4. Das Imperium schlägt zurück: General Nicholson und der 'Marsch auf Delhi' (305-393)
Je länger die Belagerung dauerte, desto stärker wurden die Briten, die eine sichere und geregelte Kommunikation aufbauen konnte, während das Chaos auf der indischen Seite zunahm. Auf eindrucksvolle Weise schildern William Dalrymple und David Saul wie die britische Seite nun zurückschlug. [6] Nachdem sie für einige Wochen zahlreiche Niederlagen erleiden musste und sie vor dem Rand der Vernichtung stand, war es Brigade-General John Nicholson, der in seinem Marsch auf Delhi, die Briten wieder zum Sieg führen konnte. Dieser 'imperial psychopath' (284) hinterließ gezielt verbrannte Erde und ging mit bisher unbekannter Brutalität und gezielten, sadistisch anmutenden Exempeln gegen Muslime und Hindus vor. Diese Exempel sollten vor allem darauf abzielten, die Verurteilten vor ihrem Tod religiös zu entweihen.
Auch wird in diesem 'Marsch auf Delhi' deutlich, wie sehr die militärische Organisation und Ausbildung der britischen Einheiten gegenüber den indischen im Vorteil war; und so lagen die Verluste bei größeren Schlachten bei ca. 1000 Gefallenen auf indischer und nur 40 auf britischer Seite. Hier muss allerdings beachtet werden, dass in den vordersten Linien der Briten indische Sepoys gegen ihre Landsmänner kämpften. Britische Verluste unter den kämpfenden Truppen waren also minimal und die Briten schafften es sogar, unter ihren Sepoys die Disziplin aufrechtzuerhalten. Mit den Erfolgen der Briten stieg auch der Wille indischer Fürsten, diese erneute zu unterstützen. Und so waren es vor allem die traditionell anglophilen Rajas aus dem Punjab, die damit begannen, ausreichend Nahrungsmittel zur Delhi-Field Force schickten.
Trotz dieser solidarischen Unterstützung erschienen vielen Briten die Inder immer weniger als Menschen. Nicholson erklärte alle Inder bis zur Niederschlagung des Aufstandes für vogelfrei und der gängige Ausdruck für Ẓaffar unter den Soldaten war 'the old Nigger'.
Der Sturm auf Delhi erfolgte am 14. September um 3 Uhr morgens und sollte sich als eines der größten Blutbäder in der Geschichte Delhis herausstellen. Allein im Viertel Kucha Chelan fielen 1400 unbewaffnete Menschen den Briten zum Opfer (Dalrymple: Aufstand und Propaganda, 92) Für zwei Tage war der Ausgang des Kampfes jedoch völlig ungewiss und mehrmals drohte den Briten die Niederlage, da sie für den intensiven Straßenkampf nicht vorbereitet waren. Denn hier wurden nun die mehr als 5000 muǧāhidūn ein wichtiger Faktor, denn da sie sich weigerten, Schusswaffen zu benutzen, waren sie größtenteils mit Äxten bewaffnet und warteten nur auf ihre Chance im Nahkampf.
Noch einmal richteten sich alle Hoffnungen auf Ẓaffar, von dem erwartet wurde, dass er entschlossen gegen die 'Ungläubigen' vorgehe. Die wichtigste Quelle hierfür ist die Niederschrift Šayḫ Ibn Mubārak Šāhs, der detailliert Auskunft über Ẓaffars letzte Tage liefert. Nachdem dieser am Abend des 15. Septembers noch angekündigt hatte, sich an die Spitze der Rebellenarme zu stellen, um mit ihnen gemeinsam gegen die Briten zu kämpfen, zoger sich am Morgen des 16. Septembers allein in den Schrein Niẓām ad-Dīns zurück, um auf seine Gefangennahme durch die Engländer zu warten - völlig verwirrt und ohne Illusionen lieferten sich Sepoys eine letzte Schlacht mit den Briten und während schon Toasts auf Königin Victoria und den Sieg in dem eingenommenen Palast Ẓaffars gegeben wurden, begannen die schlimmsten Tage für die Bevölkerung Delhis, da nun die britische Soldateska ungehindert plündern und hinrichten konnte.
