KOMMENTAR ZU

Sigrid Hofer: Rezension von: Petra Tücks: Das Darmstädter Neue Palais. Ein fürstlicher Wohnsitz zwischen Historismus und Jugendstil, Darmstadt: Hessische Historische Kommission Darmstadt 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/02/11083.html

Von Petra Tücks

Einen jeden Autor wird es freuen, wenn seine Publikation wahrgenommen und, wie hier geschehen, in einer Rezension besprochen wird. Zu erwarten, zumindest wünschenswert, ist dabei ein Gegenüberstellen von Positivem und Negativem, Stärken und Schwächen des Inhalts in Form einer konstruktiv sachlichen Kritik. Die von Frau Sigrid Hofer verfasste Rezension meiner Arbeit empfinde ich hingegen als herablassend im Ton und ungerecht in der Sache.

Durchaus von mir beabsichtigt ist die "im Aufbau traditionell" (Hofer) gehaltene Arbeit. Denn es handelt sich um eine Baumonografie, die die familiären und baulichen Voraussetzungen des Darmstädter Neuen Palais, die Baugeschichte einschließlich späterer Veränderungen und die Wiederaufbauproblematik in der Nachkriegszeit behandelt. In der vergleichenden Studie werden die stilistischen Formvorbilder der Architektur und auch der Innenausstattung des Historismus und des Jugendstils ausführlich analysiert und auf bestimmte Aspekte hin untersucht.

Bevor ich auf die von Frau Hofer beanstandeten inhaltlichen Sachverhalte eingehe, möchte ich kurz den herablassenden und negativen Unterton ihrer Rezension beispielhaft hervorheben. So beschreibt Frau Hofer die Vorgeschichte als "wenig spektakulär", die Bestandsaufnahmen, die sich bestimmter Ausführungen "leider enthalten", als "detailverliebt", die gesamte "Abhandlung" als "aufwändig gestaltetes Inventar", das "immerhin" reichhaltiges unpubliziertes Material enthält. Die Aussagen von Frau Hofer hätten durch das Weglassen unter anderem des "leider" und des "immerhin" oder den neutralen Begriff der "detaillierten" Bestandsaufnahme gewiss nicht verloren. In diesem Zusammenhang gewinnt Frau Hofers Feststellung, "ungewöhnlich und ungeschickt gewählt ist der Grundriss", einen eigenartigen, fast schon komischen Unterton. Denn in ihrer negativen Gesamthaltung meiner Arbeit gegenüber könnte der Leser glauben, ich hätte diesen Grundriss so gewählt!

Inhaltlich kritisiert Frau Hofer, zunächst im Zusammenhang mit dem ersten, architekturhistorischen Teil meiner Arbeit, fehlende "tiefergreifende Aufschlüsse über die kulturhistorische Bedeutung des Palais als Zeugnis monastischer [sie meint "monarchischer", P.T.] Gegebenheiten". Doch gerade diese Aspekte sind im ersten, von Frau Hofer als "wenig spektakulär" bezeichneten Kapitel über "Notwendigkeit, Anspruch und Umsetzung" des Neuen Palais unter anderem anhand des Briefwechsels der Königin Victoria und ihrer Tochter herausgearbeitet; und nachfolgend in den "in extenso" (Hofer) gezogenen Vergleichen der Stilwahl, Bautypologie und Grundrissdisposition mit deutschen und englischen Residenzen (Kap. 3.3, v.a. 58-60, und Kap. 3.4, v.a. 61-65) und in Kap. 3.6 zur "Stellung des Neuen Palais innerhalb der historistischen Palastarchitektur des 19. Jahrhunderts". Die von Frau Hofer geforderte Untersuchung über die "Einflüsse der englischen Reformbewegung" bei dem durch die zuvor geführte Analyse als traditionell historistisch eingeordneten Gebäude scheint mir an dieser Stelle überflüssig (Kap. 3.3, 52-60).

