sehepunkte 25 (2025), Nr. 11

Michael Klipphahn-Karge: Bildökologie

Vor etwa fünfzehn Jahren nahm sich der Londoner Künstler Thomas Thwaites ein absurdes Projekt vor: Er wollte einen handelsüblichen Billigtoaster vollständig selbst bauen: von der Erzgewinnung bis zum fertigen Gerät. Dafür benötigte er rund 400 Einzelteile aus über 100 verschiedenen Materialien, musste Kupfer, Nickel, Eisenerz und Rohöl aufwendig beschaffen und verarbeiten und verbuchte am Ende neben 270 Tagen Arbeit auch satte 1.400 Euro Investitionskosten. Bedenkt man, dass das Ergebnis - ein klobig, gelblich-weißer Kasten - kaum mehr als eine Scheibe Weißbrot erwärmen konnte, lässt sich erahnen, in welche absurden Dimensionen die Marke Eigenbau bei einem Smartphone führen würde.

In seinem neuen Essay Bildökologie, der jüngst in der Reihe "Digitale Bildkulturen" im Wagenbach-Verlag erschienen ist, baut Michael Klipphahn-Karge zwar kein Smartphone nach, aber er stellt eine Frage, die durch solche Basteleien durchaus greifbar wird: Wie fällt eigentlich die Ökobilanz eines digitalen Bildes aus? Um sie zu beantworten, verfolgt er akribisch die materiellen und technischen Prozesse, an deren Ende ein digitales Bild steht. So tragen die fünf Kapitel zwar alle das Wörtchen 'Bild' im Titel, aber streng genommen geht es nur in dem Maße um Bilder, in dem es Thwaites um eine Scheibe Weißbrot ging. Stattdessen lenkt Klipphahn-Karge, der bis vor kurzem am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) München am Projekt "Kunst, Umwelt, Ökologie" mitarbeitete, den Blick auf allerhand Infrastrukturen und Voraussetzungen: die Trägermaterialien der analogen Fotografie, das Smartphone als "Mineraliensandwich in der Hosentasche" (McKenzie Wark), die digitalen Netzwerkinfrastrukturen und schließlich die globalen Entsorgungssysteme und Schrotthalden, in denen unsere Gerätschaften ihr trauriges Ende finden. Gleich im ersten Kapitel zeigt der Autor, wie jeder neue Bildträger, - ob Metall, Papier oder bald Kunststoff - auf je eigene Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse seines Entstehungskontextes reproduziert und die longue durée anthropogener Klimaverwerfungen prägt. Die Geschichte der Fotografie, lernen wir, ist nicht nur eine des Sehens, sondern auch eine der Extraktion, die immer auch Gewalt an Mensch und Natur bedeutet.

Diese Perspektive ist keineswegs neu: Ausstellungen wie "Mining Photography" (2022) im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg oder "Image Ecology" (2024) im C/O Berlin, aber auch die Arbeiten von Medienwissenschaftler:innen wie Jussi Parikka oder Siobhan Angus haben parallel zu den globalen Klimabewegungen der letzten Jahre dazu aufgefordert, Bilder und Fotografien durch die Brille der Ökokritik zu betrachten. Klipphahn-Karge bewegt sich hier sachkundig auf dem Stand der Forschung und bietet eine rasante Kamerafahrt entlang der feinen Verästelungen unserer globalen Medieninfrastruktur: von den zerklüfteten Berghängen des kongolesischen Coltan-Abbaus, über die Methangas ausstoßenden Megaturbinen der Supercomputer in Tennessee bis zur Amazon-Paketlieferung zur eigenen Haustür, Verbrennungsmotor sei Dank: das Buch fängt gleichsam mit einem Tracking-Shot Lieferketten, Serverfarmen, Extraktionszonen und Entsorgungslandschaften ein.

Besonders eindrucksvoll ist das Kapitel über die Herstellungsverfahren des Smartphones, das man getrost als Atlas der planetaren Wirtschafts- und Ausbeutungsverhältnisse lesen kann. Wir folgen dem Autor hier zu den Lithiumsalzseen Chiles, in die Kobaltschächte des Kongo, zu den Silberminen Perus, in die Palladiumgruben Russlands oder die Ölraffinerien Saudi-Arabiens - überall sind Luftverschmutzung, Bodenkontamination sowie Unmengen an Abfallstoffen die Folge. Mitunter ist das Ausmaß der ökologischen Zerstörung so gravierend, dass ganze Regionen unter dem Begriff 'sacrifice zones' firmieren.