5. Die unmittelbaren Folgen der 'Great Mutiny' für Indien und England (393-487)
Am 7.10.1857, 332 Jahre nachdem Bābur (gestorben 1530) die Stadt für die Moguln eingenommen hatte, wurde der letzte Herrscher der Moguln auf einem Eselskarren aus Delhi abtransportiert. Die Niederschlagung des Aufstandes bedeutete das Ende der Mogul-Dynastie. Dies war für weite Teile der britischen Elite bereits vor dem Aufstand ein wichtiges Ziel; nun konnte es schneller als erwartet umgesetzt werden: Mit dem Mogul werde das Haupt der Rebellion bestraft, so die damals herrschende britische Meinung. Im anschließenden Prozess drückte sich jedoch deutlich die Grundproblematik des Verhältnisses zwischen der EIC und den Moguln aus: Juristisch betrachtet waren die Briten nach wie vor Vasallen der Moguln. Die EIC erhielt 1599 vom eigenen Parlament die Erlaubnis, Handel mit Indien zu betreiben. Das Recht, über Teile Indiens zu herrschen, allerdings erst von den Moguln. Diese erlitten 1765 in der Schlacht von Plassey eine große Niederlage gegen die Briten und setzten die EIC, als offizielle Steuereintreiber für den Mogulhof in Bengalen ein. Entsprechend trugen bis 1832 alle von der EIC ausgestellten Münzen den Aufdruck (EIC - Fidvi Shah Allam: EIC - der untergebene Diener Schah Allams). Dieser Aufdruck wurde zwar ein Jahr später auf Drängen Charles Metcalfes abgeschafft, juristisch hatte sich allerdings nichts geändert, nach wie vor waren die Briten Vasallen der Moguln. Die Briten hätten Ẓaffar als besiegten König behandeln, keinesfalls aber als Aufständischen verurteilen dürfen. (432 f.) So gesehen war es die EIC, die gegen Ẓaffar rebellierte, nachdem sie seinen Vorgängern knapp hundert Jahre zuvor die Treue geschworen hatte [7]- eine Deutung, die auch einigen britischen Zeitzeugen, darunter dem Journalisten Howard Russel, auffiel und von ihnen vehement kritisiert wurde. Der Chefankläger Major Harriot zielte darauf ab, Ẓaffar als Kopf einer islamischen Weltverschwörung gegen das Christentum und allen voran gegen das Britische Empire anzuklagen. Nach Harriot Ẓaffars Plan, von Istanbul über den Iran, von Mekka bis nach Delhi einen Global-ǧihād unter seiner Führung auszurufen. Der 86 jährige Ẓaffar, der während der Rebellion gesundheitlich schwächer geworden war, konnte die Vorwürfen nicht verstehen und nachvollziehen. Harriot übersah, dass die Mehrheit der Aufständischen Sepoys Hindus der allerhöchsten Kasten waren. Hinzu kommt dass alle Anzeichen gegen diesen Global-ǧihād sprachen, zieht man alleine die damaligen - jedoch nach wie vor aktuellen - Differenzen zwischen Anhängern der Sunna (also etwa in Istanbul) und der Šī'a (in Iran) heran.
Von Anfang an stand immerhin fest, dass Ẓaffar nicht mit der Todesstrafe bestraft werden sollte, da ihm dies während der Kapitulationsverhandlungen garantiert worden war; dieses Versprechen widersprach jedoch der öffentlichen Meinung in England. Diese sah in Ẓaffar einen undankbaren Fundamentalisten, welcher der eigentliche Anstifter zum Cawnpoor-Massaker gewesen sei. Bemerkenswert ist, wie aggressiv britische Zeitungen über den Prozess berichteten - diese forderten, Delhi dem Erdboden gleichzumachen ('Down with Delhi' war in dieser Zeit ein gängige Forderung britischer Zeitungen) und befürworteten das Ausüben neuer Exekutionstechniken durch britische Soldaten an den Einheimischen.
Dalrymple spricht an dieser Stelle sogar von einem Genozid an der Familie Ẓaffars - fast alle Mitglieder der königlichen Familie wurden, wenn sie auch nur ansatzweise in den Verdacht gerieten, die Rebellion befürwortet zu haben, sofort hingerichtet und nur eine Handvoll überlebte diese Exekutionswelle. Ẓaffar, Zīnat Maḥal Bīgum und einige wenige Hofangehörige wurden am 8. Oktober 1857 ins Exil nach Rangoon geschickt. "Obgleich die kaiserliche Familie kampflos kapituliert hatte, wurden die meisten der Söhne des Großmoguls zum Tode verurteilt und aufgehängt. Drei von Ihnen, die sich freiwillig gestellt hatten, wurden kaltblütig erschossen, nachdem man ihnen befohlen hatte, sich nackt auszuziehen. Der britische Captain William Hodson schrieb tags darauf an seine Schwester: "In 24 Stunden habe ich die wichtigsten Mitglieder der Familie des Hauses Timur dem Tartaren umgebracht. Ich bin kein grausamer Mensch, aber ich gestehe, dass ich die Möglichkeit, die Erde von diesem Lumpenpack zu befreien, wahrlich genossen habe." (Dalrymple: Aufstand und Propaganda, 92-93).
Während seiner Reise ins Exil wurde Delhi erneut Schauplatz einer beeindruckenden indo-muslimischen Synthese: Während britische Pioniereinheiten begannen, Delhis Altstadt dem Erdboden gleichzumachen, um beispielsweise an der Stelle des Red Fort (ein zwischen 1639 und 1648 für Šāh Jahān errichteter Palast- und Festungskomplex, den zahlreiche europäische Reisende als den beeindrucktesten Palast der Welt beschrieben hatten) Kasernen zu errichten, sind es vor allem wohlhabende Hindus, die zahlreiche islamische Gebäude und Moscheen aufkaufen, damit sie vor der britischen Zerstörung bewahrt werden.
Ohne das Delhi College und die muslimischen Lehranstalten (madāris ohne das ūrdu-Zeitungswesen und ohne den Hof der Moguln, dessen immenses kulturelles Gewicht die prekäre finanzielle Lage und den realen Machtverlust der Dynastie immer ausgleichen konnte -, ohne das Zentrum des kulturellen Geschehens Delhis, Šāh Bahadūr Ẓaffar II., der stets ausgleichend zwischen den hinduistischen und muslimischen Interessen vermitteln konnte und maßgeblich für die indo-muslimsche Renaissance verantwortlich war, konnte das Zentrum der indo-persischen Kultur nicht mehr weiter existieren und war verloren.
