Von Nadine Rossol und Benjamin Ziemann
Die Rezension unseres Handbuchs der Weimarer Republik durch Desiderius Meier erhält eine Reihe von Widersprüchen und Übertreibungen und geht auf weite Teile unseres Bandes nicht ein. Dazu wollen wir kurz Stellung nehmen. So behauptet der Rezensent, Leser und Leserinnen unseres Handbuchs würden "nichts" über die "Dauerkrise der Großen Koalition" seit 1928 erfahren. Der "Übergang zum präsidialen Regieren" im Frühjahr 1930 bleibe so "unverständlich". Ob sich wirklich von einer "Dauerkrise" der Großen Koalition sprechen lässt, scheint angesichts ihrer substanziellen außenpolitischen Erfolge - Neuregelung der Reparationen im Young-Plan, Räumung der zweiten und dritten Rheinlandzone sowie die aktive Teilhabe an der Vorbereitung des Briand-Kellogg-Pakts zur Kriegsächtung 1928 - fraglich. Der Übergang zum Kabinett Brüning wird im Übrigen durch Larry Eugene Jones präzise geschildert (S. 121f.).
Der Rezensent reißt unsere Kritik daran, dass der politische Föderalismus und regionale Strukturen "selten im Detail behandelt werden", aus dem Zusammenhang. Wir beziehen uns dort ausdrücklich auf die "vorliegenden Gesamtdarstellungen" und überblicksartigen Sammelbände zur Epoche (S. 29), und nicht, wie der Rezensent behauptet, auf die dazu vorliegenden Forschungsmonografien. Der Rezensent lobt erst das Kapitel von Nadine Rossol über republikanische Gruppen und Identitäten, "vermisst" dann aber trotzdem eine eingehende Behandlung der "Erfolge der Republik und ihrer Repräsentanten". Genau diese sind aber ein wichtiger Teil des zuvor gelobten Kapitels. Der Rezensent findet, das Kapitel von Philipp Müller über die liberalen Parteien akzentuiere einseitig deren - mit Blick auf die Wählerstimmen kaum zu übersehenden - "Verfall". Ganz im Gegenteil hebt Müller leitmotivisch hervor, dass es "in vielen Bereichen eine Erneuerung des Liberalismus" gegeben habe (S. 368). Ökonomische Entwicklungen werden nicht nur in dem Kapitel von Jan-Otmar Hesse und Christian Marx zu Industrie und Dienstleistungssektor "eigens thematisiert", sondern auch in den Kapiteln zur Inflation (S. 66-88) und zur Landwirtschaft, dort vor allem im Abschnitt zur "Ökonomie des Agrarsektors" (S. 568-575).
Der Rezensent notiert eine Reihe von sachlichen Fehlern. Diese sind ebenso ärgerlich wie bei einem Band von knapp 1.000 Seiten praktisch unvermeidlich. Dabei handelt es sich zum Teil allerdings um Formulierungsfragen. Ist es für das Verständnis der Revolution entscheidend, dass Scheidemann und Liebknecht jeweils die Republik im Abstand von zwei Stunden proklamierten, und nicht exakt "zeitgleich"? (S. 45) In der Forschung unbestritten ist, dass DNVP und Zentrum von der Einführung des Frauenwahlrechts in hohem Maße überproportional profitierten. Somit bleiben sechs Fehler übrig, und keineswegs "zahllose", wie der Rezensent moniert.
