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Joachim Bauer / Gerhard Müller: "Des Maurers Wandeln, es gleicht dem Leben". Tempelmaurerei, Aufklärung und Politik im klassischen Weimar (= Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte; Beiheft 32), Rudolstadt / Jena: Hain 2000, 159 S., ISBN 3-89807-007-7, DM 24,80

Rezensiert von:
Holger Zaunstöck
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

In seinen 1999 vorgelegten beiden Büchern - 'Das Goethe Tabu' und 'Unterirdische Gänge' - vertritt der amerikanische Germanist W. Daniel Wilson die These, dass das Interesse von Goethe und Carl August an den arkanen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts im wesentlichen durch obrigkeitsstaatliche Überwachungsintentionen motiviert gewesen, ihre Position mithin als geheimbundfeindlich einzustufen sei. Diese Auslegung deckt sich nicht mit den auf langjährigen Archivstudien basierenden Forschungsergebnissen der beiden Jenaer Historiker Joachim Bauer und Gerhard Müller. Die Niederschrift ihrer hier anzuzeigenden kleinen Monographie über Freimaurerei, Aufklärung und Politik im klassischen Weimar ist deshalb durch das Erscheinen der Wilsonschen Bücher (mit)ausgelöst worden. (13 f.; 143) Die Gegenthese, die die Autoren entwickeln, besagt, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Staatspolitik oft ohne ein Eingebundensein in die europaweiten Verzweigungen der Freimaurerei nicht zu machen gewesen ist: "Man würde aber diese Motivationslage wesentlich verkennen, wenn man dieses zweifellos in starkem Maße staatlich-politische Interesse an der Freimaurerei auf die Überwachung einer etwaigen systemoppositionellen Subversion einengen wollte." (22)

Nicht zu Unrecht konstatieren Bauer und Müller, dass die bisherige Kritik an Wilsons - über die Wissenschaft hinaus viel beachteten - Arbeiten "im Kern keine wissenschaftliche", die Empörung der Kritiker in den Feuilletons "merkwürdig hilflos" war (15 f.). Mit ihrer Studie legen die beiden Geschichtswissenschaftler jetzt einen ersten quellenfundierten Gegenentwurf dazu vor. Die Ergebnisse der Studie von Bauer und Müller sind weniger aufsehenerregend und auch keineswegs ähnlich medienwirksam, sondern ausgewogen, im historischen Kontext verwurzelt. Die Autoren richten ihre Argumentation ganz auf die Widerlegung von Wilsons These aus - gleichwohl handelt es sich nicht um eine Widerlegungsschrift im eigentlichen Sinn. Denn im Mittelpunkt steht der Aufbau einer eigenen Argumentation, die in allen Stufen Wilsons Analyse und Auslegungen im Blick hat. So hat der Leser zeitgleich die Möglichkeit, der Dramaturgie von Bauer und Müller zu folgen und ebenso in die Wilsonschen Überlegungen (kritisch) eingeführt zu werden.

Die Verfasser konstatieren zu Beginn, dass Daniel Wilson in den 'Unterirdischen Gängen' "die Quellen allein daraufhin [befragt], ob sie sich als Indizien für die Beweisführung des 'Überwachungs'-Motivs eignen" (19). Folglich ist die Kritik von Bauer und Müller an dieser Methode fundamental: Wilson missachte Grundprinzipien geschichtswissenschaftlicher Arbeit, es fehle in seinen Büchern "das Verständnis der jeweiligen historischen Situation in ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität sowie die Beachtung des aktuellen Forschungsstandes" (16 f.). Eben dies machen sich Bauer und Müller zur Maxime ihrer eigenen Forschung: "Insbesondere sind jene Perspektiven freizulegen, die zeigen, dass die Motivationen für das freimaurerische Engagement bei Goethe und Carl August anders, vor allem aber erheblich komplexer und vielschichtiger war, als Wilsons 'Überwachungs'-These suggeriert" (20).

