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Johannes Burkhardt / Stephanie Haberer: Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur (= Colloquia Augustana; Bd. 13), Berlin: Akademie 2000, 458 S., ISBN 3-05-003540-4, DM 98,00

Rezensiert von:
Karl Borromäus Murr
Historisches Seminar, Universität Eichstätt

Die historische Auseinandersetzung mit dem Westfälischen Frieden im Kontext seines 350jährigen Jubiläums hat die Aufmerksamkeit der Geschichtsforschung vermehrt auf die bisher weniger beachtete unmittelbare wie längerfristige Rezeption dieses Friedens gelenkt. [1] Dadurch gelangen auch die mehr oder weniger zyklisch wiederkehrenden Feiern, die im Gefolge des Friedensschlusses von 1648 eingerichtet worden sind, verstärkt in den Gesichtskreis der Historiographie. Die 350jährige Wiederkehr des Augsburger Friedensfestes, das von 1650 bis heute gefeiert wird, nahm das Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg zum Anlaß, "um erstmals systematisch den Hintergrund und Charakter" dieses Festes, "seine Ursprünge, Wandlungen und Formen unter verschiedenen historischen Forschungsperspektiven zu untersuchen" (9). Der von Johannes Burkhardt und Stephanie Haberer herausgegebene Sammelband fasst die Erträge dieser "ersten wissenschaftlichen Annäherung an das Thema" (9) zusammen.

Die Annäherung an das Augsburger Friedensfest vollzieht sich thematisch in vier Schritten. Vier Kurzbeiträge unter dem Titel "Perspektiven der Festinterpretation" eröffnen den Sammelband mit einer prägnanten methodologischen Ortsbestimmung des Untersuchungsgegenstandes. Diesen jeweils nur etwa vierseitigen Beiträge, die aus den Federn von Etienne François, Heinz Duchhardt, Gunther Wenz und Paul Münch stammen, wird die Aufgabe zugewiesen, Interpretationsperspektiven hinsichtlich des Augsburger Friedensfestes zu formulieren. Während jedoch die Überlegungen von François, Duchhardt und Münch in Auseinandersetzung mit den Themenkomplexen "Fest" und "Erinnerung" in mehr oder weniger ausdifferenzierte Fragenkataloge münden, nehmen sich die Ausführungen von Wenz in diesem Zusammenhang etwas erratisch aus, da ihnen ungeachtet des interessanten Blicks auf Hobbes' Leviathan nicht eigentlich eine konkrete Forschungsperspektive zu entnehmen ist.

Der zweite Hauptteil des Sammelbandes kreist mit sieben Aufsätzen um den Zusammenhang von Friedensfest und Toleranz. Winfried Schulze und Wolfgang Weber gehen in ihren ideengeschichtlichen Studien der Entstehung des Toleranzgedankens im Reich in der Frühen Neuzeit nach. In Pointierung seiner bereits bekannten Überlegungen gelangt Schulze in Auseinandersetzung mit dem deutschen Reichsrecht und der politischen Theorie für das 16. Jahrhundert zu dem Schluss, dass im Gefolge des Augsburger Religionsfriedens bereits erste Ansätze zu einem "modernen" Toleranzverständnis zu entdecken seien, so vor allem in der politisch motivierten Anerkennung konfessionellen Dissenses im Verein mit einem sich neu herausbildenden, auf das Individuum hin orientierten Rechtsverständnis. [2] Ähnlich wie Schulze kommt Weber in seiner konzisen Untersuchung über den Zusammenhang von Staatsräson und Toleranz zu dem Ergebnis, dass politikfunktionale Überlegungen praktisch auf eine Art Toleranz im Sinne einer Entschärfung des Konfessionskonfliktes hinausliefen, wenngleich der Durchbruch zur Toleranz als produktive Pluralität noch in weiter Ferne lag. Bernd Roeck, der für die frühneuzeitliche Geschichte Augsburgs besonders ausgewiesen ist, wendet sich konkret den konfliktregulierenden Lösungsversuchen der Konfessionsproblematik in dieser Reichsstadt bis zur Zeit des Westfälischen Friedens zu. Das alltägliche Funktionieren der Augsburger Parität nach 1648 führt dann Wolfgang Wüst materialreich und quellennah im Spiegel von Policeyordnungen, Urgichten, der Acta politica ecclesiastica und Zensurakten vor Augen. Martin Brecht, Hans-Otto Mühleisen und Marianne Sammer blicken sodann auf das Augsburger Friedensfest vor allem in der Auseinandersetzung mit den sogenannten "Friedensgemälden", einem in der Kunstgeschichte singulären Corpus von Kupferstichen, die von 1651 bis 1789 alljährlich im Auftrag der protestantischen Pfarreien an ihre Schuljugend verteilt wurden. Mühleisen, der die Friedensgemälde als politische Lehrstücke begreift, betont den polemischen Charakter dieser Stiche, die im innerstädtischen und interkonfessionellen Diskurs Augsburgs keineswegs auf Frieden und Toleranz ausgerichtet gewesen seien. Sammers Untersuchung bestätigt im Grunde Mühleisens These, indem sie ihren Fokus auf die katholischen Predigtrepliken auf protestantische Provokationen richtet, wie sie auch in den Friedensgemälden zum Ausdruck kamen. Dagegen will Brecht in den Friedensgemälden eine grundsätzlich friedens- und religionspädagogischen Ausrichtung erkennen. Dieser Schlussfolgerung, die aus einer binnenprotestantischen Perspektive heraus formuliert scheint, kann jedoch angesichts der Ausführungen von Mühleisen und Sammer, vor allem aber angesichts der Augsburg-Monographie von Etienne François [3], die allesamt die protestantische wie auch die katholische Seite gerade in ihrer Dialektik in den Blick nehmen, wenig Überzeugungskraft zukommen.

