Hans Holländer (Hg.): Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2000, 1003 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7861-2335-4, EUR 264,00
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Die Beiträge dieses Buches behandeln unter verschiedenen Perspektiven neuzeitliche Bilder zur Naturwissenschaft und Technik, die "die Welt, die Maschinen, die Hypothesen über den Zusammenhang und die Ordnung der Dinge" (9), also im weitesten Sinne die Naturerkenntnis, den dafür und dadurch geweckten Erfindungsgeist sowie die Konstruktion von Universalvorstellungen repräsentieren sollten.
Mit 'Repräsentation' ist hier nicht lediglich die rein anschauliche Darstellung gemeint, denn erklärter Anspruch des Projektes ist es, "die Bilder aus ihrem Status der Gelegenheitsillustration zu befreien und ihren Kontext zu ermitteln und darzustellen" (14). Sie werden als Medien befragt, die Gedanken und Innovationen formulierten, selbst eine Rolle in Naturerkenntnis und technischer Erfindung spielten und diese begleiteten, erläuterten, rechtfertigten.
Dieser Leitgedanke rechnet mit zwei wohl bekannten Missständen in der Wissenschafts- und Kunstgeschichte ab: Erstens, dass in der Geschichte der einzelnen Wissenschaften Bilder meist nur als optisches Beiwerk verwendet, selten kommentiert oder interpretiert, oft unvollständig auf Herkunftsnachweise hin untersucht, kaum also in ihrer Bedeutung für die historischen Veränderungen der jeweiligen Naturwissenschaft analysiert werden. Zweitens, dass naturwissenschaftliche und technische Darstellungen der Neuzeit nur sehr selten als kunsthistorisch interessante Objekte behandelt wurden, und dann nur wenn sie "sich auch einwandfrei als 'ästhetische Gegenstände' dem Erwartungshorizont der Kunstgeschichte einfügen ließen" (9).
Bereits die Feststellung dieser 'Betriebsblindheit' auf beiden Seiten der disziplinären Barrikade liefert genügend Anlass dafür, eine methodisch wie sachlich kritische, differenzierte Bildgeschichte in Angriff zu nehmen. Hans Holländer, erfahren in den Grenzgebieten von Kunstgeschichte, Literatur- und Naturwissenschaften, wagte dieses "notwendige Unternehmen" (9), das nicht nur die Anwendung kunsthistorischer, sondern auch die Beherrschung wissenschaftsgeschichtlicher Sach- und Literaturkenntnisse, sowie die Koordination beider Aspekte verlangte.
Im Titel erscheint das Wort 'Ikonographie' programmatisch nicht, denn der Begriff genügt in seinem gängigen Verständnis der methodischen Ausrichtung dieses Projektes kaum. So will man Ikonographie nicht als eine "von vorne herein festgelegte Methode" verstehen, sondern als "Problemfeld, das durch die nahe liegende Frage nach der Bedeutung von Bildern zusammengehalten wird" (10). In dieser Frage führt bei Wissenschafts- und Technikdarstellungen die Bestimmung des Bildgegenstandes allein nicht weiter, entscheidend ist vielmehr auch die Entzifferung der Inszenierung, der eingesetzten Mittel und der Funktion des Bildes. Etwaige literarische Quellen müssen mit Blick auf die zeitgenössische Wertung der bildlichen Repräsentation des wissenschaftlichen Textes und auf die Differenzen zwischen Text und dessen - zum Teil aus künstlerischen Prämissen heraus interpretierendem - bildlichem Konterfei befragt werden.
Viele Wissenschafts- und Technikdarstellungen besitzen oft keine Bild- und Texttraditionen, die Grundlagen für eine konventionell-ikonographische Analyse anbieten. Sicher, da jede Innovation der Existenzberechtigung bedarf, berief sich die Legitimationsrhetorik neuzeitlicher Wissenschaften ständig bildhaft in Titelblättern und Frontispizen auf antike Präzedenzfälle. Doch die Bilder mussten fortwährend aufkommenden Neuerungen angepasst, oder für neue Gedanken erfunden werden, sie hatten durch die Fortschritte in der empirischen wie der theoretischen Naturforschung und Technik neue Aufgaben, auf die die Künstler mit "eigenen Innovationen und artistischen [sic!] Neuerungen" (12) antworten mussten. So wird man zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert mit einer vielschichtigen 'Innovationsikonographie' konfrontiert. Mit diesem bisher nicht verwendeten Begriff glauben die Autoren am besten das "beständige Wechselspiel von Challenge and Response" (11) beschreiben zu können, das die künstlerische Produktion für Wissenschaft und Technik kennzeichnete.
