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Daniel Hohrath / Klaus Gerteis (Hg.): Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft: Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert. 1. Teil (= Aufklärung, Jg. 11; Heft 2), Hamburg: Meiner 1999, 130 S., ISBN 3-7873-1398-2, DM 50,00

Daniel Hohrath / Klaus Gerteis (Hg.): Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft: Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert. 2. Teil (= Aufklärung, Jg. 12; Heft 1), Hamburg: Meiner 2000, 144 S., ISBN 3-7873-1454-7, DM 50,00

Rezensiert von:
Max Plassmann
Universitätsarchiv, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

Es ist ungewöhnlich, Zeitschriftenbände zu rezensieren. Wenn im vorliegenden Fall eine Ausnahme gemacht wird, so geschieht dies aus zwei Gründen. Zum einen ist die "Aufklärung" mit ihren Themenheften Sammelbänden ähnlicher als einer herkömmlichen Zeitschrift. Und zum anderen weisen die beiden zu besprechenden Bände auf eine große Lücke hin, die in der Aufklärungsforschung klafft, und die es zu schließen gilt. An den beiden Bänden sollte also künftig niemand achtlos vorbeigehen, der sich der Epoche der Aufklärung widmet. Die vielfältigen, sowohl personellen als auch geistigen Verbindungen zwischen den Bereichen "Militär" und "Aufklärung" wurden bislang weitgehend übersehen oder negiert, jedenfalls nicht mit wünschenswerter Intensität untersucht. Dabei ging der Blick für die Wechselwirkungen verloren, die dem 18. Jahrhundert wesentlich selbstverständlicher vorkamen als heutigen Historikern, die, zumindest in Deutschland, nach der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges aus verständlichen Gründen Militär und Krieg eher stiefmütterlich behandelten, nichts mit diesen Themen zu tun haben wollten, und - vielleicht - die als fortschrittlich angesehene Aufklärung nicht mit dem als reaktionär empfundenen Militär in Verbindung bringen mochten. Auf diese Weise blieben wichtige Aspekte des Zeitalters der Aufklärung unterbelichtet, worauf die beiden zu besprechenden Bände hinweisen wollen.

Hervorzuheben ist zunächst der Aufsatz von Daniel Hohrath (Teil II, "Spätbarocke Kriegspraxis und aufgeklärte Kriegswissenschaften. Neue Forschungen und Perspektiven zu Krieg und Militär im Zeitalter der Aufklärung", 5-47), der einen umfassenden Überblick über die bisherige Forschung gibt und dabei immer wieder auf Desiderate und vielversprechende Fragestellungen aufmerksam macht. Seine Hinweise und Einsichten sind zu mannigfaltig, als dass sie hier alle aufgezählt werden könnten. Hohraths Forderung, zukünftig vermehrt den Krieg selbst und nicht allein das Militär als soziale Großgruppe neben anderen zu untersuchen, ist zuzustimmen. Schließlich wurden Armeen für diesen Zweck geschaffen: Krieg zu führen oder zumindest die Fähigkeit zur Kriegführung zu demonstrieren. Doch auch die Sozialgeschichte des Militärs ist zu weiten Teilen noch ungeschrieben, beispielsweise für die militärischen Mittelschichten, die Unteroffiziere und das subalterne Offizierskorps, die zwischen den Sichten "von oben" und "von unten" ein wenig beachtetes Schattendasein führen. Hohrath stellt die enge Einbindung des militärischen Bereichs in die Gesellschaft fest, ebenso die intensive Teilnahme von Offizieren am aufklärerischen Diskurs. Leider sind für die Erforschung der Offiziersbildung im 18. Jahrhundert - wie in so vielen Bereichen - große weiße Flecken zu konstatieren. Zu untersuchen ist in jedem Fall neben dem von Offizieren produzierten militärwissenschaftlichen Schrifttum die Wahrnehmung des Phänomens "Krieg" in der aufklärerischen Publizistik, um dann eine Antwort auf die Frage suchen zu können, in welcher Weise sich die Aufklärung in der Praxis auf die Armeen und die Kriegführung auswirkte. Insgesamt stellt Hohraths Forschungsüberblick sowohl ein Plädoyer zur Verbindung von Aufklärungs- und Militärgeschichtsforschung als auch eine Basis für die praktische Umsetzung dieses Programms dar.