Für das Verstehen arkangesellschaftlicher Aktivitäten im 18. Jahrhundert ist es unverzichtbar, die Gemengelage aus individuellen, politischen und literarisch-philosophischen Motiven und Interessen zu entflechten. [1] Nur so ist eine dem Gegenstand angemessene Deutungstiefe zu erreichen. Bauer und Müller versuchen diesem Anspruch gerecht zu werden, indem sie die Weimarer Situation in den freimaurerischen bzw. staatlich-politischen Gesamtkontext stellen. (zum Beispiel 123) Nach einer Einführung in den Forschungsstand ("Goethe und die Geheimbünde. Zur Kontroverse um Goethes Freimaurertum") folgt in zwei Kapiteln die Darstellung der 'Strikten Observanz' - das beherrschende freimaurerische System der Zeit wird hier erstmals ausführlich im Kontext der politischen Führungsschichten des Reiches gesehen - und die Beschreibung der Weimarer Logengeschichte von 1764 bis 1808. Im vierten, letzten Abschnitt der Studie gehen die Autoren dann dezidiert auf die Motive des Dichters und des Herzogs ein ("Einstieg in die ,unterirdischen Gänge"). Abgerundet wird das Buch durch einen Quellenanhang, der wesentliche Dokumente für die analysierten Vorgänge enthält (siehe dazu 89).

Wir können an dieser Stelle nicht dem Für und Wider der Fülle einzelner Aspekte folgen, um die hier zum Teil vehement vorgetragene Kritik an Wilson zu reflektieren. Der methodische Ansatz von Bauer und Müller, die Verflechtungen zwischen dem 'Unterirdischen' und dem 'Oberirdischen' in der Zeit des Ancien régime zu untersuchen (vgl. 21-23; 31; 40 ff. u. insb. die Kapitel 3 u. 4), überzeugt jedoch uneingeschränkt. Bauer und Müller zeichnen eindringlich nach, dass um 1780 die große Politik sich in massiver Weise der Arkanwelt bedient hat: Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die Koinzidenz der freimaurerischen und politischen Karriere Goethes in dieser Zeit (insb. 101 ff.).

Die Verknüpfung der Aktivitäten in der freimaurerischen Welt mit den Vorgängen der 'sichtbaren' Politik ist ein innovativer Ansatz, der für das Verständnis der spätaufklärerischen Gesellschaftsgeschichte gewinnbringend sein wird. [2] Außerdem gelingt es Bauer und Müller, einen Beitrag zur Kommunikationsgeschichte des Aufklärungsjahrhunderts zu liefern. Denn sie lesen das europaweit verzweigte und vernetzte Organisationsgeflecht der Freimaurer als ein modernes Kommunikationssystem, dessen sich die politischen Handlungsträger bedienten (21f.; 31; 51 f.; 96; 101 f.; 121). Auf die Partizipation an derartigen Netzwerkstrukturen konnten auch Carl August und Goethe - zumal aus Sicht ihres Kleinstaates (zum Beispiel 104-107) - nicht verzichten: "In einer deutschen Freimaurerloge der 1770er und 1780er Jahre rezipiert zu sein, zumal in der zum gesellschaftlichen Establishment gehörenden 'Strikten Observanz', wirkte wie ein Kreditiv, das - zumal in Verbindung mit dem Adelstitel - verschlossene Türen zu öffnen und vielfältige Kontakte zu schließen vermochte. In einer partikularen Staatenwelt, wie sie das Alte Reich darstellte, waren derartige 'private' Kommunikationsnetzwerke besonders für die kleinen Reichsstände eine politische Lebensfrage, denn sie konnten ein umfangreiches diplomatisches Korps schlicht nicht finanzieren" (102).