Es ist sicherlich ein methodischer Zugewinn, dass damit ein spezielles Instrument für bisher nicht ernsthaft oder polarisiert berücksichtigte, spezifische Territorien der Bildkultur etabliert wird, das deren Kartierung auch anhand kulturhistorischer und disziplinübergreifender Verflechtungen vornimmt. Insofern wird dieses "interdisziplinäre Unternehmen" seinem Anspruch durchaus gerecht, der darin bestand, "Beziehungen zwischen Wissensrevieren ..., die heute durch Fachgrenzen abgesichert erscheinen, früher aber eng ... beisammen waren" (7), herzustellen.
Das Projekt begeht einen schmalen Grat zwischen konventionell-kunsthistorischem und wissenschaftshistorischem, kulturgeschichtlichem und objektgeschichtlichem Anspruch im Sinne eines George Kubler oder Krzysztof Pomian. Eine Balance dieser Positionen konnte angesichts der Stoffmasse und der methodischen Reibungsflächen nur durch die gewählte Struktur der Aufsatzsammlung gehalten werden. Die in diesem Fall sinnvoll gesteuerte Erörterung von Mikrogeschichten ermöglicht durchaus das induktive Erschließen einer historischen Gesamtperspektive.
Schade deshalb, dass das Buch wegen des stolzen Preises (€ 264,-) nur Fachbibliotheken vorbehalten bleiben wird.
Die Einzelstudien sind in sieben thematische Blöcke unterteilt:
Das zentrale Problemfeld der systematischen und enzyklopädischen Ordnung der alten und neuen Erkenntnisse wird in den ersten zwei Abteilungen behandelt, "Die Organisation des Wissens" (Jutta Bacher: Die artes liberales, 19; dieselbe: Artes mechanicae, 35; Andreas Gormans: Imaginationen des Unsichtbaren. Zur Gattungstheorie des wissenschaftlichen Diagramms, 51; Frank Pohle: Universalwissenschaft, 73; Claudia Valter: Akademien der Wissenschaften, 121; Carola Schneider: Bibliotheken als Ordnung des Wissens (16. - 18. Jahrhundert), 143; Barbara Holländer: Die enzyklopädische Ordnung des Wissens in bildlichen Darstellungen, 163), und "Die Systematisierung der Dinge" (Claudia Valter: Wissenschaft in Kunst- und Wunderkammern, 183; Christiane Mannheim: Edelsteine und Mineralien, 197; Hans-Jürgen Lechtreck: "Den früheren Blick wieder zu finden". Das Pflanzenbild zwischen botanischer Illustration und ästhetischer Botanik, 223).
Dabei hat man bewusst vermieden, von der gegenwärtigen Einteilung der Künste und Wissenschaften auszugehen, und vielmehr entgegen gängiger kunst- und wissenschaftshistorischer Ansätze versucht, die neuzeitliche Vorstellung von Wissenschaft zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Es wird sichtbar, wie während der gesamten Neuzeit verschiedene Ordnungssysteme gleichzeitig verfügbar waren. Die Hierarchien der alten Einteilung von Artes liberales und Artes mechanicae blieben lange neben dem universalwissenschaftlichen und enzyklopädischen Anspruch bestehen. Die Grenzen zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst waren bis zum 18. Jahrhundert unscharf, Bild- und Kunstbegriff vermengten sich mit Form und Funktion technischer Erfindungen, die durchaus als ästhetische Gegenstände angesehen wurden. Die Perspektiven überlagern sich also in dieser Zeit, was in der Organisation der Akademien und Bibliotheken, am stärksten aber in den Kunst- und Wunderkammern deutlich wird, wo "alle Kenntnisse der Welt und alle menschliche Künste und Wissenschaften durch Dinge und Artefakte präsent sein sollten, [...] jedes Objekt [...] ein Abbild des imaginären Ganzen" (12).