Die weiteren Beiträge in beiden Bänden sind schon zu diesem zweiten Bereich zu zählen. In ihnen wird anhand einiger Beispiele demonstriert, dass Hohraths Programm nicht etwa ein blutleeres Postulat ist, sondern tatsächlich zu einer wechselseitigen Befruchtung führt und damit zum Vorteil beider Forschungsrichtungen umgesetzt werden kann. Es würde hier zu weit führen, jede der fünf weiteren größeren Abhandlungen im einzelnen zu würdigen. Christiane Büchel untersucht die militärischen Schriften des Frühaufklärers Johann Michael von Loen, der eine Reform des Offiziersstandes im aufklärerischen Sinne forderte (Teil I, "Der Offizier im Gesellschaftsbild der Frühaufklärung: Die Soldatenschriften des Johann Michael von Loen", 5-23). Auch in Michael Sikoras Beitrag "Ueber die Veredlung des Soldaten" (Teil I, Untertitel "Positionsbestimmungen zwischen Militär und Aufklärung", 25-50) stehen durch die Aufklärung motivierte Erneuerungs- und Reformbestrebungen des Militärs im Mittelpunkt. Joachim Thielen analysiert zwei Schriften, die exemplarisch zeigen, dass aufklärerisches Gedankengut in der bayerischen Armee Verbreitung gefunden hat, dabei allerdings auch unterschiedlich bewertet wurde (Teil II, "Das Militär, die Aufklärung und ihre Gegner. Zwei Beispiele aus dem bayerischen Heer", 49-71). Insgesamt zeigen die drei Beiträge deutlich, wie sehr aufklärerischer Diskurs und Militär im 18. Jahrhundert miteinander verwoben waren. Es lohnt sich daher, derartige Studien systematisch weiterzuführen. Die drei Abhandlungen zeigen, wie fruchtbar die Auswertung von Publizistik und theoretischen Abhandlungen sein kann. Dies trifft auch für Harald Kleinschmidts Arbeit über den Wechsel von einem mechanistischen zu einem biologistischen Weltbild zu, der allgemein im 18. Jahrhundert zu beobachten ist, und der - wie anhand von Exerzierreglements und theoretischen Schriften gezeigt wird - genauso im militärischen Bereich zu finden ist (Teil I, "Mechanismus und Biologismus im Militärwesen des 17. und 18. Jahrhunderts. Bewegungen - Ordnungen - Wahrnehmungen", 51-73, vgl. auch Teil I, 47 f.). Ein weiterer Beleg also dafür, dass die Armee integraler Bestandteil der Gesellschaft und kein isolierter Fremdkörper mit eigener Grammatik war.

Nach der Lektüre dieser Beiträge stellt sich allerdings im Anschluss an Hohrath die Frage, welche Auswirkungen denn das geschilderte Gedankengut auf die militärische Praxis, auf den Alltag der Soldaten aller Ranggruppen in Krieg und Frieden hatte. Eine Antwort darauf zu geben, wäre bei dem bisherigen Forschungsstand sehr gewagt, weshalb die Autoren gut daran taten, sie in der Regel zu vermeiden. Hier eröffnet sich ein weites, weitgehend unbestelltes Arbeitsfeld.

Etwas aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Wilfried Mönch, der die Rezeption der Armeen des 18. Jahrhunderts und ihrer Handlungen im 19. und 20. Jahrhundert vor allem am Beispiel Reinhard Höhns analysiert (Teil I, "Rokokostrategen. Ihr negativer Nachruhm in der Militärgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts. Das Beispiel von Reinhard Höhn und das Problem des moralischen Faktors", 75-97). Hier wird zwar wenig direkt über das 18. Jahrhundert ausgesagt, viel jedoch über die Gefahren einer unkritischen und ungeprüften Übernahme der Ergebnisse der traditionellen Militärgeschichte. Sich auf diese zu verlassen, ohne eigene Grundlagenforschung mit modernen Fragestellungen zu betreiben, würde sicher in die Irre führen. Nebenbei: Die zutreffende Beobachtung Mönchs, dass militärwissenschaftliches Gedankengut aus der Zeit vor 1945 in die Formulierung von Management- und Personalführungstheorien eingeflossen ist, würde manchen Betriebswirtschaftler überraschen.

Berichte über militärgeschichtliche Tagungen und die Kurzvorstellungen des Arbeitskreises "Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit", des Tübinger Sonderforschungsbereiches "Kriegserfahrungen, Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" und eines Auswertungsprojektes einer Wiener Zeitung aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges in Teil II runden das Bild ab. Hier wird deutlich, dass sich bereits eine Anzahl jüngerer und älterer Historiker daran gemacht hat, die Forschungslücken im Bereich frühneuzeitlicher Militärgeschichte zu schließen. So kann diese Besprechung mit einem optimistischen Ausblick enden. Die beiden Bände der "Aufklärung" resümieren die bisherige Forschung, stellen Desiderate fest und demonstrieren die Bedeutung und Fruchtbarkeit der Untersuchung der Verbindung zwischen "Militär" und "Aufklärung". Neben der Klage über fehlende Untersuchungen steht also der Blick in die Zukunft, der die Aufgabe gestellt wird, die erkannten Desiderate einzulösen.

Empfohlene Zitierweise:

Max Plassmann: Rezension von: Daniel Hohrath / Klaus Gerteis (Hg.): Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft: Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert. 1. Teil, Hamburg: Meiner 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=108>

Max Plassmann: Rezension von: Daniel Hohrath / Klaus Gerteis (Hg.): Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft: Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert. 2. Teil, Hamburg: Meiner 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 2, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=108>

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