy Oxford 1972
[5] Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hg. von Karlheinz Barck u. a., Stuttgart-Weimar, 2000ff.
[6] Alle folgenden Zitate von Schorn/Förster nach J. Kliemann (Hg.): Giorgio Vasari. Leben der ausgezeichnetsten Maler..., a. a. O., Bd. III/1, XIII.
[7] Siehe hierzu weiterführend Christoph Wagner: Kolorit/farbig, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 3: Harmonie - Material, Stuttgart-Weimar, 2001, 305-332
Christoph Wagner