sehepunkte 25 (2025), Nr. 12

Elizabeth Harding / Joëlle Weis (Hgg.): Gelistete Dinge

Listen gehören zu den unspektakulären Texten, mit denen wir alle ständig zu tun haben. Sie sind ubiquitär und alltäglich, werden als historische Quellen jedoch selten genauer untersucht. Dass sich dies durchaus lohnt, zeigt der vorliegende Sammelband mit Beiträgen in deutscher und englischer Sprache. Er ist aus einer interdisziplinären Tagung zum Thema "Objekt:Listen: Medialität von Dingverzeichnissen in der Frühen Neuzeit" hervorgegangen, die 2021 von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ausgerichtet wurde.

In dem Band werden Listen nicht um ihrer selbst willen betrachtet, sondern "um soziale, kulturelle und ökonomische Phänomene der Frühen Neuzeit aus einer medialen Perspektive zu beleuchten". Listen werden darin als "Aufzählungen von Dingen, Personen oder Ereignissen, die erst in der Gesamtbetrachtung etwas aussagen, also durch die Klassifikationen und/oder die räumliche Anordnung von Wissen" definiert. Dabei werden sowohl Material als auch Texte in einer "verschränkten Perspektive" betrachtet, um einerseits die "Eigenheiten der Epoche der Frühen Neuzeit in epistemischer, politischer und sozialer Hinsicht" zu erfassen und andererseits diese Erkenntnisse für die Listenforschung nutzbar zu machen. (11)

In den letzten Jahren hat die Erforschung von Listen, insbesondere in den Literatur- und Kulturwissenschaften, zugenommen. Wie die Herausgeberinnen in der Einleitung darlegen, werden die Listen als kulturelle und kommunikative Werkzeuge betrachtet, die sowohl soziale als auch epistemische Strukturen beeinflussen. Listen helfen dabei, Wissen zu produzieren, zu strukturieren und zu verarbeiten. Sie sind nicht nur Datenträger, sondern auch Medien, die soziale Werte und Normen widerspiegeln. Ein Beispiel dafür, wie Listen Handlungsmacht entfalten können, ist die Einkaufsliste.

Der erste Teil des Bandes befasst sich mit der Entwicklung von Listen im Zusammenhang mit Distanzkommunikation und Medialität. Listen spielen dabei eine entscheidende Rolle für die Entstehung administrativer Praktiken sowie für die Kontrolle und Verfügbarkeit von Informationen.

Der zweite Teil widmet sich der performativen Dimension von Listen. Der Fokus auf Performanz zeigt, wie Listen zur Vergesellschaftung beitragen und dabei einem Wandel unterliegen. Die Entwicklung von Sammlungs- und Auktionskatalogen verdeutlicht diesen Wandel. Listen beeinflussen soziale, politische und epistemische Ordnungen. Ihre Agency zeigt sich in ihrer Fähigkeit, Wissen zu objektivieren und zu standardisieren.

Im dritten Teil geht es um die Poetik von Listen - nicht nur literarischen - und ihrem engen Bezug zu Aufzählung und Erzählung. Listen werden unter anderem als "Gradmesser für historische, kulturelle und intellektuelle Veränderungsprozesse" verstanden. (21) Dabei rücken auch die Erfahrungen und Wahrnehmungen der Rezipient:innen von Listen in den Blick.

Die Bandbreite der Beispiele, die mit geschichtswissenschaftlicher, kunsthistorischer, literatur- und kulturhistorischer sowie architekturhistorischer Expertise untersucht wurden, ist erheblich: Marika Keblusek, Eva Dolezel und Björn Weyand befassen sich mit Katalogen von Wunderkammern, Margareth Lanzinger mit Vermögensinventaren, Louisa-Dorothea Gehrke mit botanischen Listen, Christina Brauner mit Gästelisten von Gesundbrunnen, Daniela Wagner mit Heiltumslisten, Tobias Winnerling mit Kräuterbüchern als Listen, Yashar Mohagheghi mit Listen und Serialität im Faustbuch von 1587 und Matthias Noell mit gelisteter Architektur. Die Frage, was eine Liste genau ist, wird in den Beiträgen sehr unterschiedlich beantwortet. Auch die zeitgenössischen Bezeichnungen variierten stark (Index, Verzeichnis, Katalog, Beschreibung, Inventar, "Specification" usw.).