Die Niederschlagung der 'Great Mutiny' bedeutete also den endgültigen Niedergang des Mogulreiches auf der einen Seite und den Beginn der 90-jährigen Herrschaft der britischen Krone über Indien auf der anderen Seite.
6. Die Folgen der 'Great Mutiny' aus globalgeschichtlicher Perspektive. Das Zusammenspiel von 'Empire und Locality'.
Die herangezogenen Studien für diesen Abschnitt sind vor allem Christopher Baylys Studie 'Die Geburt der modernen Welt' (2006) sowie Peter Putnies medienhistorische Analysen zum 19. Jahrhundert. Beide legen dar, dass dieser Aufstand des 'Mid-Victorian-Age' nicht nur die größte Herausforderung für den europäischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts war, vielmehr könne man an ihm exemplarisch das Zusammenspiel zwischen 'Empire and Locality' analysieren. [8]
Nach den ersten Straf- und Racheaktionen stellte sich nun auf britischer Seite die Frage, was man mit den zahlreichen Sepoys anfangen sollte, die nicht hingerichtet worden waren. Man einigte sich schnell darauf, diese als ein Arbeitsheer einzusetzen (das seine Disziplinierung ja bereits in der Armee erfahren hatte). Auf diese Weise sollten sie einerseits für einen längeren Zeitraum von ihrem Mutterland getrennt werden - als Vorsichtsmaßnahme gegenüber neuen Revolten in Indien- aber auch den Plantagenausbau in Südafrika, Madagaskar oder auch den Schiffsbau in Aden unterstützen.
Peter Putni beschreibt in seiner Studie von 2007 [9], wie schnell die Schreckensmeldungen vom Cawnpoor-Massaker in den Kolonien und England kursierten und dass man dieses Ereignis zu Recht als eines der ersten globalen Medienereignisse der Geschichte bezeichnen darf. Das britische Zentrum und seine Kolonien waren sich anfangs darin einig, dass der Aufstand schnell niedergeschlagen werden müsse. Man dürfe sogar so weit gehen, so Putni, dass dieser Aufstand den britischen Interessen nur nutzte, da er London und seine Kolonien Mitte unter dem Cawnpoor-Schock ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 'zusammenschweißte'.
Die Frage nach der Arbeiterverschickung begann zuerst zwischen den indischen Land- und Plantagenbesitzern (zamindār) und britischen Kapitalisten. Unter ihnen herrschte weitestgehend Einigkeit darin, dass das Problem der Überbevölkerung Nordindiens nach dem Aufstand am besten durch eine großangelegte und von der EIC finanzierten Verschickung von Arbeitskräften in die britischen Kolonien gelöst werden sollte. Die Verschickung von großen 'Arbeiterheeren' hatte aber viel tiefgreifendere Folgen, da sie zusammen mit anderen Strafaktionen erheblich zur Verarmung Indiens beitrugen. So kam es nicht nur zu einer gewaltigen Zerstörung großer Teile der nordindischen Infrastruktur, sondern auch zur forcierten Verschickung von Facharbeitern in die Kolonien. [10]
Diese Einigkeit zwischen imperialem Zentrum und seinen Kolonien hielt Putni zufolge jedoch nur für einen äußerst kurzen Zeitraum. Wünschten sich beispielsweise Regionen wie Nordaustralien gleich mehrere zehntausend ehemalige Sepoys, griff auf der anderen Seite in Britisch-Neu-Guinea unter den Plantagenbesitzern und Großkapitalisten die Angst um sich, die dort lebenden 140.000 indischen Arbeiter könnten vom Geist der Revolte von 1857 angesteckt werden und ebenfalls rebellieren. Zeitungen sowie die lokale Administration gingen hier einig gegen die in England angestrebten Ziele vor. Die indischen Arbeiter in den Kolonien zeigten zwar Verständnis für die Erhebung ihrer Landsmänner, wünschten sich aber keine Konkurrenz. Auf der britischen Seite warben vor allem Lobbyisten der Zuckerindustrie in London dafür, eine gezielte Verschickung von Arbeitskräften in die Kolonien voranzutreiben, nachdem der Preis für Zucker während der Revolte dramatisch in die Höhe gestiegen war. Hinzu kam, dass sich - so die Argumentation der Zucker-Lobby - hier die einmalige Gelegenheit bot, ein Experiment zu starten, ob es besser sei, große, geschlossene Gruppen an einen Ort einzusetzen oder kleinere, flexiblere Arbeitstrupps für kürzere Zeiträume an verschiedenen Orten.