Aus Sicht des Rezensenten sind es die "typischen Schwächen" der programmatisch etwa von Thomas Mergel vertretenen "politischen Kulturgeschichte", die den Wert unseres Handbuchs mindern, obwohl er zunächst betont, dass dieser Ansatz die Forschung zu Weimar "enorm bereichert" hat. Gerade der Beitrag von Thomas Mergel zu Wahlen und Wahlkämpfen wird vom Rezensenten dann als "ertragreich" gelobt. Diese Kritik ist in sich widersprüchlich. Im Übrigen ist dem Rezensenten offenbar entgangen, dass eine Reihe von Kapiteln eher eine - um diese problematische Metapher zu verwenden - 'harte', auf Strukturen und Entscheidungen fokussierte Politikgeschichte vorlegen, so etwa die Abschnitte zur Außenpolitik, Sozialpolitik und zur Reichswehr. Die Themen und Argumente in den Abschnitten zu Gesellschaft und Kultur - und damit 15 der 32 Kapitel unseres Handbuchs - werden in der Rezension gar nicht diskutiert. Wir verstehen natürlich, dass nicht jedes Kapitel besprochen werden kann, aber eine ausgewogene Rezension, die dem Inhalt eines fast 1.000 Seiten langen Handbuchs gerecht wird, sieht nach unserer Meinung anders aus.
Von Desiderius Meier
Nadine Rossol und Benjamin Ziemann scheinen meine Rezension als grundsätzliche, wenngleich verklausulierte und darum "widersprüchliche" Kritik an der politischen Kulturgeschichte auszulegen. Dieses Missverständnis möchte ich ausräumen. An dem immensen Erkenntnisgewinn, den der Forschungstrend hervorgebracht hat, kann kein Zweifel bestehen. Meine dahingehenden Bemerkungen bezweckten kein rhetorisches Zugeständnis. Die von mir benannten Defizite halte ich für ein - allerdings hartnäckiges - Problem der historiographischen Praxis. Zum einen müssen neue Ansätze, Perspektiven und Untersuchungsgegenstände nicht dazu führen, dass ältere Forschungsergebnisse vernachlässigt oder Sachverhalte fehlerhaft dargestellt werden. Zum anderen dominiert in manchen Bereichen noch immer die ältere, teleologisch auf den Untergang der Republik ausgerichtete Interpretation der Weimarer Geschichte. Das betrifft in Teilen auch das besprochene Buch, das mir im Sinne der jüngeren Weimar-Forschung also nicht weit genug geht.
Der Abschnitt "Parteien und Parteimilieus" vermittelt - im Großen und Ganzen - das Bild der "Republik ohne Republikaner". Von fünf Kapiteln widmen sich zweieinhalb der extremen Rechten, nur ein Kapitel, das zum Liberalismus, behandelt keine antidemokratische Partei. Dort beginnt und endet die Darstellung mit einem DVP-Politiker aus der (bestenfalls) zweiten Reihe, der im März 1933 Sympathie für die NSDAP zum Ausdruck brachte; die übrigen Ausführungen, soweit sie sich dem organisierten Liberalismus widmen, folgen dieser nicht falschen, aber sehr einseitigen Perspektive. Der Abschnitt steht somit im Kontrast zu den Beiträgen von Rossol, Mergel und anderen: "in sich widersprüchlich" ist das Buch selbst, nicht die Diagnose dieses Umstands.
Inkonsistent ist auch der Umgang mit der Krise des Parlamentarismus 1929/30. Der Ansatz, die Krisenerscheinungen der Weimarer Zeit als Konstrukt zu behandeln, stößt hier m. E. an Grenzen. Jedenfalls sollte das Scheitern der Großen Koalition in dem einschlägigen Beitrag von Stibbe problematisiert werden. Zudem formuliert Jones, auf dessen Aufsatz die Herausgeber jetzt verweisen, geradezu eine Maximalposition: "Ende 1929 konnte kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass Weimars demokratische Institutionen nicht mehr in der Lage waren, einen parlamentarischen Konsens für die Regelung nationaler Angelegenheiten zu finden." (121) Diese (diskutable) These wird nur knapp erläutert, widerspricht Stibbes Darstellung und dürfte daher Leser "ohne Vorkenntnisse" ratlos zurücklassen.
Den Umstand, dass "ökonomische Entwicklungen" vielfach zur Sprache kommen, habe ich nicht übersehen, sondern konstatiert. So spielt die Inflation im Überblickskapitel zur "Zeit [!] der Inflation" in der Tat eine prominente Rolle und wird in ihren politischen, sozioökonomischen und kulturellen Zusammenhängen hervorragend beschrieben. Das ändert nicht den Befund, dass es an genuin wirtschaftshistorischen Beiträgen mangelt.