Die mittleren vier Bereiche sind der Vermessung und Beobachtung der physischen Welt gewidmet: "Mathematik und Mathesis universalis" (Jutta Göricke: Greifbare Vernunft. Zur Ikonographie mathematischer Instrumente, 257; dieselbe: Mathematische Wissenschaften, 297; Hans Holländer: Spielformen der Mathesis universalis, 325; derselbe: Mathematisch-mechanische Capriccios, 347), "Kosmos und Mundus subterraneus" (Heinz Herbert Mann: Optische Instrumente, 357; Sabine Krifka: Zur Ikonographie der Astronomie, 409; Elisabeth Heitzer: Kometen, 449; Dirk Tölke: Polarlichter, 463; Hans Holländer: Mundus subterraneus, das Sublime und das Labyrinth der Zeit, 483), "Faszination der Technik" (Jutta Bacher: Das Theatrum machinarum, 509; dieselbe: "Ingenium vires superat, 519; Thomas Fusenig: Räderuhren, 557; Hans Holländer: Maschinen- und Labyrinthmetaphern als Topoi neuzeitlicher Weltbeschreibung, 577; Gregor Wessels: Manierismen der technischen Zeichnung, 587) und "Technische Innovation und empirische Forschung" (Carola Schneider: Der Buchdruck und die Wissenschaften, 619; Hans Holländer: Kommentare und Notizen zur Bildgeschichte des Bergbaus, 643; Carola Schneider: Die Gußtechnik, 673; Anna Steins: Es ergetzet und verletzet, 689; Nils Meyer: Darstellungen des Festungsbaues vom 16. bis 18. Jahrhundert, 705; Sabine Krifka: Zur Konstruktion der Natur in wissenschaftlichen Experimenten, 725; dieselbe: Das Labor - Ort des Experimentes, 755; dieselbe: Schauexperiment - Wissenschaft als belehrendes Spektakel, 773; Barbara Holländer: Technik und Arbeit in den Tafelbändern der Encyclopédie, 789; Sabine Krifka: Die Industrie und ihre Rezeption in den Bildkünsten des 19. Jahrhunderts, 807).
Mechanik und Optik bleiben in der gesamten Neuzeit Leitwissenschaften von Konstruktion, Abbildung und Erfindung, sowie die Astronomie ein Grundmodell der Welterkenntnis bleibt. Diese Wissenschaften profitieren von den neuen Messinstrumenten und kurbeln zugleich deren Produktion an. Bei der Untersuchung wurde es daher als zweckmäßig erachtet, eine "gewisse Bündelung der Perspektiven im Bereich der mathematischen, mechanischen und physikalischen Innovationen und ihrer Bilder" (13) vorzunehmen. Dennoch werden auch die Darstellungen weniger mathematischer, aber bahnbrechender technischer Verfahren (Buchdruck und Gusstechnik) berücksichtigt, wie auch die informationshistorisch wichtigen bildlichen Überlieferungsmethoden der Bergbautechnik. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk den Werkstätten und Laboratorien, in denen Erneuerung und Erfindung faktisch umgesetzt wurden. Da die bildliche Beschreibung und Deutung von Naturphänomenen (meteorologischen Phänomenen, Geologie, Paläontologie) kunst- und wissenschaftshistorisch gut erschlossen ist, wird sie weitgehend ausgelassen, um lediglich wenig studierte Bilder über Nordlichter, Kometen und Höhlen in ihren Varianten und Bedeutungen zu berücksichtigen.
Zum Abschluss bekommen die Innovationen ein Gesicht. Im Abschnitt "Das Bild des Gelehrten" (Claudia Valter: Gelehrte Gesellschaft, 833; Sebastian Giesen: Faust, 861) werden Porträts von Wissenschaftlern und ihren 'Künsten' der semi-mythischen Interpretation der Gelehrtengestalt (Faust) gegenübergestellt, und zeigen den Wandel im sozialen Stellenwert der Wissenschaft.
Vier Jahre lang, mit drei von der DFG finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeitern und unter Einsatz mehrerer AssistentInnen hat Hans Holländer an der Umsetzung einer Forschungsvision gearbeitet, die bei aller Opulenz des Resultates keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit stellt, sondern "eine vernünftige Basis für weitere Forschungen" (7) schaffen wollte. Dies ist prinzipiell gelungen. Es ist daher um so notwendiger, dass zukünftige trans- und interdisziplinäre Fragestellungen dieser Art von der Fachwelt als zentrale thematische und methodische Aufgabe der Bildwissenschaft ernst genommen werden.
Erna Fiorentini