sehepunkte 25 (2025), Nr. 10

Heinz Risel: Das Konzentrationslager Heilbronn-Neckargartach

Das letzte Kriegsjahr 1944/45 im Deutschen Reich war geprägt von Luftangriffen, die auf die Zerstörung der Industrie abzielten, vom Zwei-Fronten-Krieg nach der Landung der Alliierten in der Normandie sowie vom Mangel an deutschen Arbeitskräften, da viele Männer an die Front mussten. Die NS-Führung reagierte darauf unter anderem damit, wichtige Industrieanlagen unter die Erde zu verlegen und dabei KZ-Häftlinge vermehrt als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einzusetzen. Diese mussten nicht nur die neuen Produktionsstätten errichten, sondern wurden dort auch zur Arbeit gezwungen. Zu diesem Zweck entstanden immer mehr KZ-Außenlager, die jeweiligen Stammlagern unterstanden.

Die Erforschung der KZ-Außenlager hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, wie etwa die Studie von Maik Ullmann über die Außenlager von Neuengamme und deren Nachgeschichte zeigt. [1] Bereits 1991 wurde Edith Raim mit einer Arbeit über die KZ-Außenlagerkomplexe Kaufering und Mühldorf promoviert. [2] Heinz Risel greift in der zu besprechenden Veröffentlichung anhand neuer Quellenfunde die Geschichte des KZ-Nebenlagers bis 1945 sowie dessen Nachgeschichte erneut auf.

Bei dem 2025 erschienenen Werk "Das Konzentrationslager Heilbronn-Neckargartach. Umrisse seiner Geschichte" handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Auflage der Monografie zum KZ-Nebenlager Neckargartach, die 1987 erstmals veröffentlicht wurde. Die Neuauflage erschien in der "Kleinen Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn", die von Miriam Eberlein, der Leiterin des Stadtarchivs, herausgegeben wird. Damit ist die Studie zugleich in einen institutionellen Rahmen eingebettet, der die lokale Erinnerungskultur mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verbindet. Mit dieser Neubearbeitung legt der Autor nicht nur eine Fortschreibung seiner frühen Untersuchung vor, sondern integriert zugleich neue Quellenfunde, die eine differenziertere Rekonstruktion der Lagergeschichte und ihrer Nachwirkungen ermöglichen.

Das Werk ist in 13 Kapitel gegliedert und umfasst insgesamt 112 Seiten. Eingangs bietet der Autor einen allgemeinen Überblick über das KZ-System sowie über die Pläne der Rüstungsindustrie im Deutschen Reich. Nach dieser einleitenden Kontextualisierung wendet er sich der Geschichte des Konzentrationslagers Heilbronn-Neckargartach im engeren Sinne zu. Trotz der von ihm selbst konstatierten Quellenarmut gelingt es Heinz Risel, an zahlreichen Stellen ein bemerkenswert detailreiches Bild des Lageralltags und der unterschiedlichen Formen von Zwangsarbeit zu rekonstruieren. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Darstellung nicht allein auf eine fachwissenschaftliche Leserschaft zugeschnitten ist: Durch eine klare, prägnante und zugleich gut lesbare Sprache wird die Thematik auch einer breiteren, nichtakademischen Öffentlichkeit zugänglich.

Das Konzentrationslager Heilbronn-Neckargartach war Teil des Außenlagersystems des KZ Natzweiler-Struthof und bestand über einen Zeitraum von sieben Monaten, von September 1944 bis Ende März 1945. Die genaue Zahl der Häftlinge lässt sich nicht mehr rekonstruieren; der Autor geht jedoch von einer Höchstbelegung von circa 1.200 Häftlingen aus. Beurkundet sind 191 Todesfälle, doch betont Heinz Risel, dass die tatsächliche Zahl der Opfer deutlich höher gelegen haben muss.

Die Häftlinge wurden zur Zwangsarbeit herangezogen. Ihre Aufgaben umfassten den Ausbau eines Salzstollens zu einer unterirdischen Rüstungsproduktionsstätte, die Beseitigung von Trümmern und Leichen in Heilbronn, verschiedene Arbeiten innerhalb des Lagers sowie Tätigkeiten in der angrenzenden Landwirtschaft.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Heranziehung zeitgenössischer Berichte, etwa die Aufzeichnungen des Neckargartacher Arztes Dr. Walter Eisele, der im Lager die Leichenschau vornahm. Durch solche Quellen gelingt es dem Autor, die Wahrnehmung des Lagers in der Zivilbevölkerung zu beleuchten. Dabei entsteht ein ambivalentes Bild: Einerseits wird eine deutliche Abneigung gegenüber der Behandlung der Häftlinge sichtbar, andererseits eine gleichzeitige Duldung der Existenz des Lagers selbst.

