Von Stephan Conermann
Selbst in bisweilen eher papierorientierten islamwissenschaftlichen Kreisen scheint sich dieses Forum und das Organ sehepunkte mittlerweile als ein sehr sinnvolles und daher überaus willkommenes Medium zur Vorstellung von relevanten Neuerscheinungen herumgesprochen zu haben. Das ist sehr erfreulich, denn es ist meines Erachtens wichtig, dass sich unser Fach auch innerhalb einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Geschichtswissenschaft positioniert. Wir können von anderen Fächern und deren Forschungsergebnissen nur profitieren, wie auch andere, historisch gewachsene, geisteswissenschaftliche Ausrichtungen für einen an außereuropäischem Material geschulten Blick in der Regel sehr dankbar sind. Dass die Islamwissenschaft als sogenanntes "Kleines Fach" in der Lage ist, auf höchstem Niveau thematisch, räumlich und zeitlich breit zu arbeiten, zeigen wieder einmal die hier besprochenen Werke.
Da geht es etwa um die hervorragende Übersetzung und Kommentierung eines osmanischen astrologischen Tabellenalmanachs für das Hidschrajahr 1239/1240 (1824/25). (Conermann über Kurz) Solche Erschließung wichtiger Primärtexte ist für uns ebenso hilfreich wie für Vertreter anderer Disziplinen. Nützlich können aber auch Lexika sein, wenn sie denn eine gute Gesamtstruktur und eine inhaltlich klare Linie aufweisen. Dies scheint in der ersten westsprachigen Kirgistan-Enzyklopädie bedauerlicherweise nicht der Fall zu sein. (Eschment über Abazov) Der eindeutig aktuelle Schwerpunkt (mit einigen historischen Rückbezügen) zeugt von einer fehlenden Systematik und einer allzu nachlässigen Redaktion. Da kommen die in der Reihe Beck-Wissen regelmäßig erscheinenden Bände ganz anders daher. Sie informieren, nicht zuletzt aufgrund einer intensiven Betreuung durch versierte Lektoren, in komprimierter Form ausgezeichnet über historische Themen. Dies gilt auch für ein Buch zur Geschichte und Kultur des Mogulreiches in Südasien. (Franke über Conermann)
Eine andere Form der Wissensvermittlung stellen Bände dar, in denen substantielle Aufsätze einer Forscherpersönlichkeit zusammengefasst werden, die an ganz unterschiedlichen Orten erschienen sind. Bei dem in der Reihe Ashgate Variorum publizierten Buch "Science in the Medieval Hebrew and Arabic Traditions" von Gad Freudenthal handelt es sich eben um eine solche Sammlung von 16 Artikeln zur Wissenschaftsgeschichte und Naturphilosophie. (Orthmann über Freudenthal) Dass hier sowohl die jüdische wie auch die arabische Tradition in einem Buch vereint sind, bietet die höchst willkommene Möglichkeit, die philosophische Behandlung thematisch eng verwandter Fragestellungen miteinander zu vergleichen. Überhaupt lohnt aus unserer Perspektive immer ein Blick auf jüdisches Terrain. In einem der hier besprochenen Bücher (Hasselhoff über Deeg) wird unter anderem der durch arabisch-aristotelische Philosophie geänderte mittelalterliche und frühneuzeitliche Zugang zur Predigt im Judentum in den Blick genommen.
Festschriften haben normalerweise die Form von Sammelbänden. Hier kommt es aber meistens zu einem recht heterogenem Gemisch von Beiträgen. So auch in einem Band zu Ehren Colin Imbers anlässlich des Endes seiner Lehrtätigkeit an der Universität Manchester. (Mende über Kermeli/Özel) Obgleich die Herausgeber sich um eine Rahmenstruktur bemühen, präsentiert sich das Werk letzten Endes doch nur als Konglomerat von (zum größten Teil natürlich sehr guten) Artikeln zu unterschiedlichen Gegenstände und Perioden.
Historisch-anthropologische Themen stehen, das hat sich schon in den vergangenen islamwissenschaftlichen Foren gezeigt, in zunehmendem Maße im Mittelpunkt des Forschungsinteresses überwiegend jüngerer Kollegen und Kolleginnen. In dem hier vorgestellten Fall geht es um das Weltverständnis und das Menschenbild, wie sie sich aus umfangreichen Damaszener Biographiesammlungen aus der Zeit vom späten 16. bis zum 18. Jahrhundert rekonstruieren lassen. (Conermann über Berger). Aus dem Material gewinnt der Autor hochinteressante Aussagen etwa über gesellschaftliche Konflikte, Verbrechen, Wundermächte, Geisteskrankheiten, Tugenden, Mentalitäten, gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen und Laster aller Art. Einem ebenfalls biographischen Text, nämlich Mehmed Şeyhî Efendis (st. 1732/33) "Vekayiü'l-Fudalâ", hat sich Denise Klein gewidmet. (Conermann über Klein) Sie geht in ihrer Untersuchung der Frage nach, wie groß die soziale Mobilität innerhalb der Istanbuler Gelehrtenschaft (İlmiye) im 17. Jahrhundert gewesen ist und kommt zu dem (für die Fachleute) erstaunlichen Ergebnis, dass von einer institutionellen Benachteiligung vor der Zeit Ahmeds III. (1703-1730) ganz offensichtlich nicht die Rede sein kann.
Aber nicht nur neu erschlossene Quellen, sondern auch innovative Fragestellung führen häufig zu ganz bemerkenswerten Ergebnissen. Unter Anwendung aktueller narratologischer Ansätze gelangt Boaz Shoshan zu einer völlig neuen Lesart von at-Tabaris (st. 923) monumentalem Geschichtswerk "Die Geschichte der Propheten und weltlichen Herrscher". (Conermann und Eisenbürger über Shoshan) Dabei spricht der Verfasser den mittelalterlichen Chronisten ihren Wahrheitsanspruch nicht ab, doch sieht er gerade in dem Spannungsverhältnis zwischen diesem Postulat und der literarischen Ausformulierung der Geschichte den Reiz einer narratologischen Untersuchung. In diese Richtung kann sicher noch weiter gearbeitet werden. Zu den ganz zentralen islamwissenschaftlichen Forschungsfeldern, dessen Bedeutung vor allem für die Gegenwart sicherlich noch nicht genug erkannt ist, gehört auch der Rechtspluralismus. (Conermann über Kemper/Reinkowski) Die Wechselwirkungen und Verschmelzungen von Gewohnheitsrecht und islamischen, internationalem und staatlichem (kolonialem und post-kolonialem) Recht muss, so denke ich, noch stärker als bisher zum Gegenstand der Forschung werden.
Den Abschluss bildet kein wissenschaftliches Werk, sondern die im Pendo-Verlag erschienene Biographie der Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2004 Schirin Ebadi. (Amirpur über Ebadi) Wenn Ebadi von sich berichtet, berichtet sie, wie die Rezensentin schreibt, auch von der Islamischen Republik der letzten 29 Jahre, von normalen Kämpfen und normalen Leben, von einem Krieg und einem Alltag im Krieg. Der Lesern erfährt aus diesem Werk sicher mehr als aus vielen Sachbüchern zu Iran.
Ich wünsche allen wie immer eine erbauliche und vielleicht auch erhellende Lektüre!