Die Autoren schließen ihre Studie mit dem vorläufigen Ende der Freimaurerei in Sachsen-Weimar (1782). Grund hierfür ist, dass sowohl Goethe als auch Carl August zwischen "Arkanum und Konspiration" - zwischen Loge und Geheimbund - unterschieden hätten. Bauer und Müller weisen die "Konstruktionen" Wilsons in bezug auf die Freimaurerei zurück - "weit ernster zu nehmen" seien aber seine Argumente für eine Überwachungsthese hinsichtlich des Illuminatenordens (121 f.), [3] dessen Ausbreitung sich in den achtziger Jahren organisationsgeschichtlich im Herzogtum anschloss. Und nicht nur der Konspirationsverdacht - so Bauer und Müller - gegenüber den tatsächlich im Verborgenen arbeitenden Bünden ließ den beiden Weimarern die Arkanwelt aus ihrer Sicht zunehmend dubios erscheinen, sondern ebenfalls die esoterisch-okkultistischen Strömungen in der Freimaurerei (9; 21 f.; 47-50; 66; 121). Hinsichtlich dieser beiden Bereiche ist eine Annäherung der Positonen von Wilson und Bauer/Müller durchaus erkennbar. (112 f.; 121)

Das Scheitern der Reformbemühungen um die 'Strikte Observanz' 1782 hatte auf Goethe und Carl August "zweifellos traumatisierend gewirkt", weshalb sie sich in den folgenden Jahren dann ganz auf die Beförderung des Aufklärungsdiskurses "im öffentlichen Bereich" konzentriert haben. Und dies auch deshalb, weil "sich die Kräfteverhältnisse im Geheimbundbereich weiter drastisch zu ungunsten der Aufklärer verschoben" (123 f.). - "Je mehr 'Aufklärung' und 'Öffentlichkeit' sich in den achtziger Jahren von der Arkanwelt emanzipierten, desto schärfer distanzierten sich auch Goethe und Carl August von ihr." (23) Dieser Ausblick über das Jahr 1782 hinaus ist jedoch letztlich nicht überzeugend, denn er wirft zwangsläufig Fragen auf: Warum ist die Partizipation am europäischen Freimaurernetzwerk nach 1782 für die Weimarer Politiker nicht mehr von Interesse? Wurden die maurerischen Kommunikationswege nur temporär genutzt? Und stimmt es wirklich, dass seit Mitte der achtziger Jahre die Aufklärer in der Arkanwelt im Rückzug begriffen waren, weil in Preußen die beiden Gold- und Rosenkreuzer Wöllner und Bischoffwerder (und auch der 'Kreuzbruder' Haugwitz) hohe politische Ämter erlangten?

Diese Überlegungen aber vermindern den Wert der Studie nicht, sondern eröffnen zusätzliche Perspektiven. Mit dem gut lesbaren und ansprechend illustrierten Buch von Joachim Bauer und Gerhard Müller liegt eine Studie vor, die nicht nur eine wissenschaftliche Debatte um die Thesen von W. Daniel Wilson eröffnet, sondern die gleichzeitig über den Raum Weimar-Jena hinaus für die gesellschaftsgeschichtliche Erforschung der Spätaufklärung anregend ist.

Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu die Hinweise bei Bauer / Müller im Kontext der 'Strikten Observanz' und auf Friedrich Jacob Freiherr von Fritsch (33 u. 63-65); zu Goethe 89 ff., insb. 97.

[2] Vgl. exemplarisch: Monika Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung. Das Reichskammergericht im Netzwerk der Illuminaten. Wetzlar 1992 (Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung; Heft 14).

[3] Geheimräte gegen Geheimbünde. Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars, Stuttgart 1991.

Empfohlene Zitierweise:

Holger Zaunstöck: Rezension von: Joachim Bauer / Gerhard Müller: "Des Maurers Wandeln, es gleicht dem Leben". Tempelmaurerei, Aufklärung und Politik im klassischen Weimar, Rudolstadt / Jena: Hain 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=97>

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