Bei aller Vielfalt lassen sich jedoch einige übergreifende Befunde festhalten. Ob handschriftlich oder gedruckt: Listen waren in der Frühen Neuzeit kulturell wirksame Medien, die Wissen über Objekte und deren Biografien transportierten. Ihnen ist eine Historizität eigen. Nicht selten wurden Listen handlungsleitend, und die mit ihnen verbundenen Praktiken haben eine Geschichte. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass sich Listen im Laufe der Frühen Neuzeit immer schneller verbreiteten, ja, dass sie regelrecht 'wucherten'. Dadurch änderte sich auch die Epistemik der Listen, vor allem im 18. Jahrhundert. Der Anspruch auf Vollständigkeit musste aufgegeben werden, und die Listen wurden offener.

Zu den interessantesten Ergebnissen des Bandes gehört, dass die frühneuzeitlichen Listen auch Rückschlüsse auf das Zielpublikum und dessen Affekte (Staunen, Wundern) zulassen. Als visuelles Medium sind sie mitunter auch marktbezogen. Deutlich werden auch ständische und geschlechtsspezifische Unterschiede beim Erstellen und Nutzen von Listen, die bisher entschieden zu wenig untersucht wurden. Bei aller Objektbezogenheit verweisen viele der behandelten Listen auf soziale Gefüge und (intertextuell) auch aufeinander oder auf andere Texte.

Der Rezensentin fallen noch zahlreiche weitere Arten von Listen ein, die eine Untersuchung wert wären und in diesem Band nicht berücksichtigt werden. Wie sieht es beispielsweise mit Ranglisten aus, die in der Frühen Neuzeit bei politischen Großereignissen wie Friedensschlüssen, Reichstagen, Wahlen oder Krönungsfeiern eine so große Rolle spielten? Sie besaßen stets auch eine materielle Dimension und zählten in performativer Hinsicht zum Einschlägigsten, was die Frühe Neuzeit zu bieten hatte. Welche Rolle spielten Pack- und Ladelisten, die ebenso sehr auf Mobilität und Zirkulation von Dingen verweisen wie die hier untersuchten botanischen Listen, Vermögensinventare und Wunderkammerkataloge? Und wie lassen sich schließlich Checklisten, To-do-Listen und Fragenkataloge für Forschungsreisende, die besonders unmittelbar handlungsleitend waren, in das frühneuzeitliche Listenwesen einordnen?

All dies in einem einzigen Band abhandeln zu wollen, wäre unmöglich. Allenfalls hätte man bei der Auswahl der Beiträge zugunsten einer noch größeren Bandbreite auf den Schwerpunkt auf Wunderkammern verzichten können. Das wäre jedoch schade, da die drei Beiträge jeweils unterschiedliche Aspekte des sammlungsbezogenen Listenführens herausarbeiten. Die genannten Beispiele zeigen, dass noch viel zu tun bleibt - auch und gerade aus der hier zugrunde gelegten, überzeugenden Perspektive der Verschränkung von Materialität und Textualität.

Rezension über:

Elizabeth Harding / Joëlle Weis (Hgg.): Gelistete Dinge. Objekte und Listen in der Frühen Neuzeit (= Ding, Materialität, Geschichte; Bd. 6), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2024, 253 S., 35 s/w- und farb. Abb., ISBN 978-3-412-53079-2, EUR 50,00

Rezension von:
Sünne Juterczenka
Historisches Institut, Universität Greifswald
Empfohlene Zitierweise:
Sünne Juterczenka: Rezension von: Elizabeth Harding / Joëlle Weis (Hgg.): Gelistete Dinge. Objekte und Listen in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 12 [15.12.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/12/39375.html


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