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Rudolf Schlögl / Fabio Crivellari / Eva Wiebel (Hg.): Fremde Nachbarn. Schweizer und Schwaben im westlichen Bodenseeraum 1400 - 1800, Konstanz: UVK 2000, CD-ROM, ISBN 3-87940-711-8, DM 29,80

Rezensiert von:
Julian Holzapfl
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Die Regionalgeschichtsschreibung ist zumeist mit dem Problem behaftet, sich einerseits auf dem neuesten Erkenntnisstand der Forschung und auf hohem wissenschaftlichen Niveau bewegen zu wollen, sich andererseits aber vorwiegend an ein nicht-fachliches Publikum zu wenden, das großes Interesse an der Geschichte der eigenen Heimatregion hat, aber nicht die Geduld und die Vorkenntnisse mitbringt, um theoretische Konzepte und terminologische Feinheiten nachzuvollziehen. Die anzuzeigende CD-ROM, Ergebnis einer Lehrveranstaltung mit anschließender mehrsemestriger Projektarbeit an der Universität Konstanz, ist ein Versuch, diese Kluft zu überwinden. Ziel der Publikation ist es, den westlichen Bodenseeraum als Region im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit darzustellen.

In seiner konzentrierten Einleitung zum Stichwort "Region" plädiert Rudolf Schlögl für eine Sichtweise der Region, die ihre Konturen aus der Kenntnis der historischen Entwicklung gewinnt, er sieht einen "eigenständigen Beitrag" der Geschichtswissenschaften zur "Konstruktion von Regionen". Die so postulierte "fundamentale Historizität der Region" erhebt die Erschließung der Regionalgeschichte zu einem wichtigen Beitrag für die Reflexion über heutige kollektive Identitäten, andererseits bietet sie aber auch einen guten Ansatzpunkt zur Erschließung historischer Phänomene allgemein, geht man vom geographischen Raum als Grenze des Erfahrungshorizontes der allermeisten Menschen aus. Aus der Beobachtung, dass Region durch die Verdichtung sozialer Kontakte und aus der Wahrnehmung dieser Verdichtung entsteht, ergibt sich der konzeptuelle Aufbau der CD-ROM: Den Kernbereich bilden die vier Textblöcke "Herrschaft", "Kommunikation", "Wirtschaft" und "Religion", die jeweils Grundkomponenten sozialer Lebensgestaltung beschreiben.

Der Themenblock "Herrschaft" hat seinen Schwerpunkt in der Geschichte der Stadt Konstanz und den spätmittelalterlichen Bündnissystemen des südwestlichen Reiches. "Kommunikation" widmet sich zunächst einer Darstellung des spätmittelalterlichen Botenwesens und seinem Übergang zu Frühformen einer staatlichen Post, thematisiert dann die Wechselwirkungen zwischen Buchdruck und Reformation und streift zuletzt den St.Gallener Buchdruck und Literaturbetrieb im 18. Jahrhundert. "Religion" thematisiert die Charakteristika und die institutionellen Missstände spätmittelalterlicher Religiosität und den Verlauf der Reformation in der Region. "Wirtschaft" streift kursorisch Orte und Wege des regionalen Wirtschaftslebens von den Schiffsordnungen auf dem Bodensee über die südwestdeutsche Textilwirtschaft bis zum Münzwesen.

Der westliche Bodenseeraum - als südwestliche Grenzregion des alten Reiches - bietet sich für die Regionalgeschichte der Frühen Neuzeit vor allem deshalb an, weil sich hier über die vier thematisierten Erfahrungsbereiche noch zwei überregionale Prozesse legen, die die regionale Geschichte gleichwohl entscheidend prägen: Einerseits das schrittweise Zerfallen der Region in zwei sich konsolidierende Herrschaftsgebiete, die Eidgenossenschaft und die beim Reich verbleibenden habsburgischen Territorien. Das Auseinanderleben der Bewohner des südlichen und des nördlichen Bodenseeufers in die im Untertitel genannten Schweizer und Schwaben durchzieht, wie schon im Untertitel angedeutet, alle Beiträge der CD-ROM als roter Faden. Zum anderen ist es die Reformation, die die politische Lage in der Region und das Selbstverständnis ihrer Bewohner entscheidend verändert. Vor allem der erste der beiden Aspekte hätte noch mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt: Hier wurde die Chance vergeben, diesen thematischen Strang in einem Fazit nochmals aufzugreifen und einzelne Beobachtungen und Argumente schärfer herauszuarbeiten.

Eine intelligente und stimmige Ergänzung zu den großen Textblöcken bietet dafür die "Geschichte der Kartographie": Auch wenn man sich hier noch mehr - und noch detaillierteres - Bildmaterial gewünscht hätte, lässt sich schön nachvollziehen, wie sich die Überlagerung eines regionalen durch das jeweilige quasi-nationale Zugehörigkeitsgefühl in der graphischen Darstellung des geographischen Raumes niederschlug.