Auch im zweiten und dritten Teil der Arbeit werden die von der Rezensentin bemängelten Bezüge von mir immer wieder aufgegriffen. Besonders im zweiten Teil zur historistischen Innenausstattung ist wiederholt auch das von Frau Hofer vermisste "Eindringen bürgerlicher Wohnvorstellungen in den fürstlichen Bereich" thematisiert, sowohl in den Beschreibungen der Räume und des Mobiliars als auch in der Analyse der Raumtypologie (Kap. 8-9). Vertiefend und vergleichend dargestellt wird die höfische Ausstattungskunst im europäischen Kontext, wie auch die zu erwartenden Einflüsse der englischen und deutschen Reformbewegungen im Kunstgewerbe in Kap. 10, das Frau Hofer lapidar als "illustrierte Stilfibel" bezeichnet.

Mit dem von Frau Hofer als veraltet empfundenen Zitat von Hanno-Walter Kruft, dass "Darmstadts Vermittlerrolle für englische Ideen nach Deutschland [...] bisher nur unzureichend gesehen worden" ist, übersieht sie zunächst, dass selbst die neuere Literatur auf der Grundlage des Kruft-Aufsatzes von 1977 argumentiert. Die von mir an dieser Stelle vorgetragenen "Folgen für Künstler und Auftraggeber" (249-251) präzisieren die Rolle von Großherzog Ernst Ludwig und seinem Auftrag an die englischen Arts-and-Crafts-Künstler H.M. Baillie Scott und C.R. Ashbee, deren Räume "als eine [!] Voraussetzung zur Gründung der Darmstädter Künstlerkolonie" genannt werden. (Teil III, Kap. 11.2.5.2) Vollkommen unbegründet und sachlich falsch schließt die Rezensentin den Satz an: "Doch fragt sich der Leser, wieso die Autorin nicht auf neuere Literatur zurückgreift". Ein Blick in mein umfangreiches Literaturverzeichnis hätte ihr dieses Fehlurteil erspart. Hier - wie auch in den Anmerkungen - sind der Katalog "Die Lebensreform" (388) sowie alle darin als wesentlich erachteten Aufsätze, unter anderem jener von Frau Hofer über "Die Ästhetisierung des Alltags ..." (393), aufgeführt, zudem weitere Publikationen bis einschließlich ins Jahr 2004. Direkt zitiert wird diese Literatur an relevanten Stellen, was Frau Hofer nicht erwähnt. Daher entsteht insgesamt der Eindruck, dass sie meine Arbeit nur unzureichend oder gar nicht vollständig gelesen hat. Dies schließe ich auch daraus, dass sie "eine übergeordnete Fragestellung, jenseits form- und stilgeschichtlicher Aspekte" als fehlend erachtet, wodurch die Darstellung laut Hofer "zerfällt"! Hätte die Rezensentin die einleitende Zielsetzung (17), in der neben der stilhistorischen Einordnung auch die Untersuchung des englischen Vorbilds und dessen generationenübergreifende Tradierung durch die Bewohner des Neuen Palais formuliert ist, zur Kenntnis genommen, hätte sie auch den daran entsponnenen "roten Faden" der Arbeit erkannt (zusammenfassend auch 343/344).

Dass Frau Hofer eine von Grund auf andere Arbeit erwartet hat, ist letztendlich aus ihrem Schlusssatz zu erkennen, in dem sie mir mangelnde Problemorientiertheit vorwirft. Allerdings verfolgt und setzt meine Arbeit ganz andere Ziele und Schwerpunkte als die von ihr geforderte Untersuchung, "die die bemühten Stillagen zumindest ikonologisch oder semantisch deuten würde." Bedauerlich und ungerecht ist, dass meine Ergebnisse stark verkürzt, verzerrt und teilweise auch falsch dargestellt werden. Anstelle der in vielen Punkten unpräzisen Mäkelei von Frau Hofer, die von vorne herein eine sachliche Auseinandersetzung verhindert, hätte ich mich über konstruktive und damit lehrreiche Kritik - "sine ira et studio" - gefreut.

Anmerkung der Redaktion:
Sigrid Hofer hat auf eine Replik verzichtet.