Der Autor behandelt in seiner Darstellung eine Vielzahl von Themenfeldern: Neben der Einrichtung des Lagers und dessen äußerem Erscheinungsbild werden die Lagerorganisation, die Wachmannschaften und Kapos, das Verhalten der Bewacher, die Reaktionen aus der Bevölkerung, die Häftlingsgesellschaft, der Arbeitseinsatz sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Inhaftierten skizziert. Darüber hinaus werden Fluchtversuche, Erschießungen, die Schließung des Lagers sowie schließlich die Nachgeschichte und die Erinnerungskultur nach 1945 thematisiert.

Eine besondere Stärke der Studie liegt in der konsequenten Einbindung von Zeitzeugenberichten. Diese stammen sowohl von ehemaligen Häftlingen, der Zivilbevölkerung als auch von Tätern - SS-Personal, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Organisation Todt, die an vielen kriegsrelevanten Bauprojekten verantwortlich beteiligt war - und eröffnen damit eine bemerkenswerte Multiperspektivität. Besonders eindrücklich sind hier die Aussagen von Stane Uršič, einem Überlebenden des Lagers, sowie die Aussagen des Lagerältesten Karl Geissler. Durch solche Quellen gelingt es Heinz Risel, ein vielschichtiges Bild des Lageralltags und seiner Wahrnehmung zu zeichnen.

Allerdings zeigt sich in der Quellenbehandlung auch eine gewisse Inkonsistenz: Direkte Zitate sind nicht durchgehend mit Fußnoten belegt. Dies erschwert die Rückverfolgbarkeit der Aussagen und schwächt den wissenschaftlichen Anspruch der Arbeit in methodischer Hinsicht. Das Werk bietet dennoch einen fundierten Gesamtüberblick über das KZ-Nebenlager Heilbronn-Neckargartach und erfüllt damit den im Untertitel formulierten Anspruch am besten: Es handelt sich um einen präzisen "Umriss seiner Geschichte".

Trotz der nur spärlich überlieferten Quellen gelingt es dem Autor, eine detaillierte und differenzierte Darstellung vorzulegen. Besonders hervorzuheben ist die Heranziehung von Berichten der Zivilbevölkerung, Erinnerungen ehemaliger Häftlinge sowie Prozessunterlagen und Täterdokumenten. Auf diese Weise gelingt es Heinz Risel, sowohl die Häftlingsgesellschaft und die Lebensbedingungen im Lager als auch die Täterperspektive und die Praxis von Strafen anschaulich zu rekonstruieren. Das Werk richtet sich nicht ausschließlich an ein Fachpublikum, sondern bietet auch interessierten Leserinnen und Lesern, die sich mit der Geschichte der Außenlager im Raum Heilbronn auseinandersetzen möchten, einen gut lesbaren und zugleich vertieften Überblick.


Anmerkungen:

[1] Maik Ullmann: Vor der Erinnerung. Die Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme und ihrer Nachgeschichten 1945-1992, Göttingen 2025.

[2] Edith Raim: Die Dachauer KZ-Außenkommandos Kaufering und Mühldorf. Rüstungsbauten und Zwangsarbeit im letzten Kriegsjahr 1944/45, Landsberg am Lech 1992.

Rezension über:

Heinz Risel: Das Konzentrationslager Heilbronn-Neckargartach. Umrisse seiner Geschichte (= Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn; 72), Heidelberg / Ubstadt-Weiher / Basel: verlag regionalkultur 2025, 112 S., ISBN 978-3-940646-38-5, EUR 12,00

Rezension von:
Felix Schneider
KZ-Gedenkstätte Dachau
Empfohlene Zitierweise:
Felix Schneider: Rezension von: Heinz Risel: Das Konzentrationslager Heilbronn-Neckargartach. Umrisse seiner Geschichte, Heidelberg / Ubstadt-Weiher / Basel: verlag regionalkultur 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 10 [15.10.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/10/40408.html


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