Die Dominikanerkirche Santa Maria Novella in Florenz wird schon immer als besonders schöne Kirche wahrgenommen, groß und großzügig und auf das Feinste mit Kunstwerken ausgestattet. Die Architektur beschreibt Caroline Bruzelius als "radikal neu" und "moderner als alles im Frankreich des 13. Jahrhunderts". [1] Als Baumonographie gab es bislang das gediegene Buch von James Wood Brown aus dem Jahr 1902, in letzter Zeit kam die vorzügliche Dissertation von Frithjof Schwarz hinzu, die allerdings mit der sepulkralen Ausstattung einen anderen Schwerpunkt hat und zunächst nicht die Architektur fokussiert. [2] Dennoch muss sich das Buch von Elizabeth Bradford Smith, Professorin Emerita der Pennsylvania State University, vor dem Hintergrund des mit den genannten Titeln erreichten Forschungsstandes lesen lassen, und tatsächlich darf die Arbeit in Zukunft für zahlreiche Aspekte einer Baugeschichte nach traditionellem Muster als Referenz gelten, etwa betreffs Datierungsfragen - hier dem Baubeginn - oder den architektonischen Vorbildern: Hielt Schwarz noch am Baubeginn im Jahr 1246 fest, kehrt Bradford Smith mit guten Gründen zur auch quellenmäßig gut fassbaren Grundsteinlegung im Jahr 1279 zurück. Datierungsfragen sind bekanntlich Verständnisfragen, um an ein Credo von Robert Suckale bzw. Wilhelm Pinder zu erinnern. [3]
Das Thema der möglichen Vorbilder wird wesentlich breiter diskutiert als nur polarisierend zwischen der mittelitalienischen Zisterzienserarchitektur und der Grabeskirche des Ordensgründers in Bologna. Hier geht es auch um Vermittlungswege. Der - allerdings nur versteckt publizierte - Hinweis von Jürgen Wiener auf die formale und bautypologische Verwandtschaft mit dem Sieneser Dom als einer modernen und vollständig gewölbten Kirche wird indes nicht diskutiert. [4] Einen Schwerpunkt der Arbeit macht die Beschäftigung mit dem Planwechsel von um etwa 1300 aus, als man beschlossen hatte, die vier Langhausjoche zu überwölben und nicht mit einem offenen Dachstuhl zu versehen. Gerade diese Maßnahme markiert die besondere baukünstlerische Qualität von Santa Maria Novella und stellt das hohe Anspruchsniveau der Kirche heraus, zumal das Wölben eine der größten Herausforderungen im Bauwesen ist.
Methodisch nimmt Bradford Smith für sich in Anspruch, reverse engineering zu betreiben. Das klingt schicker als es ist, denn tatsächlich wird zunächst und vor allem Schritt für Schritt der Entstehungsprozess rekonstruiert. Reverse engineering taugt vermutlich vor allem dazu, klischeehafte Vorstellungen von Planungs- und Entstehungsprozessen mit den Mitteln der Bauforschung abzuräumen. [5] Dankbar ist man in jedem Falle für die zahlreichen Diagramme und Rekonstruktionszeichnungen, auch wenn sie ein wenig generisch wirken.
Weit über den Rahmen einer grundsoliden Baumonographie hinaus liest man mit Gewinn zudem Kapitel, in denen die Baugeschichte enggeführt wird mit dem Projekt der neuen Stadtmauer und ihrer Tore ab dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, zur Rolle der als Laienarchitekten tätigen Ordensbrüder, zum Steinmaterial und zu Fragen der Baufinanzierung. Solche Bücher wie das hier anzuzeigende gibt es meines Erachtens viel zu wenige. Sie sind Frucht einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Bau und der mittelalterlichen Architekturgeschichte.
Anmerkungen:
[1] Caroline A. Bruzelius: A Rose by Any Other Name: The 'Not Gothic Enough' Architecture of Italy (Again), in: Reading Gothic Architecture, ed. by Matthew M. Reeve, Turnhout 2008, 93-109, hier 106.
[2] James Wood Brown: The Dominican Church of Santa Maria Novella at Florence: A Historical, Architectural, and Artistic Study, Edinburgh 1902; Frithjof Schwarz: 'Il bel cimitero'. Santa Maria Novella in Florenz 1279-1348. Grabmäler, Architektur und Gesellschaft, Berlin 2009. Vgl. dazu auch die Besprechung von Jürgen Wiener in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 2, 15.2.2011, https://www.sehepunkte.de/2011/02/17422.html.
[3] Robert Suckale: Datierungsfragen sind Verständnisfragen. Zur Einordnung der Kölner Domchorstatuen, in: Kölner Domblatt 77 (2012), 256-289.
[5] Vgl. etwa David Wendland: Reverse Engineering und experimentelle Archäologie - Forschungen zu Bau, Planungsprinzipien und Entwurfskriterien spätgotischer Zellengewölbe, in: Traces of Making. Entwurfsprinzipien von spätgotischen Gewölben, hg. von Katja Schröck / David Wendland, Petersberg 2014, 10-37, hier 20-25.
Elizabeth Bradford Smith: Building Santa Maria Novella. Materials, Tradition and Invention in Late Medieval Florence (= lermArte monografie; 32), Rom: L'Erma di Bretschneider 2022, 224 S., 100 Farb-Abb., ISBN 978-88-913-2609-6, EUR 100,00
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