Anke te Heesens kulturgeschichtlicher Streifzug durch Interieurs, in denen Frauen in ein Framing aus gemusterten Tapeten, geblümten Sofas und reich ornamentierten Teppichen eingebettet sind, beginnt einleuchtend mit einem Verweis auf Elfriede Jelineks Frauenraum - einen Text, der sich wiederum auf Virginia Woolfs berühmten Essay A Room of One's Own bezieht. Während Virginia Woolf 1929 dafür kämpfte, dass Schriftstellerinnen in einem eigenen Raum fernab von familiärem Trubel ungestört denken und schreiben können, fragt Elfriede Jelinek im Jahr 2000 provokativ, ob es damit, dass Frauen nun über eigene Räume verfügen, in denen sie reden und schweigen dürfen, tatsächlich getan sei. Anke te Heesen, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt Universität Berlin, ordnet das Bildmotiv 'Frauen vor Mustern' plausibel in eben diese Dialektik von Emanzipation und Einhegung ein: Die floralen Wandtapeten in Interieurs sind mal Anzeichen selbstbewusster weiblicher Aneignungsstrategie, mal Sinnbild der Gitterstäbe einer privat-häuslichen Sphäre, in die Frauen eingeschlossen bleiben.
Mit ihren präzisen Beschreibungen der Gemälde von Cézanne, Matisse, Vuillard, Gauguin, van Gogh und Klimt sensibilisiert Anke te Heesen zunächst für die subtilen Abhängigkeitsverhältnisse von Frau und Innenraum. Faszinierend zu sehen ist dann, dass die von der Autorin skizzierte Sujet-Tradition des späten 19. Jahrhunderts nicht nur in Bettina Rheims Fotografie Madonna, laughing and holding her breasts (1994) ihren Widerhall findet. Sogar die Werbekampagne eines Baumarkts aus dem Jahr 2023 bedient sich noch immer des altbekannten malerischen Wechselspiels von Figur und Grund, um 'Frauen als Ornament' zu feiern und zugleich 'Frauen im Ornament' unsichtbar zu machen. Hier ziert ein üppiges Blumendekor sowohl die Wand als auch die Bluse einer emanzipierten Heimwerkerin, wodurch ihr Körper als flächig und konturlos wahrgenommen wird. Die gemusterte Tapete schafft "einen camouflagehaften Kontext, der die weibliche Figur unkenntlich werden lässt" (32) und revitalisiert dadurch anachronistische Geschlechterrollen: Die Frau, die als wagemutige Do-it-yourself-Heldin Sympathien wecken und weibliche Kundschaft anlocken soll, wird zum bloßen Flächenschmuck degradiert.
Beeindruckend ist, mit welcher Leichtigkeit Anke te Heesen ihr Thema diskursiv verortet. Sie knüpft dabei an feministische Forschungsperspektiven von Griselda Pollock, an transmoderne Ansätze von Christian Kravagna, an die Kritik der Maschinenästhetik im Arts and Crafts Movement sowie an die Muster- und Ornamentdebatten seit Alois Riegl und Adolf Loos an. Trotz vieler Wechsel zwischen Zeitebenen, Medien und Bezugssystemen bleibt ihre Argumentation durchgehend stringent. So zeigt sie auf wenigen Seiten - unterstützt durch eine prägnante Bildauswahl -, dass die 'Frauen vor Mustern' um 1900 in der ikonografischen Tradition der Mariendarstellungen des 15. Jahrhunderts stehen. Gemusterte Tapeten übernehmen im 19. Jahrhundert die Funktion der reich ornamentierten Ehrentücher, die - seien es golddurchwirkte Webbahnen, mit Granatapfeldekor verzierte Stoffe oder brokatene Baldachine - einst Darstellungen weiblicher Heiliger hinterfangen haben. Durch diese flächenhaften Textilien entstand ein nobilitierender Binnenraum; zugleich wurde "das Textile zum spezifisch weiblichen Zeichen" (45).