7. Einige weiterführende Studien
Im folgenden Abschnitt sollen einige zusätzliche Studien in Kürze dargestellt werden, die für das Thema um 1857, die Ursachen und Folgen von Bedeutung sind. [11]
Dalrymple fasst das Grundproblem der Historiographie zur 'Great Mutiny' treffend zusammen: "The longer I worked, the clearer it became that there were in fact two parallel streams of historiography, which utilized almost completely different sets of sources. The British histories, as well as a surprising number of those written in English in post-colonial India, tended to use only English-language sources, padding out the gaps, in the case of more recent work, with a thick cladding of post-Saidian theory and jargon. The Urdu histories written by contemporary Muslim scholars in India and Pakistan, on the other hand, tend to make use of an entirely separate and often very rich seam of Urdu primary sources. Moreover, in the case of Delhi, there exist some wonderful works of secondary scholarship, such as Aslam Parvez's fine Urdu biography of Zafar, which remain unknown to English-speaking readers. One of the principal aims of this book is to bring the voluminous Persian and Urdu primary and secondary sources on Delhi in 1857 before an English language readership for the first time." (15)
Die ersten Studien über den Aufstand wurden von den britischen Siegern geschrieben. Bereits in den Jahren 1858 bis 1859 verfasste Charles Bell 'The History of the Mutiny', wenig später folgte John Kayne mit seiner 'History of the Sepoy War in India' (1867). Für lange Zeit wurde die Historiographie von der Kernaussage beider Autoren geprägt, dass es sich alleine um einen Aufstand von unzufriedenen Sepoys gehandelt habe. Dies war, wie gezeigt wurde, sicherlich nicht der Fall.
Eine ausgezeichneten Überblick über die aktuellen Tendenzen zur Historiografie der 'Great Mutiny' bringt Marina Carter (s. Anmerkung 9). Die Publikationen zum vorliegenden Thema fanden ihren Höhepunkt zum 150-jährigen Jubiläum des Aufstandes im Jahr 2007. Die Verfasser zahlreicher Studien waren jedoch im Wesentlichen von den Ansätzen der Subaltern und Area-Studies geprägt und richteten sich stark nach festgelegten analytischen Denkmustern, so Carter. Es wurden zwar die Motive der aufständischen Sepoys, derHindus oder der einfachen Landbevölkerung teilweise zutreffend analysiert. Nach Carter lag der Fehler lag aber darin, dass man diese kaum miteinander verglich um festzustellen, dass es auf der indischen Seite viel größere Schnittstellen als Differenzen bei den Motiven für den Aufstand gab. Die Folge war, dass man letztlich mehrere, festgeschlossene Motive und Gruppen von Aufständischen konstruierte, also revolutionäre Bauern, religiös-motivierte Muslime oder emanzipatorische, national gesinnte Hindus.
Die Fronten zwischen Aufständischen und Herrschern war allerdings viel weniger deutlich, als es die klassische Forschung zu diesem Thema beschreibt, ein Sachverhalt den auch Dalrymple immer wieder betonte. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass von Anfang an britische, zum Islam übergetretene Soldaten auf der Seite der Sepoys kämpften, ja sogar ganze Regimenter befehligten und viele der prominentesten muǧāhidūn auf muslimischer Seite Frauen waren. (23,64,153).
Muzaffar Allam analysiert in seiner wichtigen Studie über die Krise des Mogulreiches und hinterfragt die gängige Ansicht, nachdem das 18. Jahrhundert als allgemeines 'Krisenjahrhundert' für den indischen Subkontinent bezeichnet wird. Allams Hauptaussage ist, dass man sich mehr und mehr von dieser klassischen Einteilung distanzieren solle, dass 18. Jahrhundert nach dem Tod von Aurangzeb 1707 als 'Niedergangsjahrhundert' der Moguln zu charakterisieren. Natürlich fand eine starke Fragmentierung des Mogul-Staates statt. [12] Den politischen und ökonomischen Niedergang dieses ehemaligen Großreiches aber auf ganz Indien zu übertragen wäre eine ebenso oberflächliche Analyse wie den Niedergang indisch-muslimischer Kultur vor 1857 zu unterstellen. Denn erstens würde man mit dieser Deutung der EIC und anderen europäischen Kompanien, für die das 18. Jahrhundert ja ein erheblicher Zuwachs an Macht bedeutete, eine viel zu große Rolle am Niedergang des Mogulreiches einräumen. Und zweitens würde man den ökonomischen und den kulturellen Aufschwung einzelner Regionalreiche Indiens im 18. Jahrhundert übersehen. Denn Manche von ihnen sahen sich gerade aufgrund ihres Wohlstandes darin bestärkt sich von ihren Lehnsherren, den Moguln, loszusagen. Es waren also eher deren nationalistische Bestrebungen sich vom Zentrum in Delhi loszusagen, die langfristig zum Niedergang der Moguln führten, als allein die Präsenz der Europäer in Indien - von einem ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Niedergang ganz Indiens im 18. Jahrhundert kann also nicht die Rede sein. [13] Darauf aufbauend zeigt Kumkum Chatterjee für die ostindischen Gebiete, dass bis 1790, also mehr als 30 Jahre nach der Schlacht von Plassey im Jahr 1757, die ja im Allgemeinen als der Beginn der endgültigen britischen Dominanz über Indien interpretiert wird, von einer solchen nicht gesprochen werden darf. Viel zu sehr waren englische Händler auf die Kredite, das Bankenwesen und den hochorganisierten administrativen Apparat der Mogul angewiesen. [14]