Zwar verweist Klipphahn-Karge an einzelnen Stellen auf die globalen politischen Verstrickungen des Mineralien- und Metallabbaus - etwa auf den so genannten "Neo-Extraktivismus" (27) als nationale Strategie zur sozialen Befriedung oder auf die Kontrolle bewaffneter Milizen im Coltanabbau - doch bleibt eine systematische geopolitische Analyse weitgehend aus. So entsteht manchmal der Eindruck, Staaten seien vorrangig passive Schauplätze ökologischer Kollateralschäden, nicht aber geopolitische Akteure im globalen Machtgefüge der Smartphone-Produktion. Dass der Weg vom Kobaltklumpen bis zur Platine nicht nur über koloniale Trampelpfade führt, sondern durch eingespielte Handelsrouten, strategische Allianzen und über protektionistische Umwege, all dies bleibt weitgehend ausgespart. Das mag enttäuschen, vor allem da Klipphahn-Karge selbst das "Scheitern politischer Systeme im Angesicht des Klimawandels" (55) anprangert. Andererseits wäre es vermessen, von einer Studie, die sich der medienökologischen Spurensicherung widmet, zugleich eine umfassende Analyse geopolitischer Machtkonflikte zu erwarten.

Wenn im dritten Kapitel die Energiebilanz von Videostreaming, App-Services, Social Media, Suchmaschinen und E-Commerce im Mittelpunkt steht, verschwimmt der Bildbegriff zusehends. Zwar sind bei all diesen Anwendungen immer auch Bilder im Spiel, aber in höchst unterschiedlichem Ausmaß, mit wechselnder Funktion, manchmal gar nur als Beifang. Das Bild, das zuvor als materielle Spur verfolgt wird, entgleitet und zerfällt hier vollends in seine Bedingungen. Man kann das als eigentliche Pointe des Buches lesen: Wer heute über Bilder spricht, muss in Netzwerken und Energieflüssen denken. Als Gegenstand oder gar als Medium der Imagination taugt es allenfalls als Vorwand für den Menschen, seinen realweltlichen Ressourcenraubbau und die damit einhergehenden Umweltschäden zu verschleiern.

Kann man dieser Zerstörung visuell zu Leibe rücken? Selbst die zahlreich zirkulierenden Bilder, die ökologische Missstände dokumentieren und denen sich das fünfte und letzte Kapitel widmet, sieht Klipphahn-Karge skeptisch. Mit Niklas Luhmann versteht er sie als "[...] fieberhafte Immunreaktion der Gesellschaft auf Probleme [...], die sie anders nicht lösen kann." (58) In der Logik des globalen Kapitalismus und der Clickbaits laufen auch sie Gefahr, zur visuellen Ware oder zum "Katastrophenporno" (59) zu verkommen. Protest durch Bilder ist also zwecklos, lautet das ernüchternde Fazit. Protest ohne Bilder, etwa in Form eines Smartphone-Boykotts, aber auch, weil das schließlich " [...] nichts an den emissionsintensiven Strukturen der Weltwirtschaft [...]" (54) ändern würde. Am Ende, so Klipphahn-Karge, muss nicht nur eine vollständige Dekarbonisierung auf die politische Agenda. Mehr noch gilt es, die "Polluter-Elite" (9) für ihre kapitalgetriebene Umformung der Erde zu belangen, anstatt die Otto Normalverbraucher:innen ins Visier zu nehmen.

Bildökologie ist ein kluges, engagiertes und wichtiges Buch, das ein gerafftes Panorama der tiefen ökologischen Verstrickungen unserer heutigen Bildpraktiken entfaltet. Gleichwohl bleiben einige Fährten unbetreten. So heißt es in der Einleitung, "Begriffe wie >Cloud<, >Stream< oder >Software< machen die vermeintlich harte, häufig raumgreifende und kalte Technik hinter digitalen Phänomenen vorgeblich weich, leicht und anschmiegsam." (10) Eine metaphorologische Tiefenbohrung im Sinne Hans Blumenbergs kündigt sich hier an - ihre Weiterverfolgung wäre durchaus reizvoll gewesen. Auch medienphilosophische Überlegungen wie Erich Hörls "Ökologisierung des Denkens" oder Florian Sprengers Arbeiten zur Environmentalität digitaler Medien hätten hier Anschluss geboten.

Aber alles auf knapp 80 Seiten geht eben nicht. Und Thwaites' Toaster röstete am Ende auch kein Brot, sondern verabschiedete sich gleich nach dem ersten Einschalten. Ein Teilerfolg, wie der Künstler selber sagt - aber immerhin einer, der nicht auf der Halde, sondern im Museum landete.

Rezension über:

Michael Klipphahn-Karge: Bildökologie. Materielle Lasten immaterieller Erscheinungen (= Digitale Bildkulturen), Berlin: Wagenbach 2025, 80 S., 17 s/w-Abb., ISBN 978-3-8031-3763-0, EUR 12,00

Rezension von:
Mona Leinung
Kulturwissenschaftliches Institut Essen
Empfohlene Zitierweise:
Mona Leinung: Rezension von: Michael Klipphahn-Karge: Bildökologie. Materielle Lasten immaterieller Erscheinungen, Berlin: Wagenbach 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/11/40636.html


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