Von Gerd Krumeich
Da ich in dieser Rezension als Vorwort-Schreiber auch scharf kritisiert werde, erlaube ich mir eine kurze Stellungnahme.
Ulrich Wyrwa, eigentlich doch ein genauer und zuverlässiger Beobachter der Weltkrieg I-Geschichtsschreibung, lässt in dieser Besprechung seinem ungerechten Grimm einfach Lauf. Wyrwa beanstandet u.a.. dass Keller den belgischen Widerstand für völkerrechtlich illegitim hält, was er in der Form der Franctireur-Angriffe doch zweifellos war. Was Wyrwa in dieser Beziehung leider nicht sagt ist, dass Keller durchaus das riesige Missverhältnis zwischen den belgischen Übergriffen auf die deutschen Soldaten und der "Vergeltung" sieht und sagt. Die 6.000 zum großen Teil unschuldigen Opfer der deutschen Repression werden keineswegs verschwiegen.
Die große innovative Leistung von Ulrich Keller wird nahezu übergangen. Die Tatsache, dass Keller im Bundesarchiv einen Bestand von mehr als 2.000 beeideten Zeugenaussagen von deutschen Soldaten ausfindig gemacht und in ein neues Licht gesetzt hat, tut Wyrwa ziemlich geringschätzig ab.
Ein Rezensent sollte doch fragen, welchen Status diese große Menge an beeideten Soldatenaussagen in der bisherigen Forschung gehabt haben. Und dann müsste man auch erläutern, dass sie beispielweise bei Horne und Kramer, die den Bestand eingesehen haben, z.T. sinnwidrig zitiert werden, und dazu nur in winzigstem Umfang.
Ich teile nicht alle Schlussfolgerungen von Keller und seinen manchmal überpolemischen Stil muss er selber verantworten. Aber seine Forderung, dass die von ihm zum ersten Mal in dieser Vollständigkeit ausgewerteten deutschen Quellen genauso ernst genommen werden müssen wie die belgischen und alliierten, die teile ich vollkommen. Und deshalb habe ich das Vorwort zu diesem Buch geschrieben.
Von Ulrich Wyrwa
Es lag mir mit meiner Bemerkung zum Vorwort gänzlich fern, Herrn Krumeich scharf zu kritisieren, dazu habe ich eine viel zu hohe Anerkennung gegenüber seinen immensen Verdiensten hinsichtlich der Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs. Ich hoffe dies in meinen Schriften - nicht zuletzt in meinen Literaturberichten zu Neuerscheinungen zum Ersten Weltkrieg anlässlich des einhundertsten Jahrestages (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 62 (2014), Nr. 11; 64 (2016), Nr. 7/8; 65 (2017), Nr. 11) - hinlänglich deutlich gemacht zu haben. Die Bemerkung ist vielmehr Ausdruck meiner Verwunderung, die das Vorwort gerade wegen meiner hohen Wertschätzung Herrn Krumeich gegenüber, insbesondere hinsichtlich seines großen Engagements für die deutsch-französische Verständigung, hervorgerufen hat.
Sicher verschweigt Keller die Opfer der deutschen Repression nicht, das Problem ist nur, dass er die Schuld - und um "Schuldfragen" geht es ihm ja ganz dezidiert - nicht im Einmarsch des deutschen Heeres in Belgien, sondern im belgischen Widerstand sieht, mithin Ursache und Wirkung verwechselt.
Die Frage, inwieweit der Widerstand als legitim und völkerrechtlich vertretbar bezeichnet werden kann, ist keineswegs so einfach zu beantworten wie Keller dies apodiktisch behauptet. Das entscheidende Problem scheint mir, dass Keller keinen Begriff von Widerstand hat und kein Verständnis für das in weiten Teilen durchaus berechtigte und begreifliche Verhalten der belgischen Bevölkerung aufbringt.
Wenn die "Leistung" von Keller, wie Krumeich betont, vor allem darin besteht, dass er die Zeugenaussagen von deutschen Soldaten herangezogen hat, so lässt es Keller bei deren Auswertung allerdings an jener Quellenkritik fehlen, deren Mangel er anderen Historikern so harsch und gebieterisch vorwirft. Darüber hinaus hat sich Keller durch seine rigide Zurückweisung sozialpsychologischer Ansätze die Möglichkeit genommen, diese Quellen für die Analyse der sozialpsychologischen Dynamik dieser Erzählungen fruchtbar zu machen, die sich dann in der Verbreitung von Gerüchten und in der Vielzahl von literarisch-phantastischen Ausarbeitungen - mit all ihren verhängnisvollen Wirkungen - zeigten.
Da mir bei meiner Besprechung sehr daran lag, nicht einem "Grimm einfach Lauf" zu lassen, habe ich mich bemüht, mich als Kriterium der Kritik ganz auf Kellers Sprache zu konzentrieren und auf seine Formulierungen zu achten. Dabei tritt dann auch - um es mit Krumeichs Worten zu sagen - sein überpolemischer Stil hervor, der weniger der Klärung von "Schuldfragen" dienlich ist, sondern eher der Sprache einer Schuldabwehr entspricht.