Douglas Peers wichtige Studie über das Verhältnis der britischen Kolonialarmee zu den indischen Untertanen ist in mehrfacher Hinsicht für das vorliegende Thema und die Vorgeschichte der Ereignisses des Jahres 1857 von großer Wichtigkeit. [15] Peers Peer wendet sich gegen die die klassische Imperialismus-Historiographie, die vor allem durch Hobson, Lenin, Cain und Hopkins charakterisiert ist - sie argumentieren, dass der (britische) Imperialismus von den Metropolen gelenkt wurde und auf der Zusammenarbeit der herrschenden Eliten basierte. Peers wendet sich teilweise von dieser verbreiteten Annahme ab und spricht zusammen mit Christopher Bayly vom 'Sub-Imperialismus'. Dieser geht davon aus, dass sich die britischen Akteure weniger an die Richtlinien aus London hielten, sondern vielmehr auf die Kooperation mit den ansässigen indischen Eliten setzten Folgt man Peers Argumentation, so war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die britische Präsenz in Indien einer Gefahr ausgesetzt sah, wie der 'Great Mutiny'. Peers interpretiert den gesamten britischen Herrschaftsapparat als einen 'Garrison State', der auf bis zu 300.000 stehenden Soldaten basierte und enorme Kosten beanspruchte. In diesem 'Garrison State' sieht Peers den eigentlichen Ursprung des späteren britischen Scheiterns. Denn erstens wurden in ihm zahlreiche Inder an britischer Technik und Militärwissen ausgebildet. Das Verhältnis von britischen zu indischen Soldaten in der EIC-Armee betrug 1 zu 7 denn indische Einheiten waren einfacher auszuheben und wesentlich billiger. Zweitens - und von noch größerer Bedeutung nach Peers - lag das Grundproblem in der britischen Interpretation der indischen Gesellschaft, nach der sich die britische Herrschaft in den Jahren vor der Revolte ausrichtete. Nach Peers wurde der britische Diskurs über die indische Herrschaft - ganz im orientalistischen Sinne - davon dominierte, dass man es hier mit einem klassischen asiatischen Despoten- und Militärstaat zu tun habe; der wichtigste Zugang zu dieser Gesellschaft und zur Beherrschung derselben war nach Meinung britischer Eliten das (britische) Militär. Indem die britischen Kolonialherren dieser Sichtweise anhingen und ihr Ziel mit großer Energie verfolgten, war es nach Peers nur folgerichtig, dass vom Militär auch die größte Bedrohung für die Herrschaft der Briten ausging, da - um es einfach auszudrücken - unmittelbar vor der Revolte in diesem für die Beherrschung der Inder wichtigsten Apparat zu viele, entscheidende Fehler gemacht wurden. Peers sieht vor allem in dem gescheiterten Afghanistanfeldzug von 1842 den Grund dafür, dass sich das Verhältnis zwischen englischen Offizieren und indischen Soldaten drastisch wandelte. Nicht nur wurden letzteren die Grenzen der britischen Militärmacht durch erhebliche Mängel in der höchsten militärischen Leitung deutlich. Es änderte sich auch die Einstellung der englischen Militärelite nach dieser Niederlage gegenüber ihren indischen Soldaten hin zu einer mehr und mehr rassistischen Einstellung, da die Militärführung in den indischen Soldaten den Grund der Niederlage sah.
Peers interpretiert die britische Armee losgelöst von jeder Romantik als reine Interessen- und Lohnarmee für die indische Bevölkerung. Für diese war es weniger eine Ehre, den britischen Rotrock überzustreifen, als vielmehr ein finanzielles Anliegen, da die britische Armee die größte Lohnarmee der damaligen Welt war. [16] Als die Siege aber ausblieben und die Expansion ein Ende nahm, nahm die Grundskepsis der Sepoys gegenüber den Briten zu. Die der Revolte vorausgehenden Fehler, die vom Militärapparat als unbedeutend angesehen wurden, wären von einer erfolgreichen, sich in Bewegung befindenden Lohnarmee vielleicht übersehen wurden; dies war bei der Armee der EIC am Vorabend der Revolte aber nicht mehr der Fall.
Die steigende Grundskepsis gegenüber der britischen Besatzung ist auch Inhalt einer der wichtigsten Studien über die indische Erhebung von 1857. Tapti Roy stellt die Grundskepsis gegenüber den britischen Kolonialherren in den Vordergrund und stellt die bis zum Zeitpunkt ihrer damaligen Studie aktuelle Historiografie in Frage. Aus dieser Grundskepsis heraus argumentiert sie ähnlich wie Christoper Bayly, der an dieser Stelle von einer 'Legititmitätskrise' nicht nur der britischen Lohnarmee, sondern der britischen Präsenz im Allgemeinen spricht, und vor allem in dem Zusammenbruch des vermittelnden Sektors der Ökonomie, (intermediate economy), die Hauptursache für die britische Krise in der Mitte des 19. Jahrhunderts sieht. Diese war auf das Zusammenspiel der einzelnen regionalen Königs-und Fürstentümern angewiesen, wurde jedoch durch die britischen Expansionen ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts zusehends zerstört.
