sehepunkte 25 (2025), Nr. 12

Susanne Luther / Pieter B. Hartog / Clare E. Wilde (eds.): Jewish, Christian and Muslim Travel Experiences

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die 2020 in Groningen stattfand. Er bildet den 16. Band der Reihe Judaism, Christianity, and Islam - Tension, Transmission, Transformation (JCIT), die sich der Rezeption und Vermittlung von Ideen und Praktiken in den monotheistischen Traditionen des Judentums, Christentums und Islams widmet. Der Band sowie jeder einzelne Beitrag werden durch eine kurze Zusammenfassung ihres Inhalts eingeleitet. Diese Besprechung konzentriert sich auf ausgewählte Aspekte der Beiträge dieses Bandes. [1]

Schlägt man das Werk auf, das sich mit der "Reiseerfahrung" in einem religiösen Kontext befasst, könnte man zunächst eine Studie über Pilgerreisen [2] oder eine Analyse der praktischen Aspekte religiöser Reisen erwarten. Zwar wird die Art der Fortbewegung - zu Wasser oder zu Lande - erwähnt, doch analysiert wird hier vor allem die religiöse und spirituelle Dimension von Reisen, oft auch in metaphorischer Form. Das Thema der Reiseerfahrung im Rahmen verschiedener Reisetypen erscheint hier als roter Faden für den Vergleich zwischen den drei monotheistischen Religionen untereinander und mit den ihnen vorausgegangenen heidnischen Kulten. Die Beiträge analysieren sowohl literarische Darstellungen von Reisen als auch das Reisen in der Literatur.

Der Band geht zwei Leitfragen nach: Wie erlebten und interpretierten Reisende der Antike ihre realen oder imaginären Reisen und die Orte, die sie besuchten? Und welche Gemeinsamkeiten bestehen zwischen jüdischen, christlichen, islamischen und antiken Traditionen?

Verschiedene Beiträge unterstreichen den Zusammenhang zwischen der gelebten Reiseerfahrung, Unsicherheit und der Suche nach Weisheit, wobei die reale oder metaphorische Reise die spirituelle Erhebung ermöglichen soll. Reisen erscheinen jedoch auch als Mittel zum Aufbau einer individuellen und gruppenbezogenen Identität (Pieter B. Hartog und Robin B. Ten Hoopen). Robin. B. Ten Hoopen weist zudem darauf hin, dass reale Reisen nicht erforderlich waren, und betont die innere Reise des Gläubigen. Diese spirituelle Wandlung der Leser von Reiseberichten scheint sowohl von heidnischen als auch von christlichen Autoren angestrebt worden zu sein (Christoph Jedan, Nils Neumann und Sigurvin Lárus Jónsson). Diese Beobachtung ist für das Verständnis der untersuchten Texte zentral.

Verschiedene Aufsätze betonen den antiken griechisch-römischen Kontext und seinen Einfluss auf die Schriften der monotheistischen Religionen. Der Beitrag von Susanne Luther untersucht beispielsweise den Jakobusbrief, der an die 'Stämme in der Diaspora' gerichtet war, unter dem Gesichtspunkt der Globalisierung der römischen Welt. Briefe erscheinen, ähnlich wie Reisen, als Mittel der Vernetzung. In diesem Zusammenhang erscheint das frühe Christentum als aktiver Akteur innerhalb dieses kulturellen, sozialen, religiösen und intellektuellen Hypernetzwerks des antiken Mittelmeerraums. Zudem greifen einige Erzählungen antike Motive auf (Reuven Kieperwasser, Serge Ruzer) und passen sie ihren jeweiligen religiösen Zielsetzungen an. Ein Beispiel hierfür sind Geschichten über Schätze, die in den Tiefen des Meeres verborgen sind und von einer monströsen Kreatur bewacht werden. Diese Erzählung fungiert als Topos, der von jüdischen und christlichen Erzählern im Lichte ihrer jeweiligen religiösen Agenda umgeschrieben wurde. [3] Die resultierenden hybriden Texte verbinden biblische und mythologische Erzählmuster und verdeutlichen die kulturelle Wandlungsfähigkeit narrativer Strukturen.

Der Einfluss antiker Traditionen zeigt sich ebenfalls in der Kontinuität der Widmungen an die Gottheit Nehalennia (Gert van Klinken). Die Struktur der im zweiten nachchristlichen Jahrhundert an der Schelde bezeugten Weihinschriften findet sich in modifizierter Form auch in den christlichen Inschriften der frühen Neuzeit.