Der dritte Hauptteil des Sammelbandes versucht, das Augsburger Friedensfest in kulturgeschichtlicher und vergleichender Perspektive in die protestantische Friedens- und Festkultur der Frühen Neuzeit einzubetten. Claire Gantet, die eine Bestandsaufnahme sämtlicher deutscher und europäischer Friedensfeiern im Gefolge des Westfälischen Friedens erarbeitet hat [4], skizziert für das Reich die Ausbreitung dieser fast ausschließlich von Lutheranern begangenen Feste und konturiert vor diesem Hintergrund die Besonderheit des Augsburger Friedensfestes. Katrin Keller widmet sich nicht speziell den Feierlichkeiten anlässlich des Westfälischen Friedensschlusses, sondern vielmehr dem allgemeineren Typus der Friedensfeste, dem sie in Kursachsen für das 17. und 18. Jahrhundert nachgeht. Ihre Ausführungen erweisen sich in mehrfacher Weise als instruktiv. Der Autorin gelingt einerseits eine festtypologische Erfassung der sächsischen Friedensfeierlichkeiten und ihrer formalen Weiterentwicklung in der Frühen Neuzeit. Andererseits lenkt sie ihren Blick immer wieder vergleichend auf das Augsburger Friedensfest, wodurch dessen charakteristischen Spezifika besonders deutlich hervortreten. Als einen weiteren Typus protestantischer Festkultur stellt Hermann Ehmer am Beispiel südwestdeutscher Reichsstädte das Reformationsjubiläum 1717 vor, dessen Feierlichkeiten er in ihrer Vernetzung, inhaltlichen Ausrichtung und medialen Vielfalt anschaulich vor Augen führt. Vornehmlich musikgeschichtlich nähern sich dem Themenfeld Friedensfest Erich Tremmel und Dietz-Rüdiger Moser. Während Tremmel eine knappe, vor allem gattungsgeschichtliche Herleitung der Festmusiken mit Ausblick auf das Augsburger Kantorat an St. Anna bietet, stellt Moser, der den untersuchten Festmusiken grundsätzlich eine politisch-demonstrative Funktion zuschreibt, nicht nur in den Feierlichkeiten nach 1648, sondern auch in den Säkularfeiern von 1748 und 1848 einen protestantischen Triumphalismus gegenüber dem Katholizismus fest. Die Kunsthistorikerin Dorothea Band stellt schließlich konkret eine Reihe privater Stiftungen vor, die in Augsburger Kirchen anlässlich des Friedensfestes erfolgt waren.

Unter der Überschrift "Tradition und Innovation" gibt der abschließende Hauptteil des Sammelbandes einen Ausblick auf das 19. und 20. Jahrhundert. Stefan Laube schildert dabei die konfessionelle Erinnerungskultur Augsburgs für die Zeit des Königreiches Bayern. Frank Möller zeichnet den schrittweisen und immer wieder konfliktreich verlaufenden Wandel im konfessionell geteilten Augsburger Bürgertum des 19. Jahrhunderts von der Parität zur modernen Glaubens- und Gewissensfreiheit nach. Gerhard Hetzer verfolgt schließlich die Entwicklung des Augsburger Friedensfestes über seine Abschaffung als Feiertag im Dritten Reich und seine Wiedereinführung 1949 bis hinein in die jüngste Zeitgeschichte.