Tapti Roy will vor allem ein vielschichtigeres Bild des Aufstandes aufzeigen, als es der Großteil der bisherigen Historiographie unternommen hat: Diente beispielsweise indischen Nationalisten die 'Great Mutiny' als wichtigster Beleg für einen ur-indischen Freiheitswillen, sahen linksorientiere, neo-marxistische Historiker in diesem Aufstand den Beweis dafür, dass sich die unteren Klassen - trotz ihrer religiösen und gesellschaftlichen Differenzen - gegen die herrschenden Klassen erhoben hätten, während britisch-konservative Historiker in der Rebellion einen Aufstand undankbarer Rebellen sahen, die die gutgemeinten Reformen der Briten missverstanden und deshalb abgelehnt hatten. Nach Roy war das Bild aber wesentlich vielschichtiger: Sicherlich war die Grundskepsis gegenüber den Briten bei den Sepoys, Landbesitzern, Pächtern und Bauern gleichermaßen vorhanden; ein großer Unterschied aber lag darin, wie diese verschiedenen Gesellschaftsschichten sich ihren Widerstand bzw. ihre Zusammenarbeit vorstellten und angingen, wie also ihr Gegenentwurf zu einer britisch dominierten Gesellschaft aussehen sollte. [17]
Eine zentrale Aussage Roys besteht darin, dass sie den Hauptantreibern des Aufstandes, den Sepoys, einen hohen Grad an Organisation zuspricht. Die rebellierenden Sepoys agierten also keinesfalls, wie noch allzu oft beschrieben, als eine anarchische und chaotische Rebellentruppe, die es allein auf das Ermorden von Engländern, Christen und deren Kollaborateuren abgesehen hatte. Vielmehr - so Roy - verfolgten sie konkrete Ziele und zeigten im Vorfeld der Revolution organisatorische Fähigkeiten.
Die Komplexität der Revolution erkennt sie - ähnlich wie Dalrymple - gerade in den Zielen der Sepoys, zu denen vorranging Hindus gehörten. Diese verfolgten zuallererst eine Wiedererrichtung des Mogulimperiums unter Bāhadūr Šāh Ẓaffar - Hindus kämpften also für eine muslimische Herrschaft. Zudem verfolgten die Sepoys konkretere, nationalistischere Interessen als ihre späteren Sympathisanten, die Landbesitzern und Bauern. Auch hier stellt sich das Bild also sehr unterschiedlich dar. Den herrschenden Rajas sowie den Eliten Delhis stellte sich ein doppeltes Problem: Auch sie eine Unabhängigkeit ihrer Region an, allerdings wurden sie während der Jahre der Unruhe damit konfrontiert, dass sie zwar vorerst von britischer Herrschaft befreit wurden, dass nun aber die Rebellenarmee, über die sie keinen Einfluss hatten, über ihre Untertanen herrschen sollte. Zu diesen hatten sie kaum direkten Kontakt und sahen sich von ihnen vielmehr bedroht. Rani Lakshmi Bai wurde in zahlreichen Studien als die Prinzessin und weibliche Heldin der Revolte beschrieben. Roy gelingt es an dieser Person beispielhaft aufzuzeigen, wie eng einige Revolutionäre mit den Engländern zusammenarbeiteten und sich ein rasches Ende der Präsenz der Aufständischen in ihrer Region wünschten. Anders sah es bei den regionalen Landpächtern aus. Diese verfolgten keinerlei nationalistische Interessen, sie verband jedoch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl mit den einfachen Bauern.
Die wesentliche Aussage von Roys Studie besteht darin, die Revolutionsjahre 1857-1859 als eine organisierte und politische Bewegung zu deuten, deren Anhänger mehrheitlich - allen voran die kämpfenden Sepoys - konkrete gesellschaftspolitische Ziele verfolgten, so dass es sich keinesfalls um eine rein spontane, improvisierte Erhebung handelte.
8. Fazit
Die 'Great Mutiny' des Jahres 1857 war eine der größten militärische Bedrohungen, der sich das Britische Empire im 19. Jahrhundert zu stellen hatte. Sie wurde von Hindu-Soldaten der allerhöchsten Kasten ausgelöst, die gegen die religiösen und kulturellen Diskriminierungen im Rahmen des britischen Militärdienstes revoltierten. Dieser Aufstand verbreitete sich schnell und vermischte sich mit den unterschiedlichsten Motiven der jeweiligen Regionen und Religionen, die allesamt eines gemeinsam hatten: Die Abneigung gegen die britische Herrschaft. Diese bedeutete allerdings noch nicht, dass der gesamte Aufstand allein mit konkret national-politischen Zielen verknüpft war. Es ist wichtig festzuhalten, dass es viele verschiedene Forderungen waren, die von unterschiedlichen Gruppen aufgestellt wurden. Es vermischten sich kulturelle, sektiererische, ökonomische und politisch-gesellschaftliche Motive. Konkrete nationale Ziele, wie ihn die anglisierte, indische Elite unter Mahatma Gandhi 90 Jahre bei ihrem erfolgreichen Freiheitskampf vorweisen konnte, hatten die Aufständischen von 1857 noch nicht.
In dieser Revolte kämpften Muslime mit Hindus in gemischten Regimentern Seite an Seite; insgesamt strömten in den Monaten des Aufstandes um die 10.000 muǧāhidūn nach Delhi, um gegen die Ungläubigen (kuffār) zu kämpfen. Es kam allerdings auch zu erheblichen Konflikten zwischen Hindus und Muslimen, die nur durch das Einschreiten Ẓaffars vorübergehend beigelegt werden konnten. Dieser konnte während des Aufstandes allerdings nicht als Führungsperson hervortreten und hegte höchstens zu Beginn des Aufstandes einige Sympathie für die Aufständischen. Dies ist auch der Grund, warum Ẓaffar in vielen Geschichtsstudien sehr negativ beurteilt wird, da er sowohl mit den Engländern während des Aufstandes sympathisiert hatte als auch die eigentliche Revolte viel zu wenig unterstützt hatte. Die Frage stellt sich aber, was man von einem Greis hätte erwarten sollen, der über den Ausbruch der Revolte gar nicht informiert war und der sich mit mehreren zehntausend zum Sterben bereiten Kämpfern in seiner Stadt konfrontiert sah. Konnte er auch für die Revolte nur wenig unternehmen, so war er doch maßgeblich für die Renaissance und den letzten Höhepunkt der indo-persischen Kultur verantwortlich, selbst ein großer Dichter und Kaligraph, und führte auf diese Weise die Tradition der Mogul-Herrscher zu ihrem letzten Höhepunkt.