Ich kann nicht erkennen, dass die Rezension unausgewogen ist. Ihr Schwerpunkt liegt auf der politischen Geschichte: Das entspricht dem erklärten Fokus des Bandes. Sie identifiziert Positives ebenso wie Defizite. Wenn Letztere ausführlicher behandelt werden, scheint mir das geboten angesichts der Ambition, "das" Handbuch der Weimarer Republik vorzulegen. Immerhin gibt es bereits vorzügliche Einführungen, und wenn mit universitärer Lehre und Schulen, Gedenkstätten und "Weiterbildung" Zielgruppen adressiert werden (7), die auf die versprochenen "verlässlichen Informationen" angewiesen sind (27), ist es wichtig, dass sich das Buch insgesamt als Referenzwerk eignet und die Darstellung auch im Detail korrekt und präzise ist.
Aus meiner Sicht ist es nicht gleichgültig, ob Scheidemann die Republik zuerst ausrief. Zweifellos profitierten DNVP und Zentrum "überproportional" vom Frauenwahlrecht; an besagter Stelle ist aber lediglich von der "Mehrheit" die Rede. Worauf wollen die Herausgeber hinaus, wenn sie das als "Formulierungsfrage" bezeichnen? Genügt es, wenn das Richtige gemeint ist?
Wenn ich von "zahllosen" Fehlern spreche, ist das gewiss eine Zuspitzung. Sie signalisiert, dass es aus meiner Sicht zu viele sind. Dabei sollte selbstverständlich sein, dass es sich bei den genannten Fällen um eine Auswahl handelt. Die Herausgeber insinuieren jedoch, ich hätte jeden Mangel aufgelistet, der mir untergekommen ist. Das wäre unredlich, weshalb mir daran liegt, diesen Eindruck zu entkräften. Nur aus diesem Grund füge ich den bisherigen zehn Monita nun zehn weitere hinzu:
Es ist irreführend, der Auswanderung "eine deutlich geringere Rolle als im Kaiserreich" zu attestieren und die Jahre 1880-1893 als Vergleichszeitraum heranzuziehen (20 f.): Zwischen 1919 und 1932 wanderten deutlich mehr Menschen aus als in den 14 Jahren vor dem Krieg. Es gab keine "Dominanz des Agrarsektors während der Weimarer Zeit", erst recht nicht "wie [
] in vielen anderen mittel- und osteuropäischen Ländern" (30). Dass "die Herrscherhäuser in den anderen deutschen Staaten" bereits vor den Hohenzollern "abgesetzt" wurden (41), trifft so pauschal nicht zu. Die Zitate aus Theodor Wolffs berühmtem Artikel vom 10. November 1918 enthalten drei Fehler (ebd.). Stresemann war bereits während seiner Kanzlerschaft, nicht erst ab 30. November 1923 Außenminister (98). Seine Partei betrieb schon vor dem Mord an Rathenau keine "Fundamentalopposition" (374), sondern war 1920/21 am Kabinett Fehrenbach beteiligt. In der Reichsregierung gab es keinen "Verteidigungsminister" (98, 132, 839). Wer ist "der frühere freikonservative Industrielle Emil Kardorff" von der DNVP, der den Kapp-Putsch ablehnte (419)? Offenbar verschmelzen Emil Kirdorf und Siegfried von Kardorff zu einem Phantasieakteur. Hitler kandidierte bei der Reichspräsidentenwahl 1932 nicht nur im zweiten Wahlgang (151 f.). Hugo Stinnes gehörte der DVP, nicht der DNVP an (183).
Unterstreichen möchte ich, dass solche Fehler und Ungenauigkeiten keineswegs in allen Beiträgen auftreten. Generell ändert meine Kritik nichts daran, dass der Band, wie gesagt, zahlreiche ausgezeichnete Aufsätze enthält, deren Lektüre man uneingeschränkt empfehlen kann.