Ein Anhang schließt den inhaltlichen Teil des Sammelbandes: Mit dem Abdruck einer von Wolfgang Seitz stammenden Untersuchung, die 1969 die Augsburger Kupferstiche zum Friedensfest erstmals erschlossen hat, wird diese grundlegende, bislang aber nur sehr schwer zugängliche Studie einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Ein Orts- und Personenindex dient als Erschließungshilfe für die Beiträge. Die 37, teils farbigen Abbildungen bereichern jenseits einer bloß illustrativen Funktion vor allem die kulturgeschichtlichen Beiträge. Ein wenig leidet der aufwendig gestaltete und beeindruckend rasch publizierte Band unter der nicht geringen Anzahl seiner Druckfehler.

Eine vertiefte inhaltliche Würdigung oder Kritik einzelner Beiträge dieses thematisch so vielfältigen Sammelbandes kann hier nicht geleistet werden. Deshalb müssen Beobachtungen allgemeinerer Natur genügen. Unstrittig kommt dem Band das Verdienst zu, das bislang noch wenig erforschte Augsburger Friedensfest in einem interdisziplinären, multiperspektivischen und komparativen Zugriff vor allem für die Frühe Neuzeit in den Blick genommen zu haben. Der Band leistet aber noch mehr, geht er doch zum Beispiel mit seinen ideengeschichtlichen Studien über die Entstehung des Toleranzgedankens, mit seinen Beiträgen zur Konfessionsproblematik in Augsburg oder mit den vergleichend angelegten kulturgeschichtlichen Untersuchungen zur frühneuzeitlichen protestantischen Festkultur weit über den zunächst anvisierten Untersuchungsgegenstand des Augsburger Friedensfestes hinaus, so dass eine allgemeine Friedenskultur sichtbar wird. Schließlich: Die Untersuchung des Friedensfestes als protestantischen Festtyps bietet nicht zuletzt wertvolles Material zum (künftigen) Vergleich mit der zeitgleichen katholischen Erinnerungskultur.

Richtet man das Augenmerk auf die Variationsbreite der im Sammelband vertretenen Beiträge, kann indes auch der Eindruck einer starken Heterogenität der 20 Einzelstudien entstehen, deren konzeptioneller Zusammenhang dem Leser im einzelnen nicht immer einsichtig erscheint. Von daher mag sich auch die Wahl des additiven Buchtitels erklären, der die Disparität der Beiträge mit Hilfe eines sehr weit gefassten Kulturbegriffes einzufangen versucht, dessen Ausfaltung in die Begriffe 'Toleranz-, 'Friedens- und 'Festkultur' zudem nur ansatzweise reflexiv eingeholt wird. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass der vorgelegte Sammelband durch seinen sehr breit angelegten Zugriff auf das Augsburger Friedensfest gerade einer Gefahr entgeht, vor der Lynn Hunt, die bekannte amerikanische Vertreterin der ´New Cultural History´, ausdrücklich gewarnt hat: der Gefahr nämlich vor der Verengung kulturgeschichtlicher Forschung auf einzelne Themen, wodurch der Sensus für deren Zusammenhang und deren Interaktion mit anderen historischen Wirklichkeiten allzuleicht verloren geht. [5]

Anmerkungen:

[1] Vgl. Heinz Duchhardt (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte, München 1998.

[2] Vgl. Winfried Schulze: Pluralisierung als Bedrohung: Toleranz als Lösung. Überlegungen zur Entstehung der Toleranz in der Frühen Neuzeit, in: Heinz Duchhardt (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte, München 1998, S. 115-140.

[3] Etienne François: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648-1806, Sigmaringen 1991.

[4] Claire Gantet: Discours et images de la paix dans des villes d'Allemagne du Sud aux XVIIe et XVIIIe siècles, Diss. Paris 1999.

[5] Lynn Hunt: Introduction, in: dies. (Hg.): The New Cultural History, Berkeley 1989, S. 9.

Empfohlene Zitierweise:

Karl Borromäus Murr: Rezension von: Johannes Burkhardt / Stephanie Haberer: Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur, Berlin: Akademie 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=99>

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