Es wäre sicherlich nicht angebracht, Ẓaffar allein das Scheitern für die Revolte zuzuschreiben- auch hier waren die Gründe wesentlich vielfältiger. Und so erkannte beispielsweise Maulavī Muḥammad Bāqir, Herausgeber der Dehlī Urdū Akhbār - der größten, nicht-britischen Zeitung Delhis -, bereits in den ersten Tagen des Kampfes, dass diese Revolte sehr wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt sei [18]: Die Armee der Aufständischen verfüge über keine zentrale Führung, alles was sie vereine, sei der Hass auf die Briten, so Bāqir.
Je länger sich die Revolte hinzog und sich kein nennenswerter Erfolg erkennen ließ, umso größer wurden die Differenzen zwischen Muslimen und Hindus, die Ẓaffar jedoch immer weniger ausgleichen konnte. Die Ohnmacht Ẓaffars zeigte sich aber nicht allein in diesem einem Punkt, der traditionell eine der wichtigsten Aufgaben des Mogulherrschers gewesen war. Vielmehr zeigte sich bald, dass der Mogul-Hof nicht nur außer Stande war, die Rebellen finanziell, militärisch und logistisch für einen längeren Zeitraum zu unterstützen. Alles was Ẓaffar den Aufständischen geben konnte, war sein Segen; was jedoch durchaus von Bedeutung war. Denn trotz des realen Machtverlusts, den die Moguln gegenüber den Europäern ab dem beginnenden 19. Jahrhundert erleiden mussten, zeigt sich doch gerade in der 'Great Mutiny', dass die Moguln keinesfalls muslimische Fremdbesetzer eines hinduistischen Indiens waren. Vielmehr wurden die Moguln nach wie vor als allerhöchste politische Institution Nordindiens angesehen. Hindus und Muslime erbaten sich beiderseits den Segen bei Ẓaffar und kämpften, wenigstens zu Beginn des Ausbruchs, geeint gegen die Briten. Und wenn auch nicht alle Gruppen der Kämpfenden mit konkret nationalen Zielen den Kampf aufnahmen, so gab es doch immerhin eine Hauptforderung, die die Rebellen vereinen konnte: die Vertreibung der Briten aus Indien und die Wiederherstellung des Mogulreiches.
Auf britischer Seite war es das entgegengesetzte Problem. Hier wurde man anfangs von dem Aufstand überrascht und reagierte mit Panik, rechnete mit einem gesamtindischen Aufstand oder wollte die Berichte der ersten Tage nicht wahrnehmen und wartete ab. Hier war es beispielsweise der Oberkommandierende, General George Ansan, der seine Truppen in Delhi mehrere Tage warten ließ, bis er sich entschließen konnte, Unterstützung zu senden. An der Person Ansons kann man erkennen, wie sehr sich die britische Armee zum damaligen Zeitpunkt im Umbruch befand. Von den Aufständen bereits nach einigen Stunden per Telegraphen unterrichtet, zog es Anderson vor, auf die Post zu warten.
Diese administrativen Probleme innerhalb der Führung konnten jedoch schnell behoben werden und es wurde mehr als deutlich, was für einen überlegenen Machtapparat die Briten gegenüber den Moguln mittlerweile in Indien etabliert hatten. Letztere schafften es nicht, trotz der intensiven Bemühungen einiger Mitglieder der Königsfamilie und zahlreicher anonymer Beteiligter eine funktionierende Verwaltung aufzubauen, die die Aufständischen in Delhi mit Waffen und Verpflegung hätte versorgen können, um den Kontakt mit dem Hinterland herzustellen und um weitere Unterstützung zu erhalten. Auch war die Führung der Rebellen nicht in der Lage, ein funktionierendes Spionagesystem aufzubauen, dass sie darüber hätte informieren können, dass die Briten wenigstens zweimal bei einem erneuten Angriff mit großer Sicherheit besiegt worden wären, wie britische Zeitzeugen berichten.
Für den heutigen Betrachter bleibt es dennoch erstaunlich, dass 130.000 kampferprobte Inder gegenüber 7.900 Briten nicht in der Lage waren zu siegen; für die meisten damaligen Zeitzeugen war es aber ein weiterer, unwiderlegbarer Beweis für die Überlegenheit der weißen Rasse, der britischen Nation und ihrer christlichen Religion. Die Folge für das Verhältnis der Briten zu ihrem muslimischen Untertanen war katastrophal und kippte endgültig zu einem extrem rassistischen Dieser Unterschied fällt deutlich auf, zieht man etwa britische Reiseberichte und Studien über Indien heran, die unmittelbar nach der Niederschlagung verfasst wurden. Diese Texte vergleichen die die muslimische und die hinduistische Bevölkerung und beschreiben vor allem die Muslime mit Verachtung.