Abgerundet wird das Angebot durch eine sehr ausführliche Bibliographie (deren Bestandteile übrigens nicht, wie ein suggestiv platziertes Werbebanner vermuten lässt, alle aus dem Universitätsverlag Konstanz stammen). Eine Sammlung relevanter Internetressourcen vermisst der Benutzer dagegen.

Einige kritische Bemerkungen seien an der sprachlichen und inhaltlichen Umsetzung der thematischen Einheiten angebracht: Mit einleitenden Definitionen von Fachbegriffen und historischen Konzepten wird zu Beginn ein Abstraktionsniveau angekündigt, das bei der verhältnismäßigen Kürze der Texte und der beschränkten Quellen- und Materialbasis naturgemäß nicht durchgehalten werden kann. Die oben erwähnten konkurrierenden Ansprüche der CD-ROM führen zu Passagen mit ungeschickten Formulierungen, die es dem Leser ein wenig schwer machen, die dargestellten Prozesse nachzuvollziehen: Die "Projektion von Herrschaft in den Raum" beispielsweise (mit Bezug auf die Expansion der Eidgenossenschaft zum südlichen Bodenseeufer) dürfte dem interessierten Laien dort, wo auf Belege, Erläuterungen und Beispiele verzichtet wird, weitgehend unklar bleiben. Als problematisch erweisen sich ferner die zahlreichen Schreibfehler, die einer sorgfältigeren Textredaktion hätten zum Opfer fallen müssen. Auch die Verwendung von Originalquellen, die der Darstellung Tiefe und Kontur hätten verleihen können, unterbleibt leider fast gänzlich, von den Bildquellen einmal abgesehen, doch mag dies der Urheberrechtsproblematik geschuldet sein. Für die wissenschaftliche Verwendbarkeit wirkt sich das Fehlen einer Seiten- oder Paragraphenzählung als Zitierhilfe negativ aus.

Die CD-ROM wurde auf der Basis von HTML-Dateien erstellt und für die Darstellung im Internet-Browsers Netscape Communicator optimiert. Die eventuell nötige Software ist auf der CD-ROM enthalten und kann problemlos installiert werden. Die Entscheidung für diese Lösung ist mit Blick auf die technische Machbarkeit und den Aufwand der Herstellung verständlich, limitiert aber die gestalterischen und interaktiven Möglichkeiten und provoziert damit die Frage, ob dann nicht eine Veröffentlichung im Internet dem CD-ROM-Medium vorzuziehen gewesen wäre.

Mit Recht und mit Erfolg wurde besonders viel Sorgfalt auf Übersichtlichkeit und auf die Verknüpfung der einzelnen Textteile verwandt. Die Navigation erschließt sich intuitiv, ein "Lotse" kann an jeder Stelle aufgerufen werden und erlaubt über ein Inhaltsverzeichnis eine Orientierung innerhalb des aktuellen Textabschnitts. Für Nicht-Fachhistoriker wurde mit dem Glossar, das auch aus den Texten heraus vielfach verlinkt ist, eine wertvolle Verständnishilfe eingerichtet. Die Kennzeichnung der verschiedenen Themenbereiche mit jeweils eigenen Farben und Symbolen ermöglicht zusätzlich ein leichtes Zurechtfinden. Darüber hinaus werden die interaktiven und multimedialen Möglichkeiten des CD-ROM-Mediums allerdings nicht ausgeschöpft. Das Fehlen von animierten Bildern, Ton- und Filmdokumenten liegt in der Natur des historischen Gegenstandes und deckt sich mit dem deutlich textorientierten Gesamtkonzept. Weniger leicht zu rechtfertigen ist jedoch, dass nur ein kleiner Teil der Bilder separat und in vergrössertem Format betrachtet werden kann. Es fehlt jede Möglichkeit, auf das Bildmaterial unabhängig vom umgebenden Text zuzugreifen. Der Benutzer vermisst auch die Möglichkeit, selbst ausgewählte und zusammengestellte Textpartien auszudrucken. Eine detaillierte Suchfunktion ist nicht implementiert. Hier macht sich die Abhängigkeit von den Möglichkeiten des Internet-Browsers, dem man sich anvertraut hat, negativ bemerkbar.

Wäre hier keine CD-ROM anzuzeigen, sondern ein im Internet umgesetztes studentisches Projekt, könnte die Bewertung nur positiv sein. So allerdings bleibt am Ende ein zwiespältiger Eindruck: Am klug gewählten Gegenstand, der theoriegestützten und konzeptuell überzeugenden Umsetzung, der klaren und schlichten graphischen Darstellung sollten sich manche professionell produzierte (und nicht zu vergessen: deutlich teurere) CD-ROMS ein Beispiel nehmen. Bei der inhaltlichen Verlässlichkeit, dem sprachlichen Niveau und der Ausnutzung des Mediums müssen dagegen deutliche Abstriche gemacht werden.

Empfohlene Zitierweise:

Julian Holzapfl: Rezension von: Rudolf Schlögl / Fabio Crivellari / Eva Wiebel (Hg.): Fremde Nachbarn. Schweizer und Schwaben im westlichen Bodenseeraum 1400 - 1800, Konstanz: UVK 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=112>

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