Kaum ein Thema wird derzeit in der zeitgenössischen Kunst so intensiv diskutiert wie die politischen, historischen, technologischen, narrativen und geschlechterspezifischen Vorzeichen des Textilen. Selbst in diesem Diskurs macht Anke te Heesen auf Leerstellen in der Rezeption aufmerksam. Während die Geschichte des Gewebes häufig mit Bezug auf antike Frauenfiguren wie Arachne und Penelope erzählt wird, ist weitgehend übersehen worden, dass der Blick auf die mythische Gestalt der Philomena das Bedeutungsspektrum erheblich erweitert. Ovids Metamorphosen ist zu entnehmen, dass Philomena zu weben begann, nachdem ihr Schwager ihr nach einer Vergewaltigung die Zunge herausgeschnitten hatte. Das Textile wird hier zum Ersatz der verlorenen Stimme: Wie ein Holzschnitt von Edward Burne-Jones aus dem Jahr 1896 imaginiert, macht Philomenas Webtuch einen Teil ihrer Gewalterfahrung sichtbar und eröffnet ihr so einen Weg aus der Ohnmacht. "Maria und Philomena geben für das Motiv Frauen vor Mustern und dessen Changieren von Figur und Grund entscheidende Hinweise. Die Hintergründe der weiblichen Figuren verknüpfen weit entfernte, wenn nicht außerweltliche Zonen (im Fall Marias) und den Bericht über eine vergangene grausame Tat (im Fall Philomenas) miteinander. Die Einbettung der Figuren ermöglicht ihnen so eine spezifische Beredsamkeit im Raum und ist durch eine bedeutsame, gar erzählende Ornamentik gekennzeichnet." (48/49)
Zentral für Anke te Heesens Überlegungen ist, dass Muster und Ornament den Betrachtenden solcher Bilder ein ständiges Vor und Zurück, ein Aushandeln zwischen Fläche und Raum, Nah- und Fernsicht, Taktilem und Optischem abverlangen. Die Frauenfiguren aber, die um 1900 von Künstlern in die Nähe zum Textil, zur Tapete und zum Teppich gerückt wurden, mündeten ein in "ein geordnetes und rhythmisiertes Binnenuniversum" (68). Während ihre Darstellungen die Betrachtenden dazu anregten, den Blick zwischen Figur und Grund hin und her wechseln zu lassen, um neue Wahrnehmungsmuster zu stimulieren, saßen die Frauenfiguren verschmolzen mit den Ausstattungselementen des bürgerlichen Innenraums im emblematischen Ornament fest.
Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Künstlerinnen, gegen dieses Schema zu opponieren, indem sie die Egalitäts- und Rationalitätsansprüche des Musters zu ihrer Sache machten. Den widerständigen Bildfindungen von Frauen vor, in und mit Mustern ist der Schlussteil des Buches gewidmet. Mitglieder der Bewegung Pattern and Decoration wie Joyce Kozloff, Miriam Schapiro, aber auch Gleichgesinnte wie Sylvia Sleigh orientierten sich an asiatischen Bildauffassungen, an islamischen Bodenmosaiken und an US-amerikanischen Quilts. Sie setzten sich für die Aufwertung anonymer Frauenarbeit ein und stellten die Hierarchie zwischen high and low culture in Frage. Der Wallpaper Mimicry, die - wie in der erwähnten Werbekampagne des Baumarktes - Frauenfiguren im Wanddekor optisch verschwinden lässt, machte die US-amerikanische Künstlerin Francesca Woodman bereits 1976 den Garaus. Eine Fotografie innerhalb der Serie Space gibt die Künstlerin provisorisch mit einem Tapetenstück bekleidet wieder, so dass der Blick der Betrachtenden weder auf ihr Gesicht noch auf ihr Geschlecht, sondern auf die nackte Wand fällt. Anke te Heesen hebt hervor, dass sich die Figur hier eben nicht dem Grund angleicht: "Der gemusterte Hintergrund, die über Jahrhunderte als von männlichen Künstlern passend empfundene Rahmung der Frau, wird durch Woodman (...) selbstbewusst auseinandergenommen." (99) Durch den weiten kulturhistorischen, anthropologischen und gesellschaftspolitischen Horizont, den Anke te Heesen in ihrer interdisziplinären Studie zu Frauenräumen aufspannt, beweist sie eindrucksvoll, dass eine Motivgeschichte auch heute noch zu wichtigen wissenschaftlichen Ergebnissen führen kann und zudem mit großem Gewinn und Vergnügen zu lesen ist.
Anke Te Heesen: Frauen vor Mustern. Ein Bildmotiv und seine Geschichte, Berlin: Wagenbach 2025, 160 S., ISBN 978-3-8031-3752-4, EUR 18,00
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