1858 steht für die vollständige Unterwerfung Indiens unter die britische Krone. Am 1. Januar 1858 wird die EIC aufgelöst, Indien wird direkt der britischen Regierung unterstellt und am 2. August 1858 entsteht die Kronkolonie Britisch-Indien. Mehr als hundert Jahre sollte das indische Bildungswesen von den Siegern von 1857 bestimmt werden. Hier wurden die Moguln als Fremdkörper in der indischen Bevölkerung beschrieben, als konsequente Tempelzerstörer und dekadente Herrscher, die Indien zu Grunde gerichtete hatten. Der Spalt zwischen Hindus und Muslimen wurde immer größer. Was für Folgen die britische Maxime 'teile und herrsche' auf die indische Gesellschaft hatte, kann man u.a. in der Tempelzerstörung von Ayodha 1992 sehen, bei der militante Hindus die 1526 gegründete Babri-Moschee zerstörten, die angeblich auf einem Hindu-Tempel errichtet worden war. Im August 2008 beriefen sich die Attentäter von Bombay, bei denen mehr als 130 Menschen getötet wurden, bei ihrer Tat auf Ayodha.
Die Beschäftigung mit der 'Great Mutiny' von 1857 ist also von hoher aktueller Brisanz und die Forschung zum Thema ist noch keinesfalls abgeschlossen. Vielmehr steht sie in vielen und entscheidenden Punkten erst am Anfang, wie sich an den ausgezeichneten Studien William Dalrymples und Margrit Pernaus erkennen lässt, die hier äußerst wichtige Pionierarbeit leisten.
Anmerkungen:
[1] William Dalrymple liefert eine ausgezeichnete Zusammenfassung zu den Ereignissen um 1857 in der letzten Sonderausgabe der Le Monde diplomatique. William Dalrymple: Aufstand und Propaganda, in: Edition Le Monde Diplomatique (7), 91-93.
[2] Jürgen Osterhammel: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, 378.
[3] Die Standardstudie hierzu stammt von Seema Alavi: The Sepoys and the Company: Tradition and Transition in Northern India 1770-1830, Delhi 1995.
[4] Vgl. hierzu Rudrangshu Mukherjee: Mangal Pandey. Brave Martyr or Accidental Hero?, Delhi 2005.
[5] Weiterführend hierzu die ausgezeichnete Studie von Margrit Pernau: Bürger und Turban. Muslime in Delhi im 19. Jahrhundert, Göttingen 2008.
[6] David Saul: The Indian Mutiny 1857, London 2002.
[7] So argumentierte bereits früh F.W. Buckler (1891-1960) in seinem wichtigen Artikel 'The Political Theory of the Indian Mutiny, Trans. Of the Royal Historical Soc., 4 (5), 1922, 71-100 (dann erneut in Michael Pearson (ed.): Legitimicy and Symbols: The South Asian Writings of F.W.Buckler, Michigan 1985).
[8] Sehr zu empfehlen ist an dieser Stelle die neueste Studie John Darwins The Empire Project. The Rise and Fall of the British World-System, 1830-1970, Cambridge 2009. Hierzu liegt auch eine Rezension bei den sehepunkten von Verena Steller vor. Verena Steller: Rezension von: John Darwin: The Empire Project. The Rise and Fall of the British World-System, 1830-1970, Cambridge: Cambridge University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 11 [15.11.2010], URL: http://www.sehepunkte.de/2010/11/16547.html.
[9] Hierbei handelt es sich um einen noch unveröffentlichen Artikel Peter Putnis, der meiner Meinung nach jedoch unbedingt zu empfehlen ist (Verfügbar über die American University of Cairo unter dem Titel: The Indian Insurgency of 1857 as a Global Media Event). Putnis Artikel wird von Marina Carter und Crispin Bates herangezogen, vgl.: Marina Carter / Crispin Bates: Empire and locality: a global dimension to the 1857 Indian Uprising, in: Journal of Global History (2010), 5, 51-73.
[10] Siehe hierzu ausführlich: Mike Davis: Late Victorian holocausts: El Niño famines and the making of the Third World, London 2002.
[11] Für eine weiterführende Lektüre sind die gerade erschienenen Studien von Biswamoy Pati sehr zu empfehlen. Biswamoy Pati: The Great Rebellion of 1857 in India: Exploring Transgressions, Contests and Diversities, London 2010 sowie ders.: The 1857 Rebellion. Debates in Indian History and Society, Oxford 2011.
[12] Muzaffar Allam: Crisis of Empire: Awadh and the Punjab. 1707-1748, 3. Aufl., Delhi 1997.
[13] Diese Argumentation greift auch Christopher Bayly auf, vgl.: Christopher Bayly: Indian Society and the Making of the British Empire, 7. Aufl., Cambridge 2003.
[14] Kumkum Chatterjee: Merchants, Politics and Society in Early Modern India: Bihar: 1733 - 1820, Leiden 1996.
[15] Douglas M. Peers: Between Mars and Mammon: Colonial Armies and the Garrison State in India 1733-1820, London 1995.
[16] Hier distanziert sich Peer deutlich von der klassischen Studie Philip Masons: A Matter of Honour: An Account of the Indian Army, its Officers and Men, London 1986.
[17] Tapti Roy: The Politics of a Popular Uprinsing - Bundelkhand in 1857, Delhi 1994.
[18] Margrit Pernau: The Dihli Urdu Akhbar: Between Persian Akhbarat and English Newspapers, in: Annual of Urdu Studies, vol. 8 (2003), 1-27.