Mehrere Beiträge widmen sich zudem der antiken und biblischen Geografie. Ein Aufsatz untersucht die Geografie des Paradieses im Johannisevangelium (Theo Witkamp & Jan Krans). Andere beschäftigen sich mit Orten, die in religiösen Schriften erwähnt werden und a priori zur Rekonstruktion der Geografie antiker Regionen herangezogen werden könnten. Tobias Nicklas und Catherine Heszer zeigen jedoch, wie problematisch dieses Vorgehen ist. So folgen die Reisen des Barnabas in der Apostelgeschichte und der hagiografischen Literatur weder geografischer Logik noch historischer Genauigkeit; vielmehr dienen sie der Einbindung bestimmter Gemeinden in den narrativen Raum des frühen Christentums. Ebenso müssen geografische Angaben in rabbinischen Texten als Elemente einer "Geografie des Geistes" verstanden werden, die auf biblischen Prophezeiungen und monarchischen Erinnerungen basiert. Sie bieten daher keine präzise Topografie, sondern eine geistige Landschaft, was die mögliche Verarbeitung dieser Quellen völlig verändert.

Eine weitere Interpretation, diesmal der Reisen Vespasians, bietet Eelco Glas anhand der Studie von Flavius Josephus' Jüdischem Krieg. Er zeigt, dass Josephus im Verlauf seiner Darstellung Hinweise einstreut, die eine implizite Kritik am Kaiser ermöglichen. Durch die mehrdeutige Darstellung der kaiserlichen Reisen wahrt er die formale Loyalität, während die kritischen Akzente unter der Oberfläche verbleiben.

Der Band zeichnet sich auch dadurch aus, dass es versucht, die Denkweisen der heidnischen, jüdisch-christlichen und islamischen Traditionen zu vergleichen. Clare E. Wildes Artikel zur Wahrnehmung christlicher Klöster in muslimischen Regionen ist besonders lehrreich. In beiden Literaturen werden Klöster als Orte dargestellt, an denen gelegentlich grenzüberschreitende Begegnungen stattfanden. Es lässt sich eine Kontinuität mit der vorislamischen Zeit erkennen, wie auch von Paul L. Heck beobachtet. Sein Beitrag bietet wertvolle Einblicke in die vorislamische Literatur und deren Bedeutung für das Verständnis der islamischen Reiseliteratur. Er zeigt, dass das Streben nach wahrem Kult und ritueller Ordnung über die Jahrhunderte hinweg konstant blieb. Der Vergleich zwischen den muslimischen Quellen und denen anderer Kulturkreise erweist sich als fruchtbar und sollte in künftigen Arbeiten noch weiter fortgeführt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Sammelband insgesamt inhaltlich sehr reichhaltig ist. Er stellt sowohl für Religionshistoriker als auch für Historiker der Mobilität, die religiöse Quellen einbeziehen möchten, eine wertvolle Ressource dar.


Anmerkungen:

[1] Für das Inhaltsverzeichnis des gesamten Bandes: https://d-nb.info/1286241707/04

[2] Zum Beispiel: Jaś Elsner / Ian Rutherford (eds.), Pilgrimage in Graeco-Roman and Early Christian Antiquity: Seeing the Gods, Oxford 2005.

[3] Ähnlich wurde die Geschichte von Jonas, der im Bauch eines Fisches gefangen ist, behandelt: Reuven Kiperwasser / Aryeh Kofsky / Serge Ruzer: "Tales of Sea Voyage and the Story of Jonah", in: Reuven Kiperwasser / Aryeh Kofsky / Serge Ruzer (eds.): Late Antique Jewish and Christian Travelogues: Religious Aspects and Cultural Backgrounds, Berlin / Boston 2025, 11-25.

Rezension über:

Susanne Luther / Pieter B. Hartog / Clare E. Wilde (eds.): Jewish, Christian and Muslim Travel Experiences. 3rd century BCE - 8th century CE (= Judaism, Christianity, and Islam - Tension, Transmission, Transformation; Vol. 16), Berlin: De Gruyter 2023, VI + 356 S., 10 Farb-Abb., ISBN 978-3-11-071741-9, EUR 99,95

Rezension von:
Hélène Roelens-Flouneau
Université de la Nouvelle Calédonie
Empfohlene Zitierweise:
Hélène Roelens-Flouneau : Rezension von: Susanne Luther / Pieter B. Hartog / Clare E. Wilde (eds.): Jewish, Christian and Muslim Travel Experiences. 3rd century BCE - 8th century CE, Berlin: De Gruyter 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 12 [15.12.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/12/38823.html


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