Von Stephan Conermann
Anfang Oktober diesen Jahres hat das von der DFG geförderte Schwerpunktprogramm 1981 "Transottomanica: Osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken" seine Arbeit mit insgesamt 16 bewilligten Projekten aufgenommen. Es geht in dem SPP um die systematische Untersuchung von gesellschaftlichen und (trans)kulturellen Verflechtungen zwischen dem Moskauer Reich bzw. Petersburger Imperium, Polen-Litauen, dem Osmanischen Reich sowie Persien von der frühen Neuzeit bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit dem Augenmerk auf durch Mobilität entstandene "transosmanische" Interaktionsfelder zwischen diesen Herrschaftsgebieten sollen im großräumigen Zusammenhang Phänomene erkennbar werden, die bisher in der Betrachtung einzelner Regionen oder nur bilateraler Beziehungen nicht in den Vordergrund getreten sind. Ausgehend von der 'Linse' Mobilität stehen mobile Akteure, Wissenszirkulationen und ökonomische Austauschprozesse im Vordergrund der Betrachtung. [1]
In diesem FORUM stellen die drei Rezensenten, die alle in dem Verbundprojekt mitarbeiten, sechs Bücher vor, die sich mit eben solchen überregionalen Interaktionen befassen. Vier Werke sind osmanisch-russischen Austauschprozessen gewidmet (Meyer, Robarts, Bazarova, Taki), eines befasst sich mit der osmanisch-europäischen Vernetzung (Firges/Graf/Roth/Tulasoğlu) und ein weiteres tatsächlich mit dem Raum, der in dem Projekt als "Transottomanica" bezeichnet wird (Barker). [2] James H. Meyer untersucht die Rolle von russischen Muslimen bei der Herausbildung des Panturkismus' zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhand der Biographien der stets zwischen Russland und dem Osmanischen Reich agierenden Intellektuellen Ismail Gasprinski (1851-1914), Ahmet Ağaoğlu (1869-1939) und Yusuf Akçura (1876-1935). (Conermann zu Meyer) Bei Andrew Robarts steht der Westen der Schwarzmeerregion im Mittelpunkt. Er legt eine (nicht ganz überzeugende) vergleichende Analyse der osmanischen und russischen Migrationspolitik unter besonderer Berücksichtigung von Quarantänemaßnahmen vor, die zeigen soll, dass das Verhältnis der beiden Reiche angesichts des starken Anstiegs menschlicher Mobilität und der damit zusammenhängenden Seuchengefahr auf allen Ebenen der Zusammenarbeit bedurfte. (Hillebrand zu Robarts). Mit den russisch-osmanischen diplomatischen Beziehungen beschäftigt sich Tat'jana Anatol'evna Bazarova. Allerdings ist ihr Buch keine klassische Diplomatiegeschichte. Vielmehr macht sie uns auf ein bisher noch völlig unbearbeitetes Quellenmaterial aufmerksam, nämlich auf die sogenannten statejnye spiski, also die zum Teil voluminösen offiziellen Dokumente und Berichte, die die nach Istanbul (und anderswohin) entsandten Botschafter an das russische Auswärtige Amt zu schicken hatten. (Bauer zu Bazarova) Es ist bekannt, dass sich die russische Herrschaftselite mit und nach Peter I. zunehmend dem Westen zuwandte, sich weitgehend als Teil Europas definierte und sich mit dessen Werten und Normen zu identifizieren begann. Die Kehrseite der Medaille, d.h. der damit gleichzeitig aufkommende russische Orientalismus, beschreibt sehr schön der in Kanada lehrende Historiker Viktor Taki in seiner hier besprochenen Veröffentlichung. (Bauer zu Taki) Einen etwas breiteren geographischen Horizont findet man in einem Sammelband, den drei Doktoranden und eine Doktorandin aus dem Exzellenzcluster "Europa und Asien" zusammen herausgegeben haben. Die dreizehn Beiträge verdeutlichen, dass Raum nicht allein durch politische Grenzen und kulturelle Setzungen definiert werden kann, sondern eben auch durch vielfältige Mobilitätsdynamiken (Handel, Krieg, intellektueller Austausch, Migration, persönliche Netzwerke) konstituiert wird. (Hillebrand zu Firges/Graf/Roth/Tulasoğlu). Hannah Barker zeichnet schließlich ein sehr interessantes Bild des Sklavenhandels, der sich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert vom Kaukasus, der Walachei und Bulgarien über das Schwarze Meer nach Genua, Venedig und vor allem nach Kairo erstreckte. Die genuesischen, venezianischen und ägyptischen Händler waren dabei in einem engen Netz miteinander verflochten. (Conermann zu Barker)
Hoffen wir, dass das Schwerpunktprogramm 1981 in den nächsten Jahren ebenso interessante und anregende Studien vorlegen wird!
Anmerkungen:
[1] So auf www.uni-giessen.de/fbz/fb04/institute/geschichte/osteuropa/forschung_neu/Transottomanica
[2] In den letzten Jahren ist eine Reihe von Studien zu den vielfältigen Interaktionen und Mobilitätsdynamiken in dem transottomanischen Raum erschienen, die sich allerdings weitgehend mit bilateralen Verflechtungszusammenhängen befassen: (1) Robert Born / Sabine Jagodzinski (Hgg.): Türkenkriege und Adelskultur in Ostmitteleuropa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Stuttgart: Thorbecke 2014 (rezensiert von Paul Srodecki, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: http://www.sehepunkte.de/2016/09/29284.html; (2) Sabine Jagodzinski: Die Türkenkriege im Spiegel der polnisch-litauischen Adelskultur. Kommemoration und Repräsentation bei den Żółkiewski, Sobieski und Radziwiłł, Stuttgart: Thorbecke 2013 (rezensiert von Mariusz Kaczka, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 10 [15.10.2015], URL: http://www.sehepunkte.de/2015/10/24826.html); (3) Arno Strohmeyer / Norbert Spannenberger (Hgg.): Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen. Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013 (rezensiert von Florian Kühnel, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/09/24814.html); (4) Spannenberger, Robert / Szabolcs Varga (Hgg.): Ein Raum im Wandel. Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014 (rezensiert von Harald Heppner, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 3 [15.03.2015], URL: http://www.sehepunkte.de/2015/03/25164.html); (5) Born, Robert / Puth, Andreas (Hgg.): Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa: Perzeptionen und Interaktionen in den Grenzzonen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014 (rezensiert von Tobias Graf, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 6 [15.06.2015], URL: http://www.sehepunkte.de/2015/06/26571.html); (6) Frary, Lucien J. / Kozelsky, Mara (eds.): Russian-Ottoman Borderlands. The Eastern Question Reconsidered. Madison: The University of Wisconsin Press 2014; (7) Hans-Jürgen Bömelburg / Stefan Rohdewald / Dirk Uffelmann (Hgg.): Polnisch-osmanische Verflechtungen in Kommunikation, materieller Kultur. Literatur und Wissenschaft [= Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 65,2 